Wasser „pflanzen“: Mit Vegetation Wassermangel entgegenwirken
Hitze und Trockenheit machen der Weltbevölkerung, insbesondere aber der Landwirtschaft, zu schaffen. Forschungen zeigen, dass das grüne Kleid der Erde enorm zu ihrer Kühlung beiträgt. Ist es möglich, mit mehr Grün, bedeckten Böden und Waldumbau den Klimawandel umzukehren?
Von Stefan Schwarzer und Ute Scheub
Wasser kühlt, das wissen wir alle. Und dennoch wird dieser Umstand in der Klimadebatte massiv unterschätzt. Viele glauben, es reiche, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dabei sind die Dinge viel komplexer, denn es gibt weitere, biophysikalisch sehr unterschiedlich wirkende Treibhausgase, zu denen auch Wasserdampf gehört.
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Wassermangel: Knappheit an Trinkwasser wird real
Wissenschaftliche Studien legen nahe: Eine konsequente Wiederbegrünung und Wiederaufforstung unserer Erdkugel könnte die Klimakatastrophe entscheidend abmildern, Städte und Landschaften bodennah kühlen. Regional könnte das einen Unterschied von mindestens 1 °C ausmachen, lokal sind an heißen Tagen Unterschiede bis zu 20 °C messbar. Bis vor Kurzem erschien Wassermangel in Deutschland undenkbar. Doch die Dürresommer von 2018 bis 2020 ließen Unterböden so austrocknen, dass nun im Harz und anderswo der Wald stirbt, vor allem in Ostdeutschland, weil es von Westwinden und Tiefdruckgebieten weiter entfernt liegt.
In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Situation laut Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung (UfZ) anhaltend besorgniserregend, daran ändern auch die Niederschläge von 2021 nichts. In manchen Gebieten fehle die Hälfte des Jahresniederschlags, so UfZ-Forscher Dietrich Borchardt. Angesichts sinkender Grundwasserpegel warnte sogar das Bundesamt für Bevölkerungsschutz im Mai 2021 vor längerfristig drohender Knappheit von Trinkwasser.
Wasserkreisläufe sind Klimaanlagen der Erde
Klimaforscherinnen und Meteorologen sagen, die wegen der Erderwärmung früher beginnende Vegetationsperiode verbrauche das Wasser im Boden schneller, sodass es im Sommer fehlte. Aber neue Studien zeigen, dass auch Abholzungen und Bodenversiegelungen enorm zur Zerstörung der Wasserkreisläufe beitragen. Scheint die Sonne auf eine mit Vegetation bedeckte Fläche, werden über 70 % der Sonnenenergie für die Verdunstung von Wasser über die Blätter (Transpiration) verwendet. Auf einem unbedeckt liegenden Acker sind es nur 10 bis 20 % der Sonnenenergie – ein entscheidender Unterschied!
Video zu Wassermangel und Wasserkreisläufen
Pflanzen nehmen Wasser über ihre Wurzeln auf, nutzen es als Transportmittel für Nährstoffe sowie als Kühlmittel und geben es über Spaltöffnungen ihrer Blätter an ihre Umgebung ab. Der Übergang von flüssigem Wasser zu Wasserdampf ist ein energieintensiver Prozess, der erdnah für Verdunstungskühlung sorgt. Die dabei aufgewandte Energie steigt als „latente“ Wärme mit den Luftströmungen in die höhere Atmosphäre auf. Ein Teil der bei der Kondensation wiederum frei werdenden Energie diffundiert dann ins All.
Wenn der Boden nicht oder kaum von Vegetation bedeckt ist – was auf bewirtschafteten Äckern über mehrere Monate im Jahr der Fall sein kann –, entsteht statt der latenten die sogenannte fühlbare Wärme: Der Boden und die bodennahen Schichten heizen sich auf und strahlen in der Folge deutlich erhöht (langwellige) Wärmeenergie in die Atmosphäre. Pflanzen leisten also einen entscheidenden Beitrag zum vertikalen Transfer von bodennaher Wärme und damit zur Kühlung des Planeten.
Wir wissen alle, welchen Unterschied es macht, ob wir einen Hitzetag auf glühendem Asphalt erleben oder im Wald. Auch ist starke Hitze unter einem Baum wesentlich erträglicher als unter einem Sonnenschirm, der zwar Schatten produziert, aber keine Verdunstungskühle. An einem heißen Tag kann ein einziger Baum mehrere Hundert Liter Wasser transpirieren und seine Umgebung mit 70 kWh/100 l kühlen. Das entspricht der Leistung zweier 24 Stunden lang laufender Klimaanlagen.
