Susanna Karawanskij im Interview: Agrarstrukturgesetz in Thüringen
Nach langen Diskussionen hat Thüringens Agrarministerin, Susanna Karawanskij, einen ersten Entwurf für ein Agrarstrukturgesetz auf den Weg gebracht. Die Linken-Politikerin erläutert im Interview Absichten und Inhalte der Regelung.
Das Interview führte Frank Hartmann
Frank Hartmann: Frau Ministerin, nach dem, was vom „Thüringer Agrar- und Forstflächenstrukturgesetz“ bisher bekannt ist, gewinnt man den Eindruck, dass die Linken-Ministerin – gegen jegliche Erwartung – es vermeidet, „radikal“ zu wirken. Täuscht dieser Eindruck?
Susanna Karawanskij: Es geht mir nicht darum, einen „radikalen“ Gesetzentwurf vorzulegen, sondern mein Anliegen ist ein wirksamer, rechtssicherer Gesetzentwurf, der vor allem Transparenz am landwirtschaftlichen Bodenmarkt herstellt. Nur wenn wir wissen, wie, zu welchem Preis und durch wen Agrarflächen gehandelt werden, können wir Gefahren für unsere vielfältige und regional verankerte Agrarstruktur erkennen und entsprechend handeln.
Denn letztlich wollen wir die Agrarflächen vor allem für unsere heimischen Betriebe sichern. Mit diesem Gesetz erhalten wir nun erstmals valide Daten über die Entwicklungen am landwirtschaftlichen Bodenmarkt und bekommen dafür die notwendigen Instrumente an die Hand. Wir haben kein Interesse daran, unseren Agrarbetrieben in ihre Geschäftstätigkeiten hineinzureden oder mit weiteren Verwaltungsauflagen zu belasten.
Das Ziel des Agrar- und Forstflächenstrukturgesetzes ist es, heimischen Betrieben den Zugang zu Agrarflächen weiter zu ermöglichen, damit sie unsere Lebensmittel regional produzieren und vermarkten können.
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Positive Entwicklung der Thüringer Agrarstruktur fördern
Großen Raum im Gesetz nimmt meiner Kenntnis nach die Überführung bisheriger grundstücks- und siedlungsrechtlicher Regelungen, inklusive der von Forstflächen im Landeswaldgesetz, unter das Dach eines Landesgesetzes ein. Einschließlich der Regelungen zum Erwerb von Unternehmensanteilen: Nabelt sich Thüringen damit vollends vom Bundesrecht ab?
Ja, unser Gesetzentwurf ist tatsächlich die Umsetzung der Föderalismusreform. Das vom Bund im Rahmen der bisherigen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen erlassene Grundstückverkehrsgesetz, das Landpachtverkehrsgesetz und das Reichssiedlungsgesetz werden durch ein an die spezifischen Erfordernisse Thüringens angepasstes Landesrecht abgelöst.
Dadurch sollen Verfahrensvorschriften vereinheitlicht und verringert werden. Der Gesetzentwurf hat dementsprechend auch unser übergeordnetes Ziel im Blick, dort wo es möglich ist, Bürokratie abzubauen.
Außerlandwirtschaftliches Kapital oder landwirtschaftsferne Investoren schließt der Gesetzentwurf explizit nicht aus: Warum nicht?
Weil wir Politik im Interesse unserer heimischen Agrarbetriebe gestalten und uns nicht von einer Schwarz-Weiß Sicht auf agrarfremde Investoren leiten lassen. Unter Umständen können agrarfremde Investoren auch positiv auf die Entwicklung der Thüringer Agrarstruktur wirken, indem sie neues Kapital in heimische Agrarbetriebe investieren und so deren wirtschaftliches Überleben sichern.
Problematisch kann es jedoch werden, wenn immer mehr Agrarflächen unter die Kontrolle landwirtschaftsfremder Investoren geraten und Landwirte nur noch Angestellte in ihren eigenen Betrieben werden. Einen schleichenden Übergang von einer vielfältigen, vorrangig durch regionale Betriebe geprägten Agrarstruktur hin zu einer von agrarfremden Investoren und Interessen geprägten Landwirtschaft wollen wir verhindern. Die Landwirtschaft ist systemrelevant. Ihre Aufgabe ist es, vorrangig regional die Ernährung zu sichern und Wertschöpfung in der Region zu generieren.
Verkauf nur noch an Landwirte
Unserer Kenntnis nach kann der Erwerb von Gesellschafts- bzw. Unternehmensanteilen untersagt werden, wenn dem agrarstrukturelle Belange entgegenstehen. Konkrete Versagungsgründe soll der Entwurf aber nicht formulieren. Was schadet der Thüringer Agrarstruktur?
