Rote Liste für phytoparasitische Kleinpilze: Fachliche Stellungnahme
Nach Erscheinen der Roten Liste für phytoparasitische Kleinpilze bleibt unklar, welche Auswirkungen dies zukünftig haben könnte. – Eine fachliche Stellungnahme von Prof. Sven Reimann von der HTW Dresden.
Von Prof. Sven Reimann
Rote-Liste-Arten zum Schutz bedrohter Vertreter aus dem Pflanzen- und Tierreich sind bekannt. Mit der kürzlich erfolgten Veröffentlichung „Rote Liste und Gesamtartenliste der phytoparasitischen Kleinpilze Deutschlands“ rückt jedoch eine vollkommen „neue“ Organismengruppe in den Fokus dieser Bewertungen. Das dürfte vor allem Landwirte und Gärtner verblüffen.
Grundlegend muss man den Autoren sicherlich enormen Arbeitseinsatz und Fleiß bescheinigen, um die vorliegenden Daten für die Gruppen der Brandpilze, Rostpilze, Echten und Falschen Mehltaue einschließlich der Weißroste zusammenzutragen, zu bewerten und die resultierende Bestandsaufnahme zu erarbeiten.
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Rote Liste: Relevante Pathogene für Kulturpflanzen
Dem Praktiker wird jedoch schnell klar, dass die aufgeführten Pilzgruppen relevante pilzliche Pathogene an Kulturpflanzen einschließen. Sozusagen eine „Rote Liste für Pflanzenkrankheiten“ – ist das zielführend? So eine Frage mutet skurril an und sorgt gleichsam für Unbehagen in der landwirtschaftlichen Praxis. Daran ändert auch nicht dass sich innerhalb der genannten Gruppen auch zahlreiche ökonomisch nicht relevante Vertreter befinden.
Eine differenzierte Betrachtung der Pathogene unter diesem Blickwinkel ist sicherlich ein möglicher Ansatz. Korrekterweise bescheinigen die Autoren mehrfach in ihren Ausführungen eine in weiten Bereichen ungenügende oder gar fehlende Datenlage, was eine sichere Wertung deutlich erschwert oder gar unmöglich macht. Überraschen kann dies nicht, gehen derzeitige Annahmen davon aus, dass weltweit insgesamt bisher weniger als zehn Prozent aller Pilze überhaupt bekannt und auch erforscht sind.
Die Bedeutung dieser Organismengruppe mit ihren komplexen Leistungen im Ökosystem ist gewaltig. Das ist auch der Landwirtschaft bekannt, nutzt sie doch quasi diese Leistungen tagtäglich. Hier greift wieder einmal ein klassischer Ziel- oder Interessenkonflikt: absoluter Schutz einer Art/Organismengruppe versus landwirtschaftliche Produktion. Soll dieser Konflikt aufgelöst werden – und das muss er –, sind ein hohes Maß an gegenseitiger Akzeptanz und Kompromissbereitschaft erforderlich. Hier muss nach zielführenden Ansätzen gesucht werden, die auch realistische Lösungen aufzeigen.
Wirtschaftlich tragfähige Produktion
Basis aller Leistungen, die von der Landwirtschaft erbracht und/oder parallel erwartet werden, ist und bleibt eine wirtschaftlich tragfähige landwirtschaftliche Produktion. Hierzu zählen insbesondere eine gesicherte Ertragsleistung wie auch Qualität der Ernteprodukte. Der Einsatz von Fungiziden (wie auch Herbiziden, die in der Veröffentlichung parallel von den Autoren als Problem benannt werden) dient dem Erreichen dieser Ziele, und zwar auf einem hohen fachlichen und wissenschaftlich untermauerten Niveau.
Ertragsverluste durch pilzliche Pathogene können erheblich sein (geschätzt an den weltweit acht wichtigsten Kulturpflanzen, circa 15– 20 %, Unkräuter 32 %). Hinzu kommen Qualitätsprobleme, die neben der Haltbarkeit, Lagerfähigkeit, etc. auch die Frage von pilzlichen Toxinen oder Ähnlichem adressieren. Es ist keine realistische Lösung, zum Schutz phytopathogener Pilze in ihrem natürlichen Habitat auf eine vollständig fungizid- und herbizidfreie Bewirtschaftung (einschließlich jeglicher Beizen …) zu setzen, wie in den Hilfs- und Schutzmaßnahmen von den Autoren vorgeschlagen.
Ein Aussetzen fungizider Bekämpfungsmaßnahmen wird jeglichen pilzlichen Pathogenen (nicht nur den Vertretern der betreffenden Roten Liste) das Tor zum Befall der Kulturpflanzen öffnen, mit allen genannten Konsequenzen und Gefahren.
Geringe Qualitäten dank roter Liste?
Dieses Szenario mag man sich gar nicht wirklich ausmalen, negiert es doch in wesentlichen Teilen die erreichten Leistungen der letzten hundert Jahre, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu produzieren. Es ist kaum vorstellbar, dass dies seitens der Konsumenten akzeptiert wird oder gar geringere Qualitäten mit höheren Preisen bezahlt werden. Erschreckend für jeden Praktiker ist auch, wenn die Resistenzzüchtung als Ursache für den Verlust von Pathogenvielfalt aufgeführt wird. Das ist schwer nachvollziehbar. Gerade die Züchtung resistenter Sorten ist einer der wesentlichen Hebel, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf ein minimal notwendiges Maß zu reduzieren.
Wie passen derartige Vorschläge mit den Erfordernissen eines verantwortungsvollen Pflanzenbaus zusammen? In Summe widerspricht dies in weiten Bereichen den Grundsätzen eines guten fachlichen und vernunftorientierten Pflanzenbaus. Wie wird der ökologische Landbau mit diesen Vorstellungen umgehen? Prinzipiell schließen die Betrachtungen auch jegliche Pflanzenschutzmaßnahmen im Ökolandbau ein, die zur Bekämpfung/Reduktion der Erreger führen. Letztendlich wird das Ergebnis bewertet, nicht der Weg. Pflanzenschutz, insbesondere auch der chemische Pflanzenschutz, ist in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau geregelt. An der Stelle sei auch einmal erwähnt, das Pflanzenschutzgesetz stellt neben der Art und Weise der Bekämpfung auch die Notwendigkeit von Pflanzenschutzmaßnahmen klar. Pflanzenschutz basiert unter anderem auf den verpflichtenden Prinzipien der guten fachlichen Praxis als auch dem Konzept des Integrierten Pflanzenschutzes.
Grundlage von Bekämpfungsentscheidungen ist ein fundiert erarbeitetes Schadschwellenprinzip, welches erregerspezifisch sicherstellt, nur notwendige, und damit gerechtfertigte, Bekämpfungsmaßnahmen durchzuführen. Dokumentationspflichten etc. unterstützen diese Prozesse. Die Annahme, chemischer Pflanzenschutz würde Felder konsequent vollständig frei von Beikräutern, Insekten und Pilzen hinterlassen, entspricht nicht der Realität. Über die Verpflichtung einer nachweislichen fachlichen Sachkunde für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sowie weitere Regelungen wird über ein mehrstufiges System ein fachlich korrekter Pflanzenschutz für berufliche Anwender von Pflanzenschutzmitteln abgesichert.
Gemeinsame Lösungen sind zu finden
Mit der Pflanzenschutzmittelreduktionsstrategie hat sich die Landwirtschaft zukünftig weiteren großen Herausforderungen zu stellen, die nachhaltige Veränderungen im Pflanzenschutz und Pflanzenbau an sich mit sich bringen. Bisherige Leistungen sowie der Wille, auch perspektivische Anforderungen umzusetzen, sollten Anerkennung finden und Grundlage für die gemeinsame Lösungssuche sein. Landwirtschaft muss auf qualitativ hohem Niveau produzieren, muss Flächen bewirtschaften und dabei auch zahlreiche weitere wichtige Aufgaben für die Gesellschaft wahrnehmen.
Die erforderlichen Mittel hierzu müssen ihr zur Verfügung stehen, Möglichkeiten und Grenzen müssen realistisch von allen Interessengruppen ausgelotet und respektiert werden. Ein verlässlicheres Bild realistischer Optionen ergibt sich zudem, wenn Fakten stärker im System betrachtet und Ursache-Folge-Wirkungen möglichst umfassend analysiert werden.
Hier fehlt es oft an einer breiteren Betrachtungsweise. Mit Sicherheit kann man annehmen, dass viele Einzelmaßnahmen für separate Ziele nur sehr schwer oder gar nicht zu einem harmonischen Gesamtprozess zusammenfinden werden. Bestenfalls stehen dann hohen Aufwendungen überschaubare temporäre Erfolge gegenüber. Zur Realität zählt auch, dass es noch erheblichen Forschungsbedarf gibt, der einer notwendigen Zeit sowie einer verlässlichen Orientierung bedarf, sollen valide und tragfähige Lösungen geschaffen werden.
Es erscheint etwas zu einfach, von der Landwirtschaft den grundlegenden Verzicht auf Pflanzenschutz sowie die drastische Reduktion von Stoffeinträgen (welcher Art dies auch immer geschehen soll) zu verlangen, und der Annahme zu unterliegen, alle übrigen Prozesse laufen in gewohnter Weise weiter.
Fazit
Alle Ziele müssen gleichwertig betrachtet werden. Möglichkeiten und Grenzen sollten sauber evaluiert und Systembetrachtungen einbezogen werden. Die Akzeptanz von Leistungen und Kompromissbereitschaft für Lösungen vorausgesetzt, sind mit der erforderlichen Zeit und den notwendigen Mitteln sicherlich nachhaltige Wege eruierbar.
Das setzt aber einen offenen Dialog und den Willen zum gegenseitigen Verständnis zwingend voraus. Bleibt zu hoffen, dass die vorliegende Veröffentlichung im Schwerpunkt eine erste Bestandsaufnahme der betreffenden Organismen darstellt sowie der darin eingebundene Maßnahmenkatalog als eine erste Diskussionsgrundlage zu verstehen ist.
Stellungskriege jeglicher Form, einseitige Zuweisungen und Vorurteile würden zu langwierigen Findungsprozessen und beidseitig unbefriedigenden Lösungen führen. Das kann und darf nicht das Ergebnis sein, will man den Pflanzenbau zukunftssicher und nachhaltig weiterentwickeln und seinen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft optimal ausschöpfen.
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