In Tschechien wurden laut einer in „Ecological Engineering“ erschienenen Studie an einem Hitzetag in einem Wald 28 °C gemessen, während die Temperaturen auf einem nahen abgeernteten Feld 42 °C und über Asphalt 49 °C betrugen – eine Differenz von gut 20 °C auf engem Raum. Ein anderes Beispiel aus einer slowakischen Stadt: Auf einem Dach wurden an einem Sonnentag 30 °C gemessen, an Parkbaum- Wipfeln nur 17 °C – ein Unterschied von 13 °C, der für ältere und empfindliche Wesen über Leben und Tod entscheiden kann. Laut einer Studie der spanischen Gesundheitswissenschaftlerin Ana Maria Vicedo-Cabrera gab es 2018 in Deutschland rund 20.000 Hitzetote, vor allem in Großstädten. Diese werden durch aufgeheizten Asphalt und Beton im wahrsten Sinne des Wortes zu Hotspots.
Karte mit Temperaturunterschieden zwischen Asphalt und bewachsenen Flächen
Abholzungen führen zu weniger Regen
Fast die Hälfte der Niederschläge über den Kontinenten werden durch Verdunstungsprozesse über dem Land bedingt, davon 60 bis 80 % durch die Transpiration von Pflanzen. Das bedeutet, dass Abholzungen, Versiegelungen sowie Änderungen der Landnutzung Wasser- und Energieströme verändern und zu Wassermangel führen können. Schwindende Wälder und nackte Böden führen zu höheren Bodentemperaturen, zu weniger Niederschlag und längeren Trockenzeiten, zu weniger Grundwasser und mehr Bodenerosion. Starkregen ändern nichts an der Gesamtsituation einer zunehmenden globalen Dürre, weil das Wasser – meist von Pflanzen ungenutzt – über Äcker, Gräben und Kanalisation in die Flüsse und Meere abfließt.
Seit Beginn der Landwirtschaft haben Menschen Wälder gerodet, um Platz für Äcker zu schaffen. Dadurch verlor die Erde ungefähr die Hälfte ihrer Wälder. Das hat laut einer 2017 von Adriaan Teuling et al. verfassten Studie zur Folge, dass die lokale Wolkenbedeckung und Niederschläge abnehmen. Zum Beispiel führte die Entwaldung auf dem indischen Subkontinent zwischen 1700 und 1850 zur Verringerung der Monsunregenfälle dort und im südöstlichen China. Nach 1945 begann weltweit eine zweite intensive Phase der Waldrodung. Auf Borneo führten die Abholzungen des Urwalds für Palmölplantagen zu signifikant weniger Regen. In Indonesien stieg die Temperatur über gerodeten Flächen um 10 °C, gleichzeitig wurden 15 % weniger Niederschläge gemessen.
Global ist die Verdunstung zwischen 1950 und 2010 um knapp fünf Prozent zurückgegangen. Die Veränderungen der Bodenbedeckung führten zeitgleich, aufgrund der reduzierten Verdunstung, zu einem weltweiten Anstieg der Temperatur um 0,3 °C – insgesamt lassen sich dadurch 18 bis 40 % der bis 2015 verzeichneten globalen Erderwärmung erklären. Geht die Abholzung der Tropenwälder weiter wie bisher, könnte allein das bis zum Jahr 2100 für eine Klimaerhitzung um 1,5 °C sorgen.
Warum die Verdunstungskühlung in den Berichten des UN-Klimarats (IPCC) dennoch so wenig diskutiert wird, wissen wir nicht. Vermutlich liegt es daran, dass das Verhalten von Wasserdampf und die Wolkenbildung ungeheuer komplexe geophysikalische Phänomene sind, die wissenschaftlich immer noch nicht ausreichend verstanden werden, wie der UN-Klimarat selbst zugibt. Mehrheitlich ist der IPCC aber wohl der Ansicht, dass der durch industrielle Prozesse verursachte Einfluss des Menschen auf den Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre vernachlässigbar sei.
