pro-agro-Marketingpreis 2023: Wild & Taste
36 Bewerber machen sich Hoffnung auf den pro-agro-Marketingpreis 2023. Drei von ihnen haben wir ausgewählt. Ralf Oehme geht mit seinem Brandenburger Unternehmen Wild & Taste ins Rennen.
Von Jutta Heise
Eine schlechte Nachricht trübt uns diesen Januarmorgen: Keiner der rund 40 bis 50 Jäger im Umkreis von 20 Kilometern, mit denen Ralf Oehme zusammenarbeitet, hat am Wochenende Strecke gemacht. Jeder Schuss ins Leere? Oder war man mal anderweitig unterwegs als auf der Pirsch?
Immerhin – fast alle Wildarten sind im Land Brandenburg jagd- und verarbeitbar. Was für Schwarz-, Reh-, Rot- und Damwild gilt. Aber auch Fasan, Dachs, Nutria besiedeln die Region. Wir treffen Ralf Oehme in Gesellschaft Zweier, die uns Klarheit bringen dürften.
Alfred Bült, genannt Fredi, 72, Landwirt im Ruhestand (wenn das überhaupt geht) und passionierter Jäger seit Jahrzehnten, koordiniert im Auftrag Oehmes die Abnahme erlegten Wildes aus den verschiedenen Revieren, wird – weil nicht nur leidenschaftlich, sondern auch erfolgreich – von Oehme nur „mein königlicher Hoflieferant“ tituliert und ist dem Wildfleischer überdies eine Stütze als perfekter Wildschwein-am-Spieß-Griller bei gastronomischen Events, die Oehme als Teil seines Berufes marketinghalber ebenfalls inszeniert.
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Debatte über den Wildbestand
Fredi ist, als wir ihn treffen, über obige Nachricht allerdings auch ein bisschen sauer, weiß jedoch, dass es zu Anfang des Jahres meist zu Engpässen im Wildankauf kommt, schließlich neigt sich die Jagdsaison 2022/23 rapide ihrem Ende zu. Oder schwinden sie tatsächlich wahrnehmbar, die Wildbestände, wie es derzeit kommuniziert wird? Insbesondere das Schwarzwild, heißt es, sei rückläufig
Forstamtmann i. R. Peter Möhring, wie Fredi Jagdpächter, will da erst mitgehen, wenn es belastbare Zahlen gibt. Die vielen Fährten, die zu lesen der altgediente Forstmann firm ist, der bis 2020 für ein großes Revier samt einem Truppenübungsplatz zuständig war, sprechen ihre eigene Sprache und deuten seiner Ansicht nach auf einen immer noch großen Bestand hin.
Fredi Bült hält dagegen: Die aufgrund eines möglichen Eintrags der Afrikanischen Schweinepest (von der die Region bislang verschont geblieben ist) erlassenen Abschussprämien für Schwarzwild dürften zu einer beträchtlichen Dezimierung der Schwarzkittel geführt haben. Und auch der Wolf, zumindest ein Rudel ist in der Region nahe dem Elb-Havel-Winkel registriert, holt sich regelmäßig Beute. Wobei, es ist insbesondere das Muffelwild, 400 Kopf sind vor Jahren hier ausgesetzt worden, das er gerissen oder vertrieben hat.
In diesem Zusammenhang debattiert das Männer-Trio Für und Wider hochspezialisierter moderner jagdlicher Technik, wozu etwa Mehrfachschuss-Gewehre, Schalldämpfer, Nachtsichtgeräte gehören und die das nachtaktive Schwarzwild auch in der Dunkelheit nicht zur Ruhe kommen lässt. Es werde wohl in absehbarer Zukunft seine Aktivitäten wieder in die helle Phase des Tages verlegen, wie es vor Ur-Zeiten der Fall war, mutmaßt die Runde.
Ausschließlich heimische Wälder
Wildfleischer Oehme, selbst Jäger, legt nun ein schlagendes Argument auf den Tisch: Während er 2020/2021 noch 250 Wildsauen pro Jahr habe verarbeiten können, seien es derzeit nur noch 50 bis 60. So konzentriere er sich nun voll auf Rotwild als Hauptfleisch mit wöchentlich 500 bis 600 Kilo.
Schon seit Längerem müsse er Wild aus zertifizierten Zerlegebetrieben zukaufen, wobei er ausschließlich in heimischen Wäldern gestreckte Tiere erwirbt, kein Gatterwild.
Ehe wir uns auf so weitem Feld verirren, erst recht wenn es jetzt auch noch um die authentischste Art des Jagens gehen, der moralisch-ethische Wert oder Unwert von Ansitz- und Drückjagd sowie Jagd „nach Tritt“ erörtert werden, gar die Debatte um die Novellierung des Brandenburger Jagdgesetzes in die Mangel genommen werden soll – wenden wir uns dem Hauptakteur unserer Geschichte zu.
