Liedermacher Wenzel: „Die Bauernproteste hatten eine enorme Vehemenz“
Seit Ende der 1970er-Jahre findet der Künstler Hans-Eckardt Wenzel in einem Dorf in Vorpommern Ruhe zum Arbeiten. Die Bauernzeitung sprach mit ihm über Landwirtschaft, Bauernproteste, Corona und die Kühe vom Nachbarn.
Von Heike Mildner
Er ist keiner, der ein Blatt vor den Mund nimmt. Er legt es vor sich auf den Tisch und schreibt auf, was raus will: Geschichten, Essays, Gedichte, Liedtexte – und auch mal ein offener Brief. Als Clown machte sich Hans-Eckardt Wenzel über die DDR-Elite lustig, als politisch denkender Liedermacher dieser Tage über Kriegsgewinnler und stramme Verfechter falsch verstandener Wokeness. Er sei eben ein „alter weißer Mann“, singt er, was rein statistisch auch auf viele Leser unserer Zeitung zutrifft. Und da er noch dazu seit den späten Siebzigern das Landleben kennt und schätzt, fragten wir, ob er seine diesbezüglichen Erfahrungen mit uns teilt, freuten uns über die Zusage und trafen uns vor seinem Konzert am 17. Oktober im historischen Bahnhof Gadebusch, der „Station Burgsee“ zum Gespräch.
Das Konzert hier war lange ausverkauft, Sie spielen zum 15. Mal hier. Ein besonderer Ort?
Ich kenne Holger schon sehr lange, er ist großer Bahnhofs- und Eisenbahnen-Freund, hat mit viel Durchhaltevermögen und kreativem Humor den Bahnhof saniert. Und er ist ein verlässlicher Partner, wenn es darum geht, politisch etwas gegen die andauernde Kriegshetze zu unternehmen. Darum spiele ich hier immer wieder gern. Außerdem fahre ich zu Solokonzerten gern mit dem Zug. Da bietet sich ein Bahnhof an. Aber von Berlin hätte ich knapp sechs Stunden gebraucht – länger als in China für die tausend Kilometer von Peking nach Shanghai!
Seit fast 40 Jahren ein Doppelleben
Gerade ist mit „Strandgut der Zeiten“ Ihre 49. CD erschienen, Sie haben Hunderte Lieder geschrieben: Kommt darin, um mal mit der Tür ins Haus zu fallen, irgendwo ein Bauer vor?
Das Landwirtschaftliche kommt schon vor. Seit 1976/77 führe ich ja so eine Art Doppel-Existenz, lebe einen Teil des Jahres auf dem Land, und da hab ich als alter Städter stückchenweise gelernt, mit den Leuten im Zyklus der Natur zu leben: Wann müssen die Kartoffeln rein, welche Sorten, wann kann ich ernten – solche Sachen. Für Tiere fehlt es an Beständigkeit. Ich habe mir so eine Dreiteilung angewöhnt: hundert Tage Land, hundert Tage Berlin, hundert Tage Tournee und 65 Tage frei – aber da oben in der Natur fühle ich mich am wohlsten.
„Da oben“, das war in den ersten Gedichten Schmuggerow, später Bugewitz, ganz im Nordosten am Stettiner Haff. Wie sind Sie dahin geraten?
Mit der Gruppe „Karls Enkel“ hatten wir Ende der 70er ein Probenwochenende in einem alten Bauernhof. Ich bin da Wandern gegangen und habe ein leerstehendes Haus gefunden, habe die Leute im Ort gefragt und durfte es zusammen mit einem Freund nutzen. In Berlin hatte ich im Prenzlauer Berg eine Einraumwohnung mit Außenklo und viel Ablenkung. Schreiben konnte ich am besten da oben: meine Diplomarbeit, Gedichtbände … Ich hatte ja kein Auto, hab mich da absetzen lassen und bin dann manchmal zwei Monate geblieben. Aber irgendwann hat man uns rausgeschmissen aus dem Haus, weil ich als destabilisierende Person eingeschätzt worden war. Aber ich hab immer viel draußen gesessen beim Schreiben, wenn Ernte war, die Mähdrescherfahrer mal zu Kaffee, Bier oder Brause eingeladen. Ich kannte viele, den Förster, den LPG-Vorsitzenden und so, war gut vernetzt, wie man heute sagen würde. Und als die mitbekamen, dass wir rausgeschmissen worden waren, haben sie mir ein anderes Haus besorgt – und so bin ich da geblieben.
