Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine?

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Russlands Überfall auf die Ukraine trifft die Agrarmärkte tief ins Mark. EU-weit wird mit gestörten Warenströmen und steigenden Preisen gerechnet. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Agrarmärkte und die Ernährungssicherheit?

Russlands Angriff auf die Ukraine wird ernste Auswirkungen auf den Handel mit Agrarprodukten und Lebensmitteln haben. Das hat die EU-Kommission am Montag vor dem Landwirtschaftsausschuss des Europaparlamentes deutlich gemacht. Bei tierischen Produkten erwartet der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion Landwirtschaft (DG Agri), Michael Scannell, im Handel mit der Ukraine Störungen vor allem bei den Ein- und Ausfuhren von Geflügelfleisch und beim Export von Schweinefleisch. Im Fall von Russland spielen dem Kommissionsvertreter zufolge vornehmlich Ausfuhren von verarbeiteten Lebensmittel eine große Rolle, darunter etwa Weine, Spirituosen und Backwaren.

Getreide und Ölsaaten: schwere Erschütterungen zu erwarten

Nach Angaben der EU-Kommission wurden im vorigen Jahr etwa 162.300 t Geflügelfleisch in die Ukraine geliefert, in die Gegenrichtung waren gut 100.000 t unterwegs. Die Schweinefleischexporte in die Ukraine beliefen sich auf 95.520 t. Auch im Handel mit Getreide und Ölsaaten sind schwere Erschütterungen zu erwarten.

Laut Scannell haben die Ukraine und Russland am weltweiten Handelsvolumen von Weizen einen Anteil von 30 %; bei Gerste sind es 32 % und bei Mais 17 %. Bei Sonnenblumenöl, -saaten und -schrot betrage der Anteil aus den beiden Schwarzmeeranrainerstaaten sogar mehr als 50 %.

Exporthäfen vermint

Nach Angaben des Kommissionsvertreters ist der Handel über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen vollständig zum Erliegen gekommen. Die ukrainische Marine habe die umliegenden Gewässer vermint, schon aus diesem Grund sei auf absehbare Zeit nicht mit einer Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs zu rechnen. Physische Schäden an den Häfen soll es Scannell zufolge noch nicht geben. Trotzdem rechne niemand mit einer kurzfristigen Erholung der Handelsaktivitäten. Die Kommission geht zudem davon aus, dass der Krieg auch die anstehende Frühjahrsaussaat und als Folge mindestens die anschließende Ernte beeinträchtigen wird.

Die Abgeordneten des Europaparlaments demonstrierten Einigkeit. Russlands militärische Aggression wurde fraktionsübergreifend verurteilt. „Ich glaube, wir müssen einfach sehen, dass Russland seit letzter Woche endgültig einer der schlimmsten Schurkenstaaten der Welt ist. Und mit Schurkenstaaten betreibt man nicht Handel“, erklärte der Agrarsprecher der Europäischen Volkspartei (EVP), Herbert Dorfmann. Man werde sich damit abfinden müssen, dass der Handel mit Russland zusammenbreche, „aber wir haben das nicht verursacht“.

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Kiew, Maidanplatz, fotografiert von unserem Kollegen Christian Mühlhausen während einer seiner agrarjournalistischen Reisen in die Ukraine. (c) Landpixel.de

Abhängigkeit von Russland verringern

Die Agrarsprecherin der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), Clara Aguilera, bezeichnete Russlands Aggression als „Angriff auf die Demokratie, den Westen und insbesondere die EU“. Priorität müsse es jetzt sein, den Kampf um die Demokratie zu gewinnen.

Ähnlich äußerte sich die agrarpolitische Sprecherin der Fraktion Renew Europe (RE), Ulrike Müller. „Wir sollten uns darauf konzentrieren, möglichst harte Sanktionen gegen das Regime von Wladimir Putin zu verhängen. Dafür müssen wir bereits sein, einen Preis zu zahlen“, so Müller.

Der Agrarsprecher der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, erklärte, es müsse allen klar sein, dass es für die Europäer auch um „ein Stück Ernährungssouveränität“ gehe. Im Energie- und Agrarbereich müsse die Abhängigkeit von Russland verringert werden.

GREEN DEAL UND ÖKOZIELE
Kurs wechseln oder beibehalten?
Der Krieg in der Ukraine erfordert nach Auffassung der stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, Änderungen in der Agrarpolitik. „Ich bin davon überzeugt, dass wir die Bedeutung der Sicherung der Ernährung neu bewerten müssen“, erklärte Conrad angesichts der gegenwärtigen Diskussion um eine sicherheitspolitische „Zeitenwende“. Dazu werde es notwendig sein, die im Rahmen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgesehene Stilllegung von Flächen und die von der alten Bundesregierung auf EU-Ebene ausgehandelte Reform „noch mal zu überdenken“.

