Schilf-Glasflügelzikade: Bedrohung für Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse
Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich rasant aus und stellt Landwirte vor große Herausforderungen. Erfahren Sie mehr über die aktuelle Situation, Bekämpfungsstrategien und Forschungsergebnisse.
Im Vorfeld einer Fachtagung des Julius-Kühn-Instituts (JKI) stellten sich Prof. Dr. Jürgen Gross, Leiter des JKI-Institutes für Obst- und Weinbau, und Dr. Sabine Andert, JKI-Leiterin des Institutes für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, den Fragen der Journalisten. Zum Auftakt informierte Prof. Gross kurz über die Zikade, die vor allem Anbauer, Verarbeiter, Beratung und Wissenschaft angesichts ihrer rasanten Ausbreitung vor ungekannte Aufgaben stellt.
„Tatsächlich steht die Schilf-Glasflügelzikade immer noch auf der Liste der bedrohten Arten – auch wenn das inzwischen nicht mehr stimmt.“ Sie sei lange sehr selten gewesen, deshalb nicht gut erforscht, erklärte der langjährige Vektor- und Phytoplasmenforscher. Sie kam nur auf Schilfgras vor, bis sie in den 1990-ern in Burgund, Frankreich, erstmals an Zuckerrüben aufgetaucht sei und den Anbau dort sehr schnell zum Erliegen gebracht habe. Daraufhin sei sie dort wieder verschwunden.
Zikade bereitet sich seit 2008 aus
Ab 2008 jedoch habe sie sich in Deutschland, ausgehend aus dem Raum Heilbronn, sehr schnell und stark verbreitet: „An Zuckerrüben hat sie inzwischen die meisten Bundesländer erobert, 2022 ist sie auf die Kartoffel übergegangen und seit letztem Jahr auf Gemüsekulturen, allen voran Rote Bete und Karotte. Daneben gibt es Funde in weiteren Kulturen wie (Wurzel-)Gemüse, Erdbeeren, Kräuter, Kohl oder Spargel.“

Das ließe den Schluss zu, dass die Zikade offenbar extrem wenig spezialisiert ist, diese Arten seien ja zum großen Teil nicht miteinander verwandt. Als eine Erklärung könnten die riesigen Populationen dienen, die sich auf befallenen Flächen aufbauten: So gäbe es Felder, auf denen an jeder Pflanze 50 bis 100 Nymphen hängen. Dieser Druck treibe die Zikade möglicherweise dazu, weitere Pflanzenarten zu besiedeln.
Lebenszyklus der Zikade
Folgendes, erklärte Prof. Gross weiter, sei über den Lebenszyklus der Schilf-Glasflügelzikade bislang bekannt: Nach einer zwei- bis dreimonatigen Flugphase, beginnend etwa Mitte/Ende Mai, legt sie Eier im Boden ab. Die Larven, Nymphen genannt, fressen an den Kartoffeln oder Rüben und bleiben nach der Ernte im Boden, wo sie schnell in tiefere Bodenschichten abwandern. Sie überdauern an den Wurzeln des meist folgenden Winterweizens oder anderer Nachfrüchte, bis im Folgejahr adulte Zikaden schlüpfen, die in neue Zuckerrüben- oder Kartoffelbestände einfliegen. Dort übertragen sie bei ihrer Saugtätigkeit sehr schnell zwei Erreger: das Stolbur-Phytoplasma (Candidatus Phytoplasma solani, kurz PHYPSO) sowie ein Proteobakterium (Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, kurz ARSEPH). Nicht infizierte Zikaden nehmen die Erreger von befallenen Pflanzen auf und übertragen sie weiter, ARSEPH kann sogar über die Eier an die Nachkommen übertragen werden.
SBR und Stolbur: Befallsflächen und Bekämpfungsstrategien
Dr. Sabine Andert vom JKI-Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland konnte neue Zahlen zu den Befallsflächen in Deutschland bereitstellen: Danach sind SBR- und Stolburbefall im vergangenen Jahr auf 85.000 ha Zuckerrübenflächen und 22.000 ha Kartoffeln nachgewiesen worden. Zu befallenen Gemüseflächen gibt es bislang keine Befallszahlen. „Mit Ausnahme von Schleswig-Holstein haben wir in allen Bundesländern Fänge an Klebefallen zu verzeichnen. Im Norden und Osten noch wenige, aber es gibt dort auch schon ‚Hotspots‘. Wir erwarten die weitere Ausbreitung in den kommenden Jahren“, fasst die Wissenschaftlerin zusammen. Um so wichtiger sei es daher, dass Forschung, Beratung und Wirtschaft sich gemeinsam um Bekämpfungs- und Kontrollstrategien bemühen.

Zahlreiche Kooperationen haben hier vor allem im vergangenen Jahr angesetzt, um nach solchen Strategien zu suchen. Dabei habe sich herauskristallisiert, dass die Fruchtfolge derzeit die effizienteste Möglichkeit zur Unterbrechung der Populationsdynamik der Zikade sei: „Klassisch steht nach der Zuckerrübe Winterweizen, dessen Wurzeln bieten den Nymphen Nahrung. Auch weitere Winterkulturen einschließlich Zwischenfrüchten tun das. Topfversuche am LTZ Augustenberg haben ergeben, dass die Überlebensraten der Nymphen im Boden unter Zuckerrüben bei 60 % liegen, an Weizenwurzeln bei 50 %, an Gerste bei 30 %, an Senf und Soja bei 10 %, an Ölrettich und Ramtillkraut noch bei etwa 5 %. Leider sind derzeit keine Zwischenfrüchte bekannt, die einen vergrämenden oder abtötenden Effekt haben könnten.“
Einzig die Schwarzbrache, fährt sie fort, sorgt für eine deutlich erhöhte Mortalität der Nymphen, weil Nahrung fehlt. Hier liege die Überlebensrate bei nur 2 %. „Damit ist Schwarzbrache die einzige uns momentan bekannte Strategie zur Populationsbegrenzung.“

„Natürlich“, fügte Prof. Gross im weiteren Verlauf des Gespräches an, „ist uns die Brisanz dieses Ergebnisses sowohl aus regulatorischer als auch aus ackerbaulicher Sicht bewusst. Das kann keine langfristige Strategie sein. Aber wir Wissenschaftler können eben nur Daten liefern, am Ende muss die Politik entscheiden.“
Zu eventuell positiven Auswirkungen verschiedener Bodenbearbeitungsvarianten konnte Dr. Andert noch keine belastbaren Ergebnisse liefern. „Die Tiere wandern nach der Ernte schnell in die Tiefe. Möglicherweise kann eine Pflugfurche unmittelbar nach der Ernte die Nymphen schädigen, da braucht es aber weitere Untersuchungen.“
JKI: Streifenversuche zu Bekämpfungsstrategien
In Streifenversuchen an 41 Standorten hat das JKI im vergangenen Jahr gemeinsam mit weiteren Akteuren Insektizide und verschiedene Pflanzenhilfsstoffe und -stärkungsmittel auf ihre Wirksamkeit untersucht. Hier gibt es, kann Dr. Andert konstatieren, vielversprechende Ergebnisse durch den Einsatz von Insektiziden. Eine Bekämpfung wird jedoch immer schwierig sein, weil der Zuflugzeitraum sehr lang ist und die Krankheit schon mit den ersten Probestichen übertragen werden kann. „Wir setzen die Versuche fort, am Ende dieses Versuchsjahres werden wir auskunftsfähiger sein. Uns ist allerdings daran gelegen, auch geeignete biologische Produkte zu untersuchen, denn wir wissen, dass die geprüften Präparate – Pyrethroide, Flonicamid und Acetamiprid – aus gesellschaftlicher Sicht diskussionswürdig sind.“ So hätten einjährige Versuche mit insektiziden und biologischen Beizvarianten an Folgekulturen auch ertragsrelevante Effekte ergeben, auch hier ist weitere Forschung nötig.
Schilf-Glasflügelzikade: Kein Pflanzenschutzmittel zugelassen
Derzeit sei kein Pflanzenschutzmittel gegen die Schilf-Glasflügelzikade zugelassen. Jedoch gäbe es sowohl für Zuckerrüben als auch Kartoffeln Anträge auf Notfallzulassungen, die derzeit geprüft würden. Dr. Andert bremst allerdings zu hohe Erwartungen: „Wegen des langen Zuflugzeitraumes und der schnellen Übertragung ist nicht damit zu rechnen, dass eine Notfallzulassung in diesem Jahr erfolgversprechend ist.“
Obstbau: Pilz Pandora Cacopsyllae
Neben den konventionellen Strategien befasst sich die Wissenschaft auch mit alternativen Bekämpfungsmöglichkeiten, die stellte im Anschluss Prof. Gross vor. Da wäre zum einen der entomopathogene Pilz Pandora Cacopsyllae. Dieser aus dem Obstbau bekannte Pilz befällt Schaderreger, in diesem Fall die Nymphen der Zikade, und bringt sie zum Absterben. „Ich stelle mir eine biologische Bekämpfung etwa mithilfe eines Granulates vor, das in den Boden eingearbeitet wird und die Nymphen abtötet. Aber natürlich ist das noch ganz am Anfang.“
Ein weiteres spannendes Projekt, ergänzt der Wissenschaftler, befasse sich mit den Gesängen der Zikaden. Hier gäbe es Untersuchungen aus den USA an dortigen Rebzikaden: „Wir könnten eine Art künstlichen Rivalengesang erzeugen, der die Männchen dazu treibt, immer weiterzusingen, anstatt die Weibchen zu befruchten. Bei den Rebzikaden klappt das, da singen die Männchen, bis sie vor Erschöpfung tot vom Blatt fallen.“
Schilf-Glasflügelzikade: Notfallzulassungen gefordert
Auch Lock- oder Repellentstoffe werden auf ihre Eignung als biologisches Hilfsmittel untersucht, ebenso Mikroorganismen. Hier, sagt Prof. Gross, „könnten die Kulturen mit Stoffen besprüht werden, die die Zikaden daran hindern, in die Bestände einzufliegen. All diese Projekte sind aber ausnahmslos sehr langfristig gedacht. Bis dahin brauchen wir Notfallzulassungen und Schwarzbrache, um den Anbau zu erhalten.“
Ebenso, auch diese Entdeckung wurde wie alle anderen auf dem Fachgespräch vorgestellt, gibt es eine Wildkartoffelart, die für die Zikade tödliche Inhaltsstoffe enthält. Sie könnte unter Umständen als Fangpflanze eingesetzt werden, aber auch hier sind die Untersuchungen noch nicht weit fortgeschritten.
Angesprochen auf züchterische Erfolge in den Kulturen selbst, gab sich Prof. Gross eher zurückhaltend: „Wir haben in Zuckerrüben Sorten mit einer Toleranz gegen das Proteobakterium gefunden, aber es gibt keine gegen das Stolbur-Phytoplasma. Generell ist die Rübe genetisch eher eng, da sehe ich auch nicht wirklich, dass wir etwas finden. Stand jetzt gibt es keine Sorten mit einer Überlegenheit gegenüber anderen. Das Genom der Kartoffel ist deutlich breiter, da gibt es durchaus Kandidaten, die bei Befall ertragsstabiler sind als andere. Da sind die Züchter aber noch viel zu sehr am Anfang. Wenn sie moderne Züchtungstechniken nutzen dürften, wäre sicher eher eine Lösung in Sicht.“
Fazit: JKI fordert Strategien zur Kontrolle
Die weitere Entwicklung sei nicht vorhersehbar, wurde deutlich. In Hessen sei bereits der Saatkartoffelanbau eingestellt worden. Wenn das in Bundesländern mit viel Saatkartoffelerzeugung passiere, sei das ein ernstes Problem. Zudem treten neue Symptome an Lagerkartoffeln auf, die als eigentlich gesund ins Lager gingen. Sie zeigten Druckstellen, die Abschläge zur Folge haben können. In Sachen Bekämpfungsstrategien sei man zu dem Schluss gekommen, dass es keine Einzelmaßnahmen gebe, die empfohlen werden können. Das JKI spreche sich für einen kombinierten, komplexen, integrativen Bekämpfungsansatz aus, mit dem das Problem kurzfristig angegangen werden könne. Kontrollstrategien müssten über die gesamte Fruchtfolge gedacht werden.
Ein solcher kombinierter Ansatz aus Fruchtfolgegestaltung, Düngung, Insektizidbehandlung und weiteren Maßnahmen wurde im vergangenen Jahr in einer großflächigen Modellregion in Baden-Württemberg und Bayern ausprobiert. Laut Dr. Andert war zu erkennen, dass im Inneren der Modellregion die Erträge positiv auf die Maßnahmen reagierten.
Mehr Informationen über die Zikade und die Krankheiten finden Sie auch auf der Seite des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft unter www.praxis-agrar.de

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