In der Definition, was der Thüringer Agrarstruktur schadet, orientieren wir uns im neuen Gesetzentwurf am bisher geltenden und bewährten Rechtsstand der „ungesunden Verteilung von Grund und Boden“. Dieser Rechtsstand gilt seit 1961 und ist unumstritten.
Maßgeblich ist, dass die Verpachtung oder der Erwerb einer „Maßnahme zur Verbesserung der Agrarstruktur“ entspricht. Das liegt nach der geltenden Rechtsprechung vor, wenn der Erwerbende ein Landwirt ist. An dieser Rechtslage halten wir im neuen Gesetz fest.
Die Anzeige- und Genehmigungspflicht bei Flächenverkäufen und Verpachtungen soll künftig erst ab einem Hektar gelten. Bisher liegt die Grenze bei 0,25 ha. Das dürfte die Verwaltung entlasten. Welche agrarstrukturellen Überlegungen gestatten diese Anhebung?
Tatsächlich erhoffen wir uns von der Vereinheitlichung der Mindestgrenze bei Pachtanzeigen, Grundstücksgeschäften und für das Vorkaufsrecht eine bürokratische Entlastung auf beiden Seiten, für die Landwirte genauso wie für die Verwaltung. Es ist ein Kompromiss zwischen der bisher geltenden Grenze von 0,25 ha und der Bundesregelung von zwei Hektar.
Neu ist allerdings, dass bei der Grenze von einem Hektar bei Kaufverträgen alle Geschäfte der letzten drei Jahre zwischen den Beteiligten zusammengenommen werden, um der Umgehung der Anzeige- und Genehmigungspflicht durch „Stückeln“ vorzubeugen. Für die Grenze bei Pachtanzeigen werden alle Pachtverträge zwischen den Beteiligten in einem Pachtjahr zusammengenommen.
Bodenpreise sollen gedeckelt werden
Dass Pacht- und Kaufpreise nicht ins Unermessliche steigen, ist sicher im Sinne der Landwirte. Ein Blick auf den westdeutschen Bodenmarkt zeigt, welche absurden Preisniveaus möglich sind. Der Entwurf des Thüringer Gesetzes formuliert wohl einen Deckel von 20 % über dem ortsüblichen Niveau, lässt aber regionalen Spielraum: Welche Regionen gaben oder geben Anlass auch strengere Obergrenzen anzuwenden?
Nach geltendem Recht erfolgt eine Preismissbrauchskontrolle erst bei 50 Prozent über dem marktüblichen Preis. Wir sehen im Gesetzentwurf vor, dass in Regionen mit besonders hohen Bodenpreisen diese Grenze bereits bei 20 Prozent über Marktpreis gezogen werden kann.
Das könnte vor allem für die Ostthüringer Regionen mit ihren besonders guten Agrarböden gelten, wo die Preise bereits jetzt weit über dem Thüringer Durchschnitt liegen und wo die Preissteigerungen in den vergangenen Jahren besonders hoch waren. Das Altenburger Land liegt hier zum Beispiel mittlerweile bei über 28.000 Euro pro Hektar. Eine Preisverdopplung im Vergleich zu 2014.
Wie zu erfahren war, räumt der Gesetzentwurf der Landgesellschaft ein, über ihr Vorkaufsrecht erworbene Flächen künftig bis zu zehn Jahre zu halten: Es gab Überlegungen, diese Flächen etwa auch an gemeinwohlorientierte Landwirtschaftsprojekte zu verpachten. Gibt es diese Absicht noch immer und wie werden die Kriterien dafür festgelegt?
Ja, die Haltefrist der Landgesellschaft wird nach dem Gesetzentwurf auf zehn Jahre verlängert und sie kann künftig ihr Vorkaufsrecht auch ziehen, wenn zunächst kein kaufbereiter Landwirt bereitsteht. Die Landgesellschaft hat somit bessere Ausgangsbedingungen, Agrarflächen für regionale Landwirte vorzuhalten und zu sichern.
Sobald ein kaufbereiter Landwirt bereitsteht, gibt die Landgesellschaft die Agrarfläche weiter. Wenn kein kaufbereiter Landwirt zu finden ist, kann die Fläche zur Bewirtschaftung auch verpachtet werden. An wen das dann genau sein wird, werden wir dann in der Praxis sehen. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir auch die Definition des Landwirts erweitern, um den aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen, Hofnachfolgen und Existenzgründungen zu erleichtern.
Das könnte Gesellschafter von Agrarunternehmen, Betriebs- und Existenzgründer betreffen. Denkbar sind auch gemeinwohlorientierte Landwirtschaftsprojekte. Ausschlaggebend wird sein, dass sie den Grund und Boden landwirtschaftlich bearbeiten. Die Prüfung, ob Kauf- oder Pachtinteressenten als Landwirte gelten, erfolgt dann im Einzelfall im Einklang mit dem EU-Recht.