Kommentar zur Corona-Zeit: Vieles war falsch
Schon damals waren Sie also „Illegal in Mecklenburg-Vorpommern“ – Ihr Liedkommentar aus der Corona-Zeit. So lustig war die nicht – gerade für Künstler. Was könnte jetzt diesbezüglich helfen außer Galgenhumor? Bessere Aufarbeitung?
Also für mich war es nicht so schlimm, ich hatte Zeit und Ruhe zum Schreiben. Ich habe gelernt, mit wenig Geld zu leben, ich bin nicht abhängig. Aber ich finde, was in dieser Zeit passiert ist – dass die Gesellschaft mehrfach gesplittert wurde und dass da ein Ton angeschlagen wurde, unter dem wir heute noch leiden – es ist überaus notwendig, das aufzuarbeiten. Da sind wirklich Leichen im Keller, die man nicht haben müsste. Es sollte einen Untersuchungsausschuss geben, schon allein um darüber zu reden, wie man sich in einer neuen, ähnlichen Situation verhält. Es gab tausend kleine Bilder, die zeigen, wie falsch vieles war: Dass man die Leute nicht in ihrer familiären Konstellation hat sterben lassen, ist etwas, was sich keine Zivilisation erlauben darf! Oder die Abschottung von M-V: Ich kenne einen Berliner, der wurde nachts aus dem Bett geklingelt: ,Sie haben zwei Stunden Zeit das Land zu verlassen!‘ Die sind hier durch die Dörfer gefahren und haben nach Berlinern gesucht! Ich hatte extra kein Auto mit, bin mit dem Zug gefahren, und die Bürgermeister haben zu uns gehalten.
Im Videoclip zum Lied spielen Schafe mit. Sind das Ihre?
Die gehören unserm Nachbarn, der immer da lebt. Aber sie haben lange bei uns den Rasen kurz gefressen, die Schwarzköpfe. Jetzt hat er sie abgeschafft und dafür Kühe. Und ich hab einen Rasentraktor, weil ich gehofft habe, dass mein 14-jähriger Sohn Interesse am Traktorfahren hat und ich ihn dadurch vielleicht ein paar Stunden vom Handy weglocken kann. Das ist aufgegangen! Wenn sie auf einmal etwas Schöneres in der analogen Welt finden, als die digitale bietet, ist das sehr überzeugend. Das geht nur in der Natur. Hier läuft die Zeit anders.
So hat sich die Landwirtschaft verändert
Sie sind fast 50 Jahre dort im Nordosten, ein Zeitraum, in dem die wortkargen Vorpommern so langsam auftauen im menschlichen Miteinander. Wie hat sich in der Zeit die Landwirtschaft verändert aus Ihrer Sicht?
Es gibt einen interessanten Spiegel-Artikel von 1993, in dem die Situation nach der Wende, die Privatisierung der Flächen und die Konflikte dabei beschrieben werden. Und, na ja, die letzten aufsässigen Bauern sind jetzt gestorben. Letzten Endes ist bei uns so eine Art ökologischer Kolonialismus eingezogen: Zugereiste, die Wiesen stilllegen und überschwemmen. Die Leute aus dem Dorf, die Ahnung haben – das sind ja keine Umweltverbrecher, die da gelebt haben – werden nicht gefragt. Da ist immer eine gewisse Überheblichkeit, die von außen reinkommt und die nicht achtet, was die Leute, also die Bauern, da gemacht haben. In unserer Gegend hat den Großteil der landwirtschaftlichen Gebiete der Herr Vissmann, der Heizungsbauer, gekauft, und der besitzt, glaube ich, mehr Grundstücke als je ein Fürst im Mittelalter dort besessen hatte. Ein Großteil werden jetzt als Photovoltaikflächen genutzt. Das ist ein ganz komischer Prozess, der da in der Landwirtschaft vor sich geht.
Protest ist legitim
Haben Sie die Bauernproteste verfolgt? Haben Sie sich dazu eine Meinung gebildet?
Der Prostest ist legitim, auch um die Eliten der Städte wachzurütteln, die glauben, sie bräuchten die Landwirtschaft nicht, zumindest jene, die tierische Produkte herstellt. Für sie kommt das Essen der Zukunft nicht aus dem Stall, sondern aus dem Labor. Es ist ein Problem der Moderne, wie man mit der Landwirtschaft und überhaupt mit dem Biologischen umgeht. Der Kapitalismus hat nur Interesse an toten Dingen. Nur was tot ist, lässt sich handeln, das hat keinen Anfang und kein Ende. Alles, was lebendig ist, hat ein Ende und ist als Kapital letzten Endes nicht interessant. Der Kampf gegen alles, was biologisch ist, nimmt immer größere Formen an, und die Landwirtschaft wird immer mehr verdrängt. Die Bauernproteste hatten eine enormere Vehemenz, allein durch die Traktoren, wie sie in die Stadt reinfuhren, das fand ich sehr beeindruckend. Der ‚Protest‘, den die Regierung daraufhin gemacht hat, dass man in Berlin einen Feuerwehrmann, weil er den Bauern zugewunken hatte, gleich ein Disziplinarverfahren überhalf, zeigt, welche Furcht man hat.
Und dann waren die Rechtsextremismus-Experten zur Stelle, um zu erklären, welches die falschen Leute und Symbole sind.
Wenn alle Ansichten, die von denen der Regierung abweichen, per se als „rechts“ oder faschistisch abgestempelt werden, verkommt der gesellschaftliche Austausch zu einer Provinzposse. Die Toten des Faschismus werden im Nachhinein verhöhnt, weil man den politischen Gegner unbedingt zu einem Untier machen will, um sich nicht mit ihm inhaltlich auseinandersetzen zu müssen. Demokratie heißt aber nicht, der Regierung zu gehorchen, Demokratie heißt, sie zu kritisieren.
Die Landwirtschaft ist eine Kostbarkeit
Dem Lebendigen statt toten Dingen den Vorzug zu geben, ist gerade nicht so gefragt …
Im Grunde gab es nur drei große antikapitalistische Bewegungen: das Christentum, der Bauernkrieg, der gerade sein 500. Jubiläum feiert – und der Kommunismus. Drei gescheiterte Unternehmungen, die versucht haben, die Fetischisierung der toten Gegenstände irgendwie aufzuheben. Und für mich hatten die Bauernproteste einen Widerhall davon.
Wenn die Gesellschaft die Proteste ernst nähme, wie könnte sie aus Ihrer Sicht anders umgehen mit der Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft als eine viel größere Kostbarkeit anzusehen, halte ich für den ersten Schritt. Als wir groß wurden, gab es einmal in der Woche Fleisch und Weihnachten vielleicht eine Gans. Heute kann das jeder jeden Tag haben – diese Inflation! Aber der Luxus ist immer ein großes Problem. Aber man hat es hingekriegt mit dem Rauchen und man könnte es mit den anderen Dingen auch hinkriegen: eine größere Bewusstheit – dann würden landwirtschaftliche Produkte einen anderen Stellenwert haben, als etwas Kostbares! Nicht nur, wenn sie ein Biosiegel haben. Aber solange an den Fleischtheken in den Supermärkten so ein Zeug liegt, das die Leute kaufen, weil es billig ist, wird ein Umdenken nicht stattfinden. Früher hatte fast jeder auf dem Land ein Schwein oder zwei, die er zu Hause gefüttert hat, das hat auch die Essensreste und manchmal auch subventionierte Brote bekommen, wie wir wissen. Nichts wurde weggeschmissen, und am Ende gab es tausend Mark dafür. Das hieß zwar nicht ökologische Landwirtschaft, aber die Leute hatten eine gute Beziehung zu den Bauern und zu den Produkten. Das ist alles verschwunden, das Fleisch wird industriell hergestellt, weil die Gesellschaft nicht mehr zahlen will …
Stadt-Menschen können vom Bäuerlichen lernen
Wie halten Sie es persönlich?
Bei uns in der Nähe gibt es einen Galloway-Hof, der schlachtet zweimal im Jahr. Ich kenne den Betreiber schon lange, wir sind befreundet, ich kaufe Fleisch nur dort, friere es ein und das reicht dann für ein paar Monate.
Was ist für Sie der größte Unterschied von Stadt und Land?
Das Verhältnis zur Zeit. Städtische oder kapitalistische und bäuerliche Strukturen haben ein anderes Verhältnis zur Zeit. Das städtische ist angeschafft und absurd. Auf dem Land richte ich mich nach den natürlichen Läufen: Kartoffeln rein und raus zum Beispiel. In der Zwischenzeit braucht man Geduld. Da kann der Stadtmensch viel vom Bäuerlichen lernen.
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