Das System Aldi – mal ganz ehrlich

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Meinung
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Als Bauern sich vor Aldi-Lagern postierten, korrigierte der Discounter seinen Milchpreis jetzt doch nach oben. Doch im Vorfeld ließ man bei Aldi mehr durchblicken, als gewollt.

Es kommentiert Ralf Stephan

Ein klassisches Eigentor fabrizierten die PR-Strategen des Aldi-Konzerns, als sie zu den bäuerlichen Protesten gegen angekündigte Milchpreissenkungen Stellung bezogen. Nord- und Süd-Gruppe des Discounters wollten gemeinsam Stärke demonstrieren. Dummerweise rutschte gleich im zweiten Absatz ihrer Erklärung ein bemerkenswertes Eingeständnis heraus. Für die Landwirte und ihre Molkereien ist es erneute Bestätigung, dass zwischen gesellschaftlichen Diskussionen, politischen Forderungen und den Realitäten am Markt eine tiefe Kluft besteht, die sie auf einem Drahtseil überwinden sollen.

Chefredakteur Ralf Stephan, Bauernzeitung
Ralf Stephan, Chefredakteur der Bauernzeitung (c) Sabine Rübensaat

Weltmarkt hat keinen Platz für Qualitätsmilch

Als gebe es im Land keine endlosen Debatten über nachhaltige Landwirtschaft und über mehr Tierwohl, als streite man nicht fast täglich über die Frage, wie beides zu finanzieren sei, begründet Aldi völlig unbekümmert, warum die Bauern aus Handelssicht weniger Geld für ihre Milch bekommen sollen: „Für die Verhandlung unserer Einkaufspreise orientieren wir uns an Weltmarktpreisen“, heißt es wörtlich. Offen, wenn auch vermutlich ungewollt, gibt der Discounter damit zu, wie viel ihm entgegen den wohlfeilen Aussagen in seinen bunten Werbeprospekten tatsächlich an der regionalen Landwirtschaft liegt: wenig bis nichts. Denn zu Weltmarktpreisen lässt sich in Deutschland keine Qualitätsmilch produzieren. 

Drei Seiten gönnt sich der Konzern für seine Stellungnahme. Eingangs wird noch die Bereitschaft zum konstruktiven Dialog beteuert. Am Ende aber steht die Drohung, „Anfeindungen aus der Landwirtschaft“ würden konstruktiven Gesprächen die Basis entziehen. Aldi selbst ist natürlich die Konstruktivität in Person. Schließlich habe man ja am Spitzengespräch mit Bundeskanzlerin Merkel Anfang Februar teilgenommen. Gewiss. Aber auch etwas mitgenommen? Das wohl eher nicht. Denn zu den Themen, die auf dem Lebensmittelgipfel angesprochen wurden, findet sich auf den drei Seiten kein einziges Wort. Dort nämlich erinnerte die Kanzlerin den Handel an seine Mitverantwortung, für faire Bedingungen in der Lebensmittelkette zu sorgen. Offener als von Aldi lässt sich kaum artikulieren, dass einem herzlich egal ist, was die Politik erwartet.

Gedrückte Preise auch im Supermarkt

Das Beunruhigende daran: Es ist kein Einzelfall. Erst vor wenigen Wochen zeigte Edeka mit großem Tamtam, dass man den Schuss noch immer nicht gehört hat und ein Firmenjubiläum standesgemäß mit Extra-Niedrigpreisen feiert. Kurz danach kündigte Kaufland an, die Kosten für die Übernahme von 100 Filialen der aufgelösten real-Kette reinzuholen, indem man die Einkaufspreise drückt.


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Letzte Erkenntnis: Irgendwo muss auch in den Aldi-Zentralen eine rote Lampe angegangen sein. Sonst hätte es die unfreiwillig ehrliche Stellungnahme nicht gegeben. Nur eins und eins zu addieren braucht man, um dahinter die Sorge vor den Treckern zu vermuten. An etlichen Lagerhäusern fuhren sie Sonntagnacht auch schon auf. Mitunter wurden Lkw-Fahrer daran gehindert, in den Haushalten oft knappe Waren zu den Filialen zu bringen. Die Toleranz der Bevölkerung wird damit schon recht arg strapaziert. Nicht ausgeschlossen sind zudem juristische Folgen.

Schockieren ohne zu blockieren

Die erfolgreiche Schadenersatzklage der Sachsenmilch nach der Blockade von 2008 ist zumindest hier im Osten noch nicht vergessen. Auch deshalb traf man sich nahe Dresden dieses Mal nicht zum Blockieren, sondern um am Grill den Frauentag zu feiern. Die Traktoren standen nur ein klein wenig im Weg. Aber es waren viele. Ganz legal, kühl überlegt und nach Plan aufgestellt. Und deshalb besonders ernst zu nehmen. Dieses Signal dürfte in den Konzernzentralen mehr Eindruck hinterlassen haben als jede Sperre.