Weihnachten im Schafstall: Ein einzigartiges Erlebnis in Hohenbergen
Ein Advents-Gottesdienst der besonderen Art: Erfahren Sie, wie der Hohenberger Hof in Thüringen mit einem einzigartigen Krippenspiel im Schafstall und tierischer Begleitung den Geist der Weihnacht lebendig hält.
Ein Adventsgottesdienst bei Schafen – das ist vor Weihnachten etwas ganz Besonderes: die gelebte Jesus-Geschichte in Stallduft, Stroh und unter manchem „Mäh“. So ganz für sich oder, besser, in der Gemeinschaft. Ein besonderes Format, zu dem Besucher regelrecht pilgern, hat sich in Hohenbergen, einem Ortsteil der Landgemeinde Nottertal-Heilinger Höhen im Unstrut-Hainich-Kreis in einem Schafstall etabliert. Wir finden: eine hügelige Landschaft, knapp 300 Höhenmeter, ackerbaulich geprägt, weniger als 200 Einwohner, Fachwerk – mal hergerichtet, mal im Stich gelassen.
Magische Momente im Advent
Wer die Nacht zu diesem dritten Adventssonntag lange genug bei Punsch und Brätl auf dem winzigen Weihnachtsmarkt im Geviert des örtlichen Landgasthofes ausgehalten hat, konnte die ersten Schneeflocken dieses Winters tanzen sehen. Ein magischer Moment. Jedes Jahr aufs Neue. Am Schafstall auf dem Hohenberger Hof legt man – nur äußerlich gelassen – letzte Hand an. Ein bisschen gespannte Erwartung, so etwas wie Premierenfieber, schwebt in der (inzwischen wieder schneefreien) Winterluft. Eingestellt ist man nach den Erfahrungen der letzten Jahre, wo Zuspätkommer mit einem Stehplatz vorliebnehmen mussten, auf etwa 250 Gäste.
Erst mal machen ein paar schlechte Nachrichten die Runde. Die Jährlinge sind ein bisschen hibbelig. Schäfer Nico Schreiber, auf dessen Schultern, das bescheinigen uns sämtliche Akteure, die Hauptlast bei der Ausrichtung des Events liegt, redet beschwichtigend auf sie ein. Es klappt, dank seiner vertrauten, ergo Ruhe vermittelnden Stimme. Auch während des Gottesdienstes wird er durch den Stallgang gehen und nach den zu beiden Seiten in Pferchen untergebrachten Tieren sehen (530 Muttern plus 115 Zutreter zählt die Merino-Herde).
An der Stirnseite des Stalles wird derweil an der Ausleuchtung der kleinen Bühne gefeilt. Wie geht „Stimmungsvoll-feierlich“ in der Optimalvariante, mehr blaue Stunde, einen Schuss Morgenröte rein? Und als wären der Bad News nicht genug, flüstert mein Banknachbar mir zu: Der Posaunenchor ist immer noch nicht da. Eiwei, das kann die ganze Dramaturgie durcheinanderwirbeln … Das Blöken der Schafe klingt wie ein Buh-Ruf. Zu früh geunkt – schließlich wenden sich, wie in jeder guten Geschichte, die Dinge zum Besten.
Pfarrerin feiert Gottesdienst im Schafstall
Nur wenige Plätze sind freigeblieben, als Punkt 14 Uhr die Posaunen anheben zum: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit …“ Pfarrerin Annemarie Sommer heißt ihre auf Zeit zusammengekommene Gemeinde „willkommen in Stallduft, im Stroh, bei einem Mäh“ und bittet im Interesse der Tiere um ein wenig piano, piano, um die Schafe nicht zu beunruhigen. Auf die Geräuschkulisse und die ungewohnte Menschenansammlung sowie weitere Faktoren, die nicht zum Schaf-Alltag gehören, hat Schäfer Nico seine Merinos per tagelanger Musikberieselung noch mal eingestimmt. Er weiß, das hilft.
Video: Weihnachten im Schafstall in Hohenbergen
Musik im Stall: Wie reagieren die Schafe?
Assistiert wird er von seinem Neffen Louis Kuhles, 14, der auch heute dabei ist. Schon von klein auf habe er sich mit den Tieren beschäftigt, statt seine Freizeit auf dem Gaming-Stuhl zu verbringen, kennt sich mit ihren Eigenarten bestens aus. Sein spezieller Part in Sachen Adventsgottesdienst: mit seiner Trompete testen, wie Schafe auf Posaunenklänge reagieren. Fazit: Sie ertragen es offenbar gelassener als gedacht, sodass man die Musiker 2023 erstmalig ins Programm nahm. Tierwohl mal anders.
Krippenspiel mit aktuellen Themen
Das Krippenspiel beginnt. Ausführende: Hans-Joachim Roth als Herodes, um Christi Geburt Herrscher von Galiäa, der bis heute als herrschsüchtig, brutal und blutrünstig gilt, sogar im Klammern an die Macht und die „guten“ alten Zeiten seine Söhne ermorden ließ, folgt man überkommenen Quellen. Bibelkundige wissen Bescheid. Im Dialog diskutieren Herodes und seine vierte Ehefrau, Malthake, dargestellt von Katja Roth, im echten Leben Hans-Joachims Angetraute, das brisante und über alle Zeitläufe aktuelle Thema der Angst vor Macht- und Bedeutungsverlust, vor dem Nachrücken Jüngerer mit neuen Konzepten, Generationsbashing eingeschlossen. Schwere Kost, aber ein bisschen locker aufgearbeitet. In uns allen stecke wohl ein kleiner Herodes, kommentiert Pfarrerin Sommer die Moral von der Geschicht‘ mit der Botschaft: Nimm dich nicht so wichtig, sieh dich als Teil eines Ganzen. Zeiten ändern sich auch ohne dich, begegne Umbrüchen ohne Angst. Weil die lähmt, etwas Neues anzugehen, auch wenn du meinst, deine Uhr sei abgelaufen.
Katja Roth hat den Dialog mit ihrer Tochter Marie verfasst. Die Familie ist gemeinsam mit Mitarbeitern die RMT Landwirtschafts KG Hohenberger Hof, ein Ackerbaubetrieb, der den Anbau von Beerenobst auf 1,5 ha, teils zur Selbstpflücke, (saisonal ergänzt mit Weihnachtsgeflügel) in sein Portfolio nahm, seit Marie nach dem Studium der Agrarwissenschaften und einer Tätigkeit in einer Saatgutfirma in den elterlichen Betrieb zurückkehrte.
Weihnachten im Schafstall: Eine neue Tradition
Am Vortag hatten wir Pfarrerin Annemarie Sommer über den Ursprung des Formats befragt. Genau genommen, erzählt die 40-Jährige, gehöre Hohenbergen nicht zu ihrem Kirchenkreis mit seinen acht Gemeinden und ca. 1.000 Christen, in dem sie seit neun Jahren tätig ist. Allgemein habe aber die Wahrnehmung bestanden, dass ein Krippenspiel zu Weihnachten an den Folgen der gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit scheitere. Abwanderung, weniger Kinder, hoher Altersdurchschnitt der verbliebenen Bevölkerung – woher das Tableau nehmen?
So sei die Idee entstanden, ein regionübergreifendes Event zu kreieren, das der Weihnachtsgeschichte am nächsten kommt und man mit allen Sinnen wahrnehmen kann. Familie Roth, für ihr soziales Engagement bekannt, und Schäfer Nico Schreiber sprangen aus dem Stand mit ins Boot. 2016 startete der erste Gottesdienst „unter Schafen für Zweibeiner“ mit einem von Sommer und einem Kollegen geschriebenen Krippenspiel, das Hektik und Unruhe vor dem Weihnachtsfest in den Fokus nahm und mit Erwachsenen aus der Region aufgeführt wurde: ein Modell, das man beibehielt. Gemeinsam Adventslieder singen, die Nähe des Nachbarn und mal wieder Stroh unter den Füßen zu spüren in der Kälte des Stalls, dabei die Schafe zu hören, diese spezielle, authentische wie schlicht bäuerlich-bodenständige Atmosphäre sei der besondere Reiz, der schon dem ersten Event „eine volle Hütte“ bescherte.
Pfarrerin ist seit 9 Jahren in Hohenbergen
Auch 2018 und nach einer corona-bedingten Pause wieder 2023 war man erfolgreich. Gottes Wort ist nicht an Kirche gebunden, bekräftigt Sommer. Menschen, die nicht in die Kirche gehen wollen, fänden in Formaten wie diesem niederschwelligen Zugang zu Weihnachten und dem Sinn dahinter. Es sei Teil des Ausprobierens, wie Kirche unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen (wozu auch Krieg, Krisen, eine ganze Welt im Umbruch zählen, fügen wir hinzu) und in Zukunft gehen könne. Sommer folgt dem mit Überzeugung, ist eine unkonventionelle Pfarrerin.
Man kennt sie in der Region auch als Extremsportlerin, die Radrennen fährt und Marathon läuft. Als Pfarrerin gehe sie dorthin, wo Menschen sind, habe auf Traktorentreffen und jüngst auf Weihnachtsmärkten Andachten gehalten. Solche Modelle finden übrigens den ungeteilten Zuspruch der Landeskirche: Haltet nicht an Altem fest, wenn es sich überlebt hat, probiert neue Ideen aus, wenn sie von unten kommen.
Nach einem Psalmgebet erbittet die Pfarrerin Mut und Raum für Begegnungen trotz der Herausforderungen unserer Zeit, man singt oder summt Schulter an Schulter. Vor dem Tor hat der Heimatverein Issersheilingen heiße Getränke bereit. Schäfer Nico Schreiber wird schon morgen den Stall in seinen gewohnten Zustand zurückversetzen. Und jener Teil der Herde, der ihn für die Zeit der Vorbereitung und während des Gottesdienstes verlassen musste, wird seinen angestammten Platz einnehmen. Dann naht auch bald die Lammzeit, die „Ernte“ eines Schäfers.
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