Erstmal: Oehme ist ein Fan der Natur, kennt sich aus in Wald und Flur, fühlt sich früh zum Weidwerk hingezogen. Für seine Berufswahl ein nicht unwesentlicher Fakt. 2006, mit 26 Jahren, hat er den Jagdberechtigungsschein gemacht. Fleischer, ja, aber keiner für Schwein, Rind, Geflügel wollte er sein.
Stattdessen durchläuft er eine anspruchsvolle Ausbildung zum Fachmeister im Bereich Wild, arbeitet – nachdem er ein paar Jahre branchenfremd seine Brötchen verdient – zunächst im Nebenerwerb im Beruf, ist seit 2018 hauptberuflich unterwegs und gründet seine Firma, die er Wild & Taste (Wild und Geschmack) tauft.
Er verkauft zunächst auf Berliner und Brandenburger Wochenmärkten Wild, Wild und nur Wild. Der Zuspruch ernährt den Mann, bis Corona das Anbieten von offenen Speisen und Getränken im Freien untersagt. 80 Prozent der Einnahmen brechen weg. Einen Wiedereinstieg plant Oehme nicht. „Die Kauflust ist gedämmt, aus bekannten Gründen. Wir haben uns aus diesem Geschäft komplett zurückgezogen.“ Zumal man andere Vermarktungsschienen erobert und überhaupt sehr umtriebig unterwegs ist.
Neue Wege gehen
2021 hat der Wildfleischer eine kleine Gaststätte in Rathenow übernommen und mit viel Kraft und mindestens genauso viel Geld um- und ausgebaut. Während das Verwiegen, die Qualitätskontrolle und Probenahmen des angenommenen Wildbrets im 20 Kilometer entfernten Milow, dem Firmensitz, erfolgen, wird es in der Küche der Gaststätte verarbeitet.
Die gleicht zum Teil dem Cockpit eines Transatlantik-Fliegers. Allein der Abfüllautomat kann 600 Bratwürste in der Stunde produzieren. Man ist nicht nur EU-, sondern auch IFS-zertifiziert, was Transparenz und gleichbleibende Qualität der Produkte auf hohem internationalem Niveau garantiert.
Zeitgleich mit der Eröffnung am 1. April 2022 hat Oehme in einem Teil der Gaststätte einen Hofladen eingerichtet. Was man bei Tisch probiert und tasty, also lecker, befunden hat, kann man in anderer Form mit nach Hause nehmen. Ein Prinzip, das funktioniert.
Parallel dazu hat es Oehme geschafft, mit Wildsoljanka, Wildgulasch und einem Preiselbeerdip in 95 (von 100 angefragten) EDEKA-Filialen im Berliner Raum und in Niedersachsen präsent zu sein. Mit diesen Produkten bewirbt er sich um den pro-agro-Marketingpreis.
Oehme weiß: Wenn schon Fleisch, dann etwas vom Wild, sagen derzeit viele ernährungsbewusste Verbraucher, und das sogar ganzjährig. Oehme kann das gut nachvollziehen: „Die Tiere ernähren sich ja nur von dem, was sie in der Natur finden, das wirkt sich positiv auf die Qualität des Fleisches aus. Es ist kalorien- und fettarm, dafür reich an essenziellen Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Spurenelementen.
Video: pro-agro-Marketingpreis 2023 – Interview mit Ralf Oehme
Den guten Ruf in die Altbundesländer bringen
Er wäre doch nicht von dieser Welt, wenn er den Trend nicht voll ausschöpfen würde, so der Wildfleischer. Der „aus der Nische stärker in die Altbundesländer und deren Ballungszentren expandieren und den guten Ruf der Brandenburger Jäger und ihres Wildbrets über die Grenzen hinaus tragen will“.
Kleiner hat es einer wie er nicht … Die Kapazität der Küche, wo derzeit 300 Gläser pro Woche produziert werden, gäbe das her, und Pläne en masse hat man auch. Gerade laufen die letzten Geschmackstests für vier weitere Delikatessen im Glas, so Rehklößchen und Hirschroulade.
Das kleine Restaurant, das sich mit unterschiedlichen kulinarischen Events, wir nennen „Böhmen-Tag“ (Wildbraten, Knödel, Kraut) und „Schnitzeltag“ (auch vom Wildschwein) bekannt gemacht und Gäste im wahrsten Sinne angefüttert hat, erhält in Kürze Verstärkung durch einen renommierten Koch. An einer Speisekarte mit Wildgerichten der gehobenen Küche arbeite man bereits.
Der „Uli Hoeneß der Wildbratwurst“ möchte er werden, sagt Oehme noch, der auf Wunsch sogar „Spezialanfertigungen“ wie Walnuss-Bratwurst oder ja, auch welche mit Kaffee (!) herstellt, überdies Hauslieferung und Vor-Ort-Kochen anbietet. Hoeneß – äh, wie? Ach so, vier Millionen Würste am Tag produzieren wie dessen Unternehmen? Sportlich, sportlich, so ein Ziel. Oder hat da wer gezwinkert?