Rindergrippe: Atemwegserkrankungen erfolgreich bekämpfen

Hat das Kalb schon früh die Grippe, steht die Leistung auf der Kippe. (c) Dr. Hans Peter Heckert
Agrarpraxis
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In vielen landwirtschaftlichen Betrieben ist die Rindergrippe ein wiederkehrendes Problem. Über dieses komplexe Thema berichten wir in einer Artikelreihe zu Prophylaxe, Diagnostik und Therapie.

Von Dr. Hans Peter Heckert, Fachtierarzt für Rinder, Dipl. ECBHM (European College of Bovine Health Management)*

Erfahrungsgemäß kommt es während der Wintermonate in den Zuchtbetrieben gehäuft zu Erkrankungen der Atemwege, während Mastbetriebe häufig kurz nach Tierzukauf betroffen sind. Meist sind die Atemwegserkrankungen infektionsbedingt und neben den Durchfällen bei neugeborenen Kälbern die häufigsten Verlustursachen im Verlauf der Kälberaufzucht.

Spezialwissen ist meist vorraussetzung

Trotz neu entwickelter Medikamente, ausgereifter Labordiagnostik und besserer Impfstrategien verläuft die Bekämpfung der Atemwegserkrankungen in der täglichen Praxis eher unbefriedigend. Zur Verbesserung der Situation im Problembetrieb ist meist Spezialwissen Voraussetzung, das durch tierärztliche Bestandsbetreuung und landwirtschaftliche Fachberatung eingebracht werden kann.

Eine erfolgreiche Bekämpfungsstrategie erfordert generell ein systematisches Vorgehen und ergibt sich insbesondere aus:


  • diagnostischen Maßnahmen zur Ursachenklärung,
  • Behandlungskonzepten für bereits erkrankte Tiere,
  • Erstellung eines Vorbeugeprogrammes für künftige Aufzuchtgenerationen.

Kalb
(c) Dr. Hans Peter Heckert

Wie kommt es zur Rindergrippe?

An der Entstehung der respiratorischen Erkrankungen können verschiedene Virusarten, Bakterien und zahlreiche Faktoren der Haltung und Fütterung beteiligt sein. Die eigentliche Rindergrippe wird daher auch als sogenannte polyfaktorielle Erkrankung bezeichnet.

Die hierbei nachgewiesenen Erregerarten sind meist schon in den betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben vorhanden. Erst durch ungünstige Umweltfaktoren, wie etwa ein Stallklimawechsel oder Futterumstellung und zootechnische Maßnahmen, führen diese Erreger zu akuten Krankheitserscheinungen.

Daraus folgt, dass sowohl eine umfassende Diagnostik, also die Ursachenklärung, als auch die Bekämpfungsmaßnahmen komplexer Natur sind. Zudem ist es selten möglich, die gelungene Bekämpfungsstrategie des einen Betriebes auf einen anderen 1:1 zu übertragen.

Stallumbau kann Medikamentenverbauch deutlich senken

Auch die Vorbeugemaßnahmen beinhalten aufgrund des polyfaktoriellen Geschehens nicht nur den Einsatz eines vorbeugenden Impfprogrammes, sondern auch die Überprüfung und mögliche Verbesserung der Fütterungs- und Haltungsbedingungen sowie des Managements.

Hierbei ist die Überprüfung des Stallklimas von großer Bedeutung. In vielen Fällen hat sich durch einen Stallneubau oder selbst durch gezielte Umbaumaßnahmen des alten Stalles die Situation soweit verbessert, dass Behandlungsaufwand und Medikamentenverbrauch deutlich gesenkt werden konnten.

Gerade die Minimierung der Antibiotikaeinsätze in der Nutztiermedizin hat sich in der letzten Zeit zu einem wesentlichen Thema in der Wissenschaft und auch in der Diskussion seitens der Verbraucher entwickelt, da eine Zunahme von Resistenzen weltweit zu verzeichnen ist. In einem umfangreichen Projekt wurde daher federführend von Vetion, der Akademie für Tierärztliche Fortbildung (ATF) der Bundestierärztekammer, und dem Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität Berlin ein kostenpflichtiges Online-Fortbildungsprogramm initiiert, das in mehreren Beiträgen unter „Vet-MAB – Antibiotikaminimierung im Stall“ auf Verbesserungen der Haltungsbedingungen und Hygienekonzepte eingeht.

ATEMWEGSERKRANKUNGEN
Warum sind Rinder besonders anfällig?

Das Lungenvolumen eines Rindes von 600 kg ist um zwei Drittel kleiner als das eines Pferdes mit gleichem Gewicht. Daher ist die Atemfrequenz beim Rind um 2,5-mal höher als beim Pferd. Zudem ist die Rinderlunge sehr stark in einzelne Abschnitte gegliedert. Die einzelnen Segmente haben keine Querverbindungen untereinander.

Wenn einer der zuführende Luftweg durch Entzündungsprodukte blockiert wird, fällt der gesamte nachfolgende Lungenabschnitt aus. Die Kombination aus der besonderen Anatomie der Rinderlunge und der hohen Atemfrequenz führt deshalb zu einer gesteigerten Anfälligkeit gegenüber Atemwegserkrankungen und macht die Lunge zur „Achillesferse“ des Rindes.
Dr. Heike Engels


*Kontakt zum Autoren: dr.heckert@berlin.de


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