Greenpeace-Gutachten Brandschutz: Tausende „Fälle“ ohne Feuer
Greenpeace kritisiert die Genehmigungspraxis für Großställe im Osten. Der erweckte Eindruck lässt sich indes mit Fakten kaum belegen.
Von Frank Hartmann und Karsten Bär
Politische Verantwortungslosigkeit wirft die Umweltorganisation Greenpeace Bund und Ländern in der seit zwei Jahren schwelenden Debatte um schärfere Brandschutzvorschriften für Nutztierställe vor.
Ein am 15. Mai 2023 veröffentlichtes Rechtsgutachten, das Greenpeace in Auftrag gegeben hatte, kommt zu dem Schluss, dass Vorgaben der Landesbauordnungen fehlerhaft ausgelegt und großzügige Abweichungen gestattet würden.
Direkt genannt werden die Genehmigung und Überwachung „von industriellen Schweineställen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen“. Eine Brandkatastrophe wie in Alt Tellin könne daher jederzeit wieder passieren, urteilt der Berliner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Ulrich Werner.
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Greenpeace-Gutachten kritisiert Brandschutz in Alt Tellin
Im März 2021 verendeten in einer Schweinezuchtanlage in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern bei einem Brand über 50.000 Ferkel und Sauen. Im Auftrag des BUND-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern hatte Verwaltungsjurist Werner, der regelmäßig von Umwelt- und Naturschutzgruppen engagiert wird, die Genehmigungspraxis dieser Anlage begutachtet.
Nach seiner Bewertung seien „sehr großzügige Erleichterungen“ nach der Landesbauordnung gewährt worden. Auf 21.700 m² Stallfläche hätte es 13 statt nur zwei Brandabschnitte geben müssen, so ein Vorwurf. Zu niedrig sei zudem die brandschutztechnische Bemessung der tragenden Bauteile gewesen. Ähnlich lauten jetzt die Vorwürfe bei den in den vier Bundesländern exemplarisch ausgewählten zehn Anlagen, die nach Angaben des Juristen wie in Alt Tellin allesamt zur LFH-Holding gehören.
Greenpeace fordert strengere Regeln
In einer Pressemitteilung fordert Greenpeace Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, „geltendes Recht durchzusetzen und Anlagen zu schließen, in denen Tausende Tiere unter Missachtung des in der Verfassung vorgegebenen Schutzgebots gehalten werden“. Im Gutachten selbst lautet eine Forderung, dass die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung „zur Gewährleistung einer Tierrettung im Brandfall und zum Schutz der Gesundheit der Tiere vor den Folgen von Brandereignissen zu konkretisieren“ sei.
Kürzlich erst hat Özdemir angekündigt, zusätzliche Regelungen zum Brandschutz in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verankern zu wollen (Bauernzeitung 19/2023, S. 21). Auf diese Weise sollen vor allem das Risiko für Brände in großen Tierhaltungen vermindert, eine schnellere Brandbekämpfung sichergestellt und die Chancen für die Tierrettung „maßgeblich“ erhöht werden.
Die zweite Forderung von Greenpeace richtet sich an die Länder, die eine „einheitliche und rechtmäßige Verwaltungspraxis durch die Anpassung der Vollzugshinweise zu den Landesbauordnungen“ sicherstellen müssten. Dazu sehen die Länder aber keine Veranlassung, wie Mecklenburg-Vorpommerns Bauminister, Christian Pegel (SPD) im März im Schweriner Landtag bestätigte.
Seine 15 Länderkollegen hätten auf Bauministerkonferenzen klargestellt, dass sie Änderungen an den Landesbauordnungen nicht für notwendig erachten würden. Zugleich wies Pegel den Vorwurf zurück, dass es Bau- oder Betriebsgenehmigungen entgegen der Landesbauordnung gebe.
Diese gestatteten in allen Ländern bei Sonderbauten – worunter große Stallanlagen fallen – auch Abweichungen von den Regelvorgaben des Brandschutzkonzeptes, wenn alternative Schutzkonzepte einer Überprüfung standhalten. Das Brandgutachten zu Alt Tellin, das keine eindeutige Ursache ermitteln konnte, gehe davon aus, dass das Brandschutzkonzept nicht versagt habe.
Größe nicht die Brandursache
Pegels Parteikollege, Agrarminister Till Backhaus, erklärte, dass Alt Tellin, ob man es wahrhaben wolle oder nicht, technisch auf dem neuesten Stand gewesen sei, genehmigt nach Bundes-Immissionsschutzgesetz: „Die Größe der Anlage war nicht ursächlich für den Brand verantwortlich.“ Enttäuscht zeigte sich Backhaus, dass trotz des Votums der Agrarministerkonferenz einschließlich einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe keine gesetzliche Regelung zum Brandschutz vom Bund aufgegriffen wurde. Dies sei leider gescheitert, auch am Bundeslandwirtschaftsministerium, erklärte der SPD-Politiker.
Wie schon 2021 unter Julia Klöckner (CDU) weist auch heute das Bundesagrarministerium darauf hin, dass die Vorschriften über den Brandschutz an Gebäuden Bestandteil des Bauordnungsrechts sind. Das fällt in die Kompetenz der Länder. Einheitliche Vorschriften über den Brandschutz in das Baugesetzbuch aufzunehmen, sei rechtlich nicht möglich.
Als Reaktion darauf will Mecklenburg-Vorpommern nun per Erlass den Behörden im Land eigene Regelungen an die Hand geben, die etwa Vorgaben zu tierartspezifischen Rettungs-und Fluchtwegen oder zum Vorhalten von Löschwasser machen sollen.
Bauliche Verschärfungen?
Gleichwohl jeder Stallbrand, ob groß oder klein, bei dem Tiere getötet oder verletzt werden, eine Tragödie ist, gilt es abzuwägen, wie dringend bauliche Verschärfungen tatsächlich sind und was sie taugen. Denn den Eindruck, den auch Greenpeace erweckt, dass regelmäßig große Stallanlagen in Deutschland brennen würden oder ein hohes Risiko dazu bestehe, lässt sich kaum belegen, schon gar nicht mit Zahlen.
Das Magazin „Der Spiegel“, das über das Greenpeace-Gutachten ausführlich online berichtete, nennt die Privatinitiative „Stallbrände“, die seit 2019 öffentlich zugängliche Brandfälle dokumentiert, die „Referenz für Daten zum Thema“. Selbst zur Brandschutztagung Ende März in Seddiner See war die Initiative eingeladen, um ihre Ergebnisse vorzutragen. Sie berichtet von bundesweit 3.100 Stallbränden mit 90.000 getöteten Tieren im Jahr 2022.
Stallbrände: Fuchs am Osterfeuer zählt mit
Die Auflistung der Fälle liegt der Bauernzeitung vor. Nach einer Auswertung der Daten zeigt sich jedoch, dass viele der dort erfassten Vorfälle keine Stallbrände sind. So betreffen allein fast 800 Vorfälle den Brand von Feldern, Maschinen auf Feldern oder außer Kontrolle geratene Brauchtumsfeuer. Bei 2.500 Vorfällen lag überhaupt keine Tierhaltung vor.
In nahezu 2.900 Fällen erlitten Tiere keine Schäden (Tod oder Verletzung). Bei Ereignissen mit geschädigten Tieren wurden 97 Fälle mit weniger als zehn betroffenen Tieren gezählt, darunter erfasst auch beispielsweise ein Fuchs, der sich an einem Osterfeuer Verbrennungen zuzog.
18 Fälle betreffen den Brand von Imkerwagen oder Bienenhäusern (die Zahl der getöteten Bienen findet hier freilich keinen Eingang in die Statistik). Neun Vorfälle ereigneten sich in Zoos. Bei Gebäudebränden in landwirtschaftlichem Umfeld geschädigte Kleintiere (Hunde, Katzen, Kaninchen) fallen ebenfalls darunter. Zwei Vorfälle sind etwa unter der Bemerkung „Insektenhotel in Brand“ gelistet. Ausgebrochene Herden, entlaufene Tiere, Havarien oder eine Sabotage in einem Milchviehstall sind ebenfalls erfasst.
Zur Übersichtsliste „Stallbrände, Brände Landwirtschaft, Havarien in Deutschland 2022“
Nach Auswertung der Bauernzeitung fanden sich lediglich 106 Vorfälle mit einem Brandzusammenhang, bei denen Tiere geschädigt wurden. Deren Zahl summiert sich auf knapp 56.000. Es sind 16 Brände mit rund 8.500 geschädigten Schweinen vermerkt, die auf Betrieben mit Schweinehaltung stattfanden. In elf Fällen lassen die Anmerkungen in der Auflistung darauf schließen, dass es sich tatsächlich um Mast- oder Ferkelaufzuchtbetriebe handelt.
Pauschale Daten der Versicherer
Aufgelistet werden 38 Brände, bei denen mindestens ein Rind betroffen war. Insgesamt wurden 585 Rinder geschädigt, einmal 120 Tiere. Brände in der Geflügelhaltung sind 31 erfasst. Die Zahl betroffener Tiere beträgt 45.547 Stück (zwischen 1 und 12.000). Einmal brannte ein Tiertransporter auf der Autobahn, 5.300 Tiere verendeten. Allein sechs Fälle mit insgesamt 25.100 getöteten Stück Geflügel ereigneten sich in Niedersachsen. Dass Ostdeutschland ein regionaler Brennpunkt ist, kann aus den Daten nicht abgeleitet werden.
Als einzig brauchbare Quelle zu Stallbränden gilt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Seit Jahren schon gibt dieser den Richtwert von jährlich rund 5.000 Stallbränden heraus.
Allerdings sagt die Zahl nichts darüber aus, um was für Brände, Ställe oder Tiere es sich dabei handelt oder ob Tiere zu Schaden gekommen sind. Erfasst werden hier feuerversicherte, gemeldete Brände: Das kann von landwirtschaftlichen Ställen bis zur Hobbyhaltung von Hühnern und Kaninchen reichen.