Deutsche Einheit: Landwirtschaft bleibt noch lange ostdeutsch
Der Bericht des Bundes zum Stand der deutschen Einheit konzentriert sich auf die Situation der ländlichen Gebiete Ostdeutschlands. Denn deren Entwicklung droht auch im Westen der Republik. Warum der Bericht nicht ohne Vorurteile über die Agrarstruktur auskommt und was unerwähnt bleibt, kommentiert Frank Hartmann.
Im aktuellen Bericht zum Stand der Deutschen Einheit der Bundesregierung findet sich in der Einleitung eine bemerkenswerte Erkenntnis: „Für die innere Einheit Deutschlands kann es keinen definierten Schlusspunkt geben. Heute ist klar, dass sie vielmehr ein kontinuierlicher Prozess der gegenseitigen Verständigung ist und deshalb eine dauerhafte Aufgabe bleibt.“
Eine Daueraufgabe vor allem in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands, auf die der 2023er-Bericht sein Hauptaugenmerk legt. Nicht nur sei die Situation dort „den ländlichen Räumen im Westen näher als den urbanen ostdeutschen Ballungsräumen“. Nein, die Lage in Ostdeutschland erscheint ihr gar „wie im Brennglas“.
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Schatten fallen auf den Westen
Abwanderung, Überalterung, Lücken in der Daseinsvorsorge, extremer Arbeitskräftemangel, geringere Verdienste und die Landwirtschaft als „ein bedeutender Faktor einer sonst eher mäßigen Wertschöpfung“ werfen ihre Schatten auf die ländlichen Räume Westdeutschlands voraus. Wohlgemerkt: Wenn man sich dem nicht überzeugend entgegenstemmt.
Gerade das lässt die Bundesregierung in mehrfacher Hinsicht vermissen. Der Bericht erwähnt etwa die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK). Sie soll im kommenden Jahr in Ost- und Westdeutschland um 300 Mio. € Bundesmittel gekürzt werden. Davon knapp 165 Mio. € allein im Hauptverbreitungsgebiet dieser Zeitung. Da lobt der Sachstandsbericht die neuen Vermarktungsregeln der BVVG: Noch mehr Flächen fallen in den dünnbesiedelten Räumen des Ostens dem Naturschutz zu. Wachstumswillige Betriebe, ob groß oder klein, gehen leer aus, sofern sie nicht ökologisch wirtschaften.
Realitäten und Vorurteile über den Osten
Ohne Vorurteile kommt auch dieser Bericht nicht aus. So verfügten die größeren Betriebe im Osten über erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber der kleinstrukturierten Landwirtschaft im Westen. Es mag ja stimmen, dass etliche der Großen auch Geld verdienen. Mindestens genauso viele schleppen sich aber nach mehreren Missernten und jahrelang niedrigen Milch- und Fleischpreisen bzw. hoher Kosten von einer Liquiditätskrise zur nächsten. Und zeigen ungeachtet dessen Verantwortung für ihre Dörfer. Im Lagebericht heißt es weiter, dass insbesondere im Süden der Republik nicht selten nur noch im Nebenerwerb gewirtschaftet wird. Man verschweigt dabei, dass der unausweichliche Strukturwandel so nur hinausgezögert wird.
Massentierhaltung und Überdüngung
Hartnäckig aufrecht gehalten wird im 33. Jahr der Deutschen Einheit angesichts großer Stallanlagen im Osten noch immer das Bild der „Massentierhaltung“. Garniert wird dies mit „Überdüngung“ und „Gülleverklappung“. Dass die N-Salden im Osten seit Jahren schon kein Problem und die Viehdichten mittlerweile ein Witz sind, schafft es in keinen Bericht. Es darf nicht wundern, wenn der Bund diesen Ställen nur wenig Hilfe beim Tierwohlumbau zugesteht.
Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sprach kürzlich davon, dass „wir vor lauter Bürokratie, vor lauter Regulierung und lauter Beaufsichtigung uns in ein Knäuel eingewickelt haben, das uns überfordert und viel zu langsam macht“. Jeder Unternehmer werde unter Generalverdacht gestellt, was vor Misstrauen strotze und zu weit gehe. Hierin, das darf festgehalten werden, herrscht unabhängig von der Himmelsrichtung, der Größe und der Branche Einigkeit.