Von fliegenden Flüssen und fliegenden Dürren
Große Wälder scheinen wahre biochemische Reaktoren zu sein. Sie lassen neben Wasserdampf auch Bakterien, Pilzsporen und Pollen in die Luft steigen, wo diese als Kondensations- und Eiskerne für die Bildung von Wolken und lokalen Regen dienen. Umgekehrt aber lässt sich etwa von Nahost bis China immer öfter eine Feuchte in der Atmosphäre beobachten, die nicht mehr abregnet – anscheinend, weil biologische Kondensationskerne fehlen. Stattdessen finden sich menschenverursachte Staub- und Schwefelpartikel in der Luft, die die Bildung großer Regentropfen verhindern. Wälder produzieren somit ihren Regen selbst.
Sie dienen womöglich auch als globale Wind- und Wettermacher, als „biotische Pumpen“, die das Nass über die Kontinente transportieren, sagt die russische Klimaforscherin Anastassia Makarieva. Millionen von Bäumen erzeugen in Form von Wasserdampf und Wolken riesige Wasserflüsse in der Luft – „fliegende Flüsse“. Der von Bäumen erzeugte Wasserdampf kann dabei in acht bis zehn Tagen 500 bis 5.000 km zurücklegen, wobei etwa die über Eurasien aufsteigende Feuchtigkeit hauptverantwortlich ist für die Niederschläge im Osten Chinas.
Weltkarte der „Fliegenden Flüsse“
Umgekehrt führt Entwaldung zu stärkeren Aufwinden und höheren Wolken, die Niederschläge geringerer Menge, aber stärkerer Intensität produzieren. Mancherorts gibt es sogar „fliegende Dürren“. Im brasilianischen Pantanal, einem der größten Feuchtgebiete der Erde, herrscht seit 2019 historische Trockenheit. Wahrscheinliche Ursache: Der Pazifik westlich der USA hat sich in den letzten Jahren stark erwärmt und verändert globale Luftströmungen.
Wasser steckt nicht nur in Gewässern
Deshalb ist es so wichtig, Wälder, Vegetation und Wasserkreisläufe als globales Kühlsystem des Planeten zu erhalten. Die globale Abholzung sollte gestoppt, der Holz und Papierhunger der reichen Nationen verringert und naturnahe Wiederaufforstung gefördert werden. Große Waldökosysteme wie am Amazonas oder am Kongobecken sollten unter Schutz gestellt und als globale Gemeingüter (Commons) behandelt werden.
Der slowakische Hydrologe Michal Kravcik formulierte 2007 ein neues Wasserparadigma: Wasser werde zu sehr auf Gewässer reduziert, dabei sei es überall – in Böden, Pflanzen, Tieren. Kravcik vergleicht die globalen Wassersysteme mit Blutbahnen des Lebens, weil das Wohlergehen aller Lebewesen von ihnen abhänge. Wetterextreme würden vor allem durch die Störung der großen und kleinen Wasserkreisläufe verursacht. Durch Wassermanagement und Begrünung könnten sie aber regeneriert und Wassermangel entgegengewirkt. Kontinente würden Kravcik zufolge auf Dauer regelrecht austrocknen – durch Entwaldung, Monokulturen, Bodenversiegelungen, denaturierte Feuchtgebiete, Stauungen und Begradigungen von Flüssen sowie durch städtische Kanalisationssysteme.
In der Folge könnten Böden nicht mehr genug Feuchte aufnehmen. Zu viel Wasser verdunste nicht mehr an Ort und Stelle, um dann wieder abzuregnen, sondern gelange über Kanalisation und Flüsse in die Ozeane. Europa habe dadurch in den vergangenen 50 Jahren ungefähr eine Billiarde Kubikmeter Wasser verloren, das früher Böden und Grundwasser speiste.
Der Meeresspiegel steigt laut Kravcik nicht nur wegen der Eisschmelze, sondern vor allem aufgrund dieser schleichenden Entwässerung der Landmassen – in 100 Jahren um schätzungsweise zehn Zentimeter. Die in die Ozeane fließenden Mengen fehlten dann immer dramatischer in den „kleinen“ Wasserkreisläufen über den Kontinenten. Mit strikt dezentralen Auffang- und Speichermaßnahmen könne man dem entgegenwirken. Die frohe Botschaft lautet: Klimaschutz durch Wiederbegrünung ist hochwirksam!
Konkret sollte Entwaldung auf allen Ebenen gestoppt und Wiederaufforstung – mit natürlich wachsenden Mischwäldern – betrieben werden. Auch ist es unabdingbar, die Landwirtschaft auf regenerative Praktiken umzustellen. Der Boden sollte mit Mulch, Zwischenfrüchten und Untersaaten stets bedeckt und begrünt werden. Ausgeräumte Agrarlandschaften sollte es nicht länger geben dürfen. Hecken, Baum- und Blühstreifen sollten Pflicht werden, damit die Feuchte im Boden erhalten, von den Pflanzen transpiriert und zu Niederschlag umgewandelt werden kann.
