Bauern und Medien – eine Beziehung unter Spannung
An der häufig unsachlich geführten Diskussion über die Landwirtschaft haben Medien ihren Anteil, weil sie nicht immer sachkundig genug informieren. Diese Feststellung trifft der Chefredakteur der Bauernzeitung, Ralf Stephan, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
„Pegel der Verzweiflung“ – unter dieser Überschrift veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem Chefredakteur der Bauernzeitung, Ralf Stephan. Thema des Gespräches war das angespannte Verhältnis zwischen Landwirten und Medien. Die Medienredaktion der Süddeutschen Zeitung – mit einer Auflage von 326.000 Stück Deutschlands zweitgrößte Tageszeitung – bezog sich auf Protestaktionen von Landwirten gegen nach deren Auffassung unfaire Berichterstattung. Dabei war es in Braunschweig dazu gekommen, dass sich die Familie eines Redakteurs bedroht fühlte.
Der Chef der Bauernzeitung distanzierte sich von persönlichen Angriffen auf Journalisten: „Ich habe meine ersten Berufsjahre in der DDR verbracht. Was die Freiheit der Presse angeht, verstehe ich keinen Spaß.“ Bei vielen Landwirten sei jedoch ein Pegel der Verzweiflung erreicht, dass sie das Gefühl hätten: Mehr geht jetzt nicht mehr, erklärte er die Umstände. „Manche Landwirte sehen sich in ihrer Existenz bedroht, da wird der eine oder andere auch ruppiger. Das geht nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich. Und ein Trend ist das auch nicht: Die Großdemonstration von 40.000 Bauern in Berlin war friedlich, außer ein paar Knöllchen, weil einige ihre Trecker auf dem Rasen geparkt haben, ist nichts passiert.“
Was Landwirte an der Berichterstattung über sie hauptsächlich störe, sei das Gefühl eines ganzen Berufsstandes, gesellschaftlich nicht wertgeschätzt zu werden. „Wir sind die Buhmänner für alles, wir sind schuld am Insektensterben, am belasteten Grundwasser, an der Klimakrise, an Fleischskandalen – so kommt das bei vielen Landwirten an. Leider sehe ich da wirklich eine Polarisierung in der gesellschaftlichen Diskussion, in der es nur Schwarz und Weiß gibt. Und daran haben die Medien ihren Anteil“, sagt der Bauernzeitungs-Chefredakteur. Das fange mit der Wahl der Begriffe an, etwa dem Wort Massentierhaltung – oft verwendet, wenn Medien darüber berichten, was neutral landwirtschaftliche Nutztierhaltung heißen würde. „Wenn ich aber einen Kampfbegriff verwende, der von bestimmten NGOs in den Umlauf gebracht wurde, bringe ich eine Wertung rein. Darüber sollten sich manche Redaktionen Gedanken machen, bevor sie unbedacht wertende Begriffe verwenden.“
Mangelnde Sachkunde ist ein Problem
Als Beispiele für oft mangelnde Sachkunde nennt der Fachjournalist die Berichterstattung über die Nitratbelastung des Grundwassers oder über das Risiko des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. An 28 % der EU-Messstellen sei zuletzt der Grenzwert für Nitrat im Grundwasser angestiegen, die gleiche Statistik besage dass sich die Lage an 33 % der Messstellen verbessert habe. „Nicht genug, aber jetzt so zu tun, als wäre die gesamte Landwirtschaft dabei, unser Wasser zu verseuchen, wird dem nicht gerecht, was viele Landwirte machen, um wasserschonend zu wirtschaften“, sagt er.
Stephan räumte ein: „Sicherlich muss ein Teil der Landwirte erst noch lernen, die Aufgabe der Medien anzunehmen. Und die besteht eben darin, den Finger auf Missstände zu legen.“ Allerdings gebe es außerhalb der Fachverlage kaum agrarische Fachkompetenz in Redaktionen – wie auf der anderen Seite die Öffentlichkeitsarbeit der Landwirtschaft erhebliche Defizite aufweise. „Die Kommunikationsstrategie steckt, um es freundlich zu sagen, noch in der Entwicklung.“ Von der Professionalität, mit der Umweltverbände wie Greenpeace oder der Nabu agieren, sei die Landwirtschaft weit entfernt. Das mache sich auch bemerkbar in der Dichte und Qualität der Informationen, die an Redaktionen herangetragen werden. „Ich wüsste zum Beispiel nicht, dass es in der gesamten Branche auch nur eine einzige Stelle mit der Berufsbezeichnung Campaigner gäbe“, sagte Stephan.
Er wünsche sich manchmal geradezu mehr Schützenhilfe durch sachliche und kritische Berichterstattung in Tageszeitungen und Rundfunk. Die Fachpresse versuche seit langem, ihren Lesern Hinweise auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Wirtschaften zu geben. „Das wäre einfacher für uns, wenn wir sagen könnten: Leute, auch draußen nimmt man das wahr, und das ist sachliche, ernst zu nehmende Kritik. In Moment aber sieht solche Kritik oft so aus, dass wir gezwungen sind, unsere Leserschaft dagegen zu verteidigen.“
Debatte zu lange unterschätzt
Wie die Landwirtschaft in ein so schlechtes Licht geraten konnte, erklärt der langjährige Agrarjournalist so: „Viele in der Branche haben Kritik allzu lange als Luxusdiskussion abgetan. Aber die Gesellschaft sagt nun zu Recht: Wie können uns diesen Luxus leisten. Uns interessiert nicht mehr nur, dass ausreichend und preiswert Nahrungsmittel da sind, sondern wir wollen wissen, wie die Tiere gehalten werden und wie es mit der Artenvielfalt auf den Äckern aussieht.“ Viele Landwirte der jungen Generation sähen das genauso. Aber noch habe man eben die Landwirtschaft, die die Gesellschaft lange gewollt habe: volle Regale zu jeder Jahreszeit und das möglichst preiswert. „Das Bewusstsein für neues Denken ist da, aber es umzusetzen, braucht Zeit und Geld.“
Über Veränderungen „muss diskutiert werden, aber in sachlicher Atmosphäre, die ich derzeit leider nicht spüre.“ Journalisten könnten helfen, indem sie aufklären, berichten, einordnen. „Denn so, wie die öffentliche Debatte bisher geführt wurde, werden wir außer noch mehr Wut, Ärger und vielleicht sogar Radikalisierung nichts erreichen“, sagte Stephan abschließend.
Das Interview erschien am 23. Dezember 2019 in der Süddeutschen Zeitung. Die Onlinefassung kostenpflichtig einsehbar: http://sz.de/1.4733765 red