Schweinebranche: Ein Eber namens Gullinborsti
Die Bedrohung durch ASP, der Aktionsplan Kupierverzicht, mangelnde Zahlungsbereitschaft der Verbraucher – die Schweinebranche schaut mit Sorgen in die Zukunft. Wie steht es aktuell um das Schwein in Deutschland?
Von Bettina Karl
Schweine gelten als Glücksbringer. Viele Menschen stecken ihr Geld in Sparschweine. „Da hast du aber wieder mal Schwein gehabt“, sagt man und meint, dass jemand Glück hatte. Für die alten Germanen soll der Eber sogar heilig gewesen sein. Den Wagen ihres Gottes Freyr zog solch ein männliches Schwein namens Gullinborsti. Dieser Name bedeutet: „Der mit den goldenen Borsten“ – ein Zeichen für Wohlstand und Reichtum, Fruchtbarkeit und Stärke! Denkbar, dass sich Menschen auch deshalb zum Jahreswechsel Glücksschweine aus rosa Marzipan schenken.
Doch wie ist es um das Schwein in Deutschland heute bestellt? Bringt es seinem Halter wirklich Glück? Lassen wir die Bedrohung durch die Afrikanische Schweinepest – ohne Frage eine sehr ernst zu nehmende Gefahr – dafür einmal beiseite. Denn selbst ohne die brisante Seuche vor den Grenzen gibt es für die Schweinebranche hinreichend Beunruhigendes. Die Auflagen und Anforderungen, welche Gesellschaft und Politik (schon lange) an sie stellen, sind hoch: Vom Aktionsplan Kupierverzicht über den Stallbau der Zukunft, der zahlreiche Tierwohlmaßnahmen berücksichtigt, bis hin zum Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2021 sind alle Maßnahmen mit Veränderungen und vor allem mit Investitionen verbunden. So geht es beim Aktionsplan Kupierverzicht darum, den Anteil der Ohr- und Schwanzverletzungen während der Aufzucht und Mast zu reduzieren, am besten sogar ganz zu vermeiden. Auf diese Verhaltensstörungen haben aber viele Faktoren Einfluss: Buchtenstruktur, Fütterung, Stallklima, Beschäftigungsmaterial und auch das Management. Um dies alles wirksam anzugehen, braucht es eins: Zeit. Und Zeit ist Geld.
Viel Beunruhigendes für die Schweinebranche
Die deutsche Fleischwirtschaft begrüßt jetzt, dass das Betäubungsgas Isofluran zur Ferkelkastration durch den sachkundigen Landwirt zugelassen wurde, und wünscht sich noch weitere Betäubungsalternativen einschließlich der Lokalanästhesie. Denn der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) sieht den Markt für Eberfleisch – ob nun mit oder ohne Improvac-Impfung der männlichen Schweine – als begrenzt an. Die Bereitstellung von Kastraten mit der Isofluranmethode bedeutet für die Ferkelerzeuger aber einen erheblichen Mehraufwand, der letztlich wieder eins kostet: mehr Geld.
Diesen Aufwand wird der Markt nicht genügend honorieren. Studien renommierter Marktforschungsinstitute belegen, dass die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher nicht ausreichen wird, um die Investitionen und den Mehraufwand für mehr Tierwohl zu tragen. Aber Tierwohl und Lebensmittel zu Billigpreisen passen nicht zusammen. Und was genauso wichtig ist: Die geforderten Veränderungen in der Schweinehaltung brauchen politische Entscheidungen, die das berücksichtigen. Das von Minister a. D. Jochen Borchert geleitete Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung arbeitet dafür an offenbar sehr weitgehenden Vorschlägen.
Die Tierhalter benötigen dringend Rechtssicherheit. Noch immer fehlen diesbezüglich Voraussetzungen für die Genehmigung der Umsetzung der Konzepte zum Stallbau der Zukunft. Erst mit klaren politischen Vorgaben und der notwendigen Investitionssicherheit können sich Schweinehalter den Anforderungen der Gesellschaft stellen, ohne dabei ihre Wirtschaftlichkeit – und damit ihre Existenzsicherheit – zu verlieren. Vielleicht wird das Schwein dann wieder zum Glücksbringer, wie das Hallesche Glitzerschwein.