Über die Autoren
Stefan Schwarzer hat lange für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) in Genf gearbeitet. Seit 2012 lebt er im Projekt „Schloss Tempelhof“ in Kreßberg (Baden-Württemberg), wo er aufbauende Methoden der Landwirtschaft in die Praxis umsetzt.
Ute Scheub arbeitet in Berlin als freie Autorin für verschiedene Zeitungen, darunter „Der Tagesspiegel“, „Frankfurter Rundschau“ und „Süddeutsche Zeitung“. Sie gehörte 1978 zu den Gründungsmitgliedern der „taz“ und war dort erste Umweltredakteurin eines deutschen Mediums. Gemeinsam mit Stefan Schwarzer verfasste sie das 2017 im oekom-Verlag erschienene Buch „Die Humusrevolution“.
Wassermangel vorbeugen: Schon simple Pappelstreifen wirken
In Alt Madlitz im Odervorland demonstriert der Biohof „Gut & Bösel“, dass sich dadurch selbst im trockensten Flecken Brandenburgs die Böden noch feucht und fruchtbar halten lassen. Zukunftsträchtig sind Agroforstsysteme. Sie halten Feuchte in der Landschaft, binden Kohlenstoff in Holz und Humus und bringen Landwirten und Bäuerinnen Mehrerträge durch Holz, Nüsse, Erosionsschutz und positives Kleinklima.
Laut Ivo Degn, Mitbegründer Organisation Climate Farmers, besitzen Agroforstsysteme das Potenzial, global rund eine Tonne CO2 pro Hektar und Jahr zu speichern. Würden auf sämtlichen landwirtschaftlich genutzten Flächen von heute auf morgen große Bäume gepflanzt, dann würde das – rein rechnerisch – bedeuten, die Klimakrise in fünf Jahren erledigen zu können. Auch der Kühleffekt ist beachtlich. Laut der Modellierung eines Wissenschaftsteams um die Meteorologin Merja Toelle aus dem Jahr 2014 könnte die Bepflanzung von nur neun Prozent der Ackerflächen Norddeutschlands mit simplen Pappelstreifen die regionale Landschaft um 1 °C herunterkühlen. Zudem entstehen durch die erhöhte Verdunstung mehr Wolken. Eintreffende Sonnenstrahlen werden durch mehr Wolken stärker zurück ins All reflektiert. Dies sind wichtige Faktoren, die sich positiv aufs Klima auswirken.
Die Studie eines Teams um David Ellison von 2017 zeigte, dass die höchste Neubildung von Grundwasser in Landschaften mit lichtem Gehölzbestand stattfindet, wie er in der Baumfeldwirtschaft üblich ist. Sie ist dort sogar noch größer als in dichten Waldlandschaften. Allerdings sind Baumstreifen in Deutschland bisher nur sehr eingeschränkt in Form einer Dauerkultur möglich. Bauern stöhnen über die enormen Schwierigkeiten, dafür EU-Subventionen zu erhalten, denn hierzulande packen die Ämter Äcker und Wälder in völlig verschiedene Schubladen und Zuständigkeiten. Zwar beschloss der Bundestag im Januar 2021, die Agroforstwirtschaft zu fördern, aber die Details sind noch unklar.
Wassermangel entgegenwirken: Jede Pflanze, jeder Baum zählt
Auch Stadtregierungen und zivilgesellschaftliche Gruppen können sehr viel tun. Berlin, Hamburg, Leipzig und andere Metropolen haben begonnen, sich in „Schwammstädte“ zu verwandeln. Das Konzept sieht vor, kostbaren Regen nicht länger in die Kanalisation abzuleiten, sondern zu speichern – mittels Auffangbecken, Flächenentsiegelungen, größeren Parks und Grünflächen. Häuser könnten grundsätzlich mit Gründächern und Grünfassaden ausgestattet, Terrassen mit Pergolen gekühlt werden. Kleine Gruppen sind zwar nicht in der Lage, den CO2-Gehalt der Atmosphäre messbar sinken zu lassen, aber sie können Nachahmung finden. Jede einzelne Pflanze und jeder einzelne Baum zählt.
Dieser Text ist eine gekürzte Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift „Oya“.
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