Ähnlich hatte sich zuvor bereits der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, geäußert. „Der Green Deal mit seiner Farm-to-Fork-Strategie gehört ausgesetzt“, so Hocker am Wochenende. In Zeiten von Inflation und Krieg in Europa müsse die Ernährungssicherheit bei der Landwirtschaftspolitik Vorrang besitzen.

Einen Kurswechsel in der Agrarpolitik forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete Josef Rief, der in der Unionsfraktion für den Agrarhaushalt zuständig ist. Deutschland könne es sich nicht mehr leisten, die Extensivierung der heimischen Landwirtschaft weiter voranzutreiben und damit zusätzlich zu einem Preisanstieg bei Lebensmitteln beizutragen. Vor einer agrarpolitischen Kehrtwende infolge des Ukraine-Krieges warnte dagegen Bioland-Präsident Jan Plagge. Alte Fehler fortzuschreiben, helfe nicht weiter. Die Ziele aus dem Green Deal und die nationalen Ökoanbauziele zu erreichen, sei zentral für den Aufbau eines neuen Ernährungssystems, das mehr Sicherheit und mehr Stabilität bringe.

Dünger noch knapper

Auch für Deutschland befürchten Experten spürbare Verwerfungen an den Rohstoffmärkten und bei den Warenströmen. So rechnet das Marktreferat der Landwirtschaftskammer Niedersachsen mit steigenden Preisen für Getreide, Futtermittel, Betriebsmittel und Dünger. Russland gelte als wichtiges Exportland für Düngemittel und Ammoniumnitrat, Phosphat und Phosphordünger. Kali und Kalidünger aus Belarus könnten ebenfalls knapp werden. Damit rücke eine Entspannung am Düngemittelmarkt in weite Ferne, hieß es aus Oldenburg.

Verarbeiter von Bioprodukten stark betroffen

Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine könnten Ölsaaten und deren Nachprodukte hierzulande knapp und noch teurer werden. Das erwartet zumindest der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid). Der Verband begründet seine Einschätzung mit der starken Stellung der beiden osteuropäischen Länder am internationalen Pflanzenölmarkt. So stamme jede zweite grenzüberschreitend gehandelte Tonne Sonnenblumenöl aus ukrainischer Herstellung, ein gutes weiteres Viertel aus Russland. Umgekehrt müsse Deutschland seinen Bedarf an Sonnenblumenöl zu 94 % über Zukäufe im Ausland decken.

Ebenfalls besonders stark betroffen dürften die Verarbeiter von Bioprodukten sein, die einen erheblichen Teil ihrer Rohstoffe aus der Ukraine beziehen.

Der Selbstversorgungsgrad zeigt an, in welchem Umfang die heimische  Landwirtschaft den Bedarf decken kann. Im Durchschnitt der letzten  Jahre lag er bei Nahrungsmitteln in Deutschland bei gut 80 %.
Der Selbstversorgungsgrad zeigt an, in welchem Umfang die heimische Landwirtschaft den Bedarf decken kann. Im Durchschnitt der letzten Jahre lag er bei Nahrungsmitteln in Deutschland bei gut 80 %.

„keine direkten Auswirkungen“ auf Getreide- und Ölsaatenmärkte in deutschland

Das Bundeslandwirtschaftsministerium erwartet dagegen „wegen des geringen Handelsvolumens“ zunächst „keine direkten Auswirkungen“ auf die Versorgung der Getreide- und Ölsaatenmärkte in Deutschland. Hauptimporteure seien vor allem die Länder Nordafrikas, die Türkei, sowie asiatische Länder. „Die EU und Deutschland haben hierbei einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent. Die Versorgung innerhalb der EU ist daher nicht gefährdet“, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme vom Donnerstag (3. März). Gemeinsam mit der EU werde man aber die Entwicklung in der Region und ihre Auswirkungen aufmerksam beobachten und bewerten.

Die Bundesregierung hatte sich am Wochenende für einen inzwischen beschlossenen Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem „Society für Worldwide Interbank Financial Telecommunication“ (Swift) ausgesprochen. Damit sind die betroffenen Finanzinstitute vom internationalen Geldverkehr ausgeschlossen. Infolge dieses Schrittes wird der Handel mit Russland weitgehend zum Erliegen kommen. Agrarprodukte waren bis dahin nicht direkt von Strafmaßnahmen gegen Russland betroffen. red/AGE


Gut 100 Kilometer östlich der polnischen Grenze liegt der Oblast Lviv. Auf dem Betrieb Biorena wird Soja gedrillt.
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