Oder-Konferenz 2023: Goldalge lauert auf ihre nächste Chance
Einen ergebnisorientierten, sachlichen Ansatz, die Oder vor einem neuen Fischsterben zu bewahren, verfolgte der Landkreis Märkisch-Oderland mit seiner Konferenz „Quo vadis, Oder?“ am 2. Juni 2023 im Kreiskulturhaus Seelow.
Landrat Gernot Schmidt, in Personalunion Präsident des Landesfischereiverbandes Berlin-Brandenburg und Vorsitzender des Forum Natur Brandenburg, wollte eine Konferenz „auf Augenhöhe mit polnischen Akteuren“. Es sehe nicht gut aus für die Oder, so Schmidt in der Eröffnung, mit öffentlichen Schuldzuweisungen komme man jedoch nicht weiter.
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Oder-Konferenz 2023: Zu hohe Salzgehalte
Und so berichtet der ostbrandenburgische Landrat, worüber vielleicht Elzbieta Polak, Marschallin der Woiwodschaft Lebuser Land, informiert hätte, wenn sie nicht wegen einer anderen Veranstaltung ihre Einladung nach Seelow abgesagt hätte: was in Polen bisher getan wurde, um illegale Einleitungen zu verhindern, und dass nicht nur der Salzgehalt in der Oder zu hoch ist – in Frankfurt (Oder) werden derzeit 1.400 Mikrosiemens je Zentimeter gemessen – sondern auch die Salzfrachten der Saale kurz vor der Elbeinmündung bei Rosenburg (2400 mikroS/cm) und der Werra bei Witzenhausen (Hessen) mit 4.000 über dem kritischen Wert von 850 mikroS/cm liegen.
Goldalge verursacht Oder-Fischsterben
Ist das Wasser so salzig, kann sich die Goldalge Prymnesium parvum ausbreiten. Sie produziert das Gift, an dem im August 2022 etwa die Hälfte aller Fische in der Oder gestorben ist. Zu den 260 t geborgener Fischkadaver rechnet Dr. Christian Wolter vom Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin weitere 740 t, die auf den Grund gesunken sind, bevor sie geborgen werden konnten.
Tragisch: Erst nach der Katastrophe wurde allgemein bekannt, wie groß der Fischreichtum in der Oder war. Blei, Quappe, Ostseeschnäpel, zahlreiche Gründlingsarten und der Baltische Steinbeißer zählten zu den Opfern der „komplett menschengemachten Katastrophe“, so Wolter. Zudem seien etwa 60 % des Großmuschelbestandes verloren gegangen. Eine Muschel filtriert 100 l Wasser pro Stunde.
Welche Auswirkungen der Verlust hat, sei noch offen, in jedem Fall werde die Oder dadurch noch sensibler für Algenblüten. Den Wissenschaftler beunruhigt besonders, dass die Oder nun mit Prymnesium parvum „geimpft“ ist, Zellen überall nachweisbar sind. Sie können sich auch bei niedrigeren Temperaturen und geringeren Leitfähigkeiten als im vergangenen August massenhaft vermehren.
Oder-Fischbestand und regeneration
Das Positive: „Fisch und Fluss geben sich ernsthaft Mühe, sich zu regenerieren“, sagt Wolter und macht das an den optimalen Frühjahrsbedingungen und aktuellen Beobachtungen der Jungfische fest. Er sieht zwei Möglichkeiten, dem Fluss zu helfen: Die Salzfrachten einzuschränken und die Umweltauswirkungen eines Ausbaus der Oder neu zu bewerten.
Prof. Dr. Krzysztof Lejcus, Direktor des Instituts für Umwelttechnik an der Umweltwissenschaftlichen Universität Breslau, sieht das ähnlich, gibt aber die polnische Sicht zu bedenken: Er vergleicht die Oder mit dem Rhein, geht auf die Bedeutung des Flusses für die polnische Industrie ein, um verständlich zu machen: Es ist nicht einfach, die Salzfrachten zu reduzieren.
Der Strukturwandel, den das Rhein-Ruhr-Gebiet schon hinter sich hat, stehe der polnischen Steinkohleregion noch bevor. Entsalzungsanlagen seien eine milliardenschwere Investition, die angesichts des nahenden Ausstiegs kaum realistisch erscheine. Lejcus gibt zu bedenken, dass auch hohe Stickstoff- und Phosphoreinträge die Algenblüte begünstige.
Bahnausbau klemmt
Der Ausbau des Flusses als Wasserstraße ist laut Lejcus selbst in Polen umstritten. Die Bahn als Transportweg sei viel ökologischer, ihr Ausbau klemmt aber auf deutscher Seite. Das Bundesverkehrsministerium für die Ostbahn zu begeistern, ist ein ebenso zähes Ringen von Land und Landkreis, wie das, Polen vom (rechtlich verbindlichen) Abkommen zur Verbesserung der Wasserstraßen von 2015 abzubringen.
Zahlreiche Oderfischer verfolgten die Konferenz. Außer Probefischen für die Wissenschaft werden sie auf nicht absehbare Zeit die Folgen der Katastrophe ganz direkt spüren. Sie sind auf Unterstützung vom Land angewiesen, zeigten Untersuchungen aus dem Institut für Binnenfischerei Potsdam zu Perspektiven der Erwerbs-und Freizeitfischerei, die Direktor Dr. Uwe Braemick vorstellte.
Auch Ministerpräsident Dietmar Woidke war in Seelow. Seine Aussagen bleiben allgemein: Die Oder sei Lebensader der Region, das dramatische Fischsterben dürfe sich nicht wiederholen. Aber er blieb bis zum Schluss, und das darf vielleicht bei allen Fragwürdigkeiten als Hoffnungszeichen gedeutet werden, zumal der SPD-Politiker wenige Tage zuvor in Potsdam auch den Marschall der Partnerwoiwodschaft Westpommern auf die Probleme angesprochen hatte.
Die Goldalge lauert derweil auf ihre Chance, sich massenhaft zu vermehren. Sonntagsreden werden sie davon ebenso wenig abhalten wie juristische Klagen.