Ran an Kiel und Stiel
Im brandenburgischen Blankensee pflegt die Dorfgemeinschaft seit Jahrzehnten uralte Bräuche: Während die Frauen beim Federreißen für weiche Daunenkissen sorgen, schnitzen Männer aus Nadelbaumspitzen Quirle.
Von Bärbel Arlt
Fotos: Thomas Uhlemann
Ab in die Federn – heißt es einmal im Jahr in Blankensee. Doch dann verschwinden die Dorffrauen abends mitnichten in den Federn, sondern machen sich auf ins Bauernmuseum, wo bergeweise federleichte Arbeit auf sie wartet. Die Männer folgen ihnen. Zur Feder greifen sie allerdings nicht, sondern recyceln Spitzen übrig gebliebener Weihnachtsbäume.
Die Rede ist von einer alten dörflichen Tradition – von Federreißen und Quirleschnitzen. „Diese Arbeiten gab es früher auf dem Land überall an langen Winterabenden. In geselliger Runde rupften die Frauen Federn, die Männer schnitzten Quirle. Und während Federn und Holzspäne flogen, wurden Geschichten erzählt und der neueste Dorfklatsch ausgetauscht. In Blankensee werden diese Traditionen seit rund 25 Jahren wieder gepflegt“, weiß Carola Hansche, Leiterin des Bauernmuseums.
Treff von Jung und Alt
In diesem Jahr haben sich rund 35 Teilnehmer im Raum über der Museumsschänke zusammengefunden – Alteingesessene und Zugezogene, Junge und Alte sowie Neugierige aus den Nachbardörfern. Auch wir durften dabei sein. Doch bevor es den Federn und Baumspitzen an die Kiele beziehungsweise Stiele geht, wird auf den geselligen Abend – so will es der Brauch – angestoßen. „Das gehört dazu“, sagt Evelyn Lieber vom Verein der Dorfgemeinschaft. Und dann nehmen – auch das will der Brauch – Frauen und Männer getrennt an verschiedenen Tischen Platz, und das Spektakel nimmt seinen Lauf.
Die Älteste vom „alten Stamm“ ist an diesem Abend die 82-jährige Lisa Brauße, die das Federreißen schon aus ihrer Kinderzeit kennt, natürlich genau weiß, wie man das Gefieder am besten von den festen Kielen trennt, und dazu rät, nur die weichen Teile abzuzupfen. „Und der Kiel darf auf keinen Fall mit ins Kissen, sonst pikt es im Bett“, lacht Regina Weiß. Außerdem mache er das Inlett kaputt, das übrigens mit Kernseife versiegelt wird. „So können die Federn nicht raus“, sagt die 70-Jährige und plaudert beim Rupfen und Zupfen ein bisschen über die alteingesessene Bauernwirtschaft ihrer Familie in Blankensee, in der Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen und immer auch so um die 50 Enten und Gänse gehalten wurden. „Federn wurden früher im Kuhstall gerupft“, erinnert sie sich. Da war es schön warm, wurden die neusten Dorfgeschichten ausgetauscht, gern auch mal einer gezuppelt, und zum Schluss gab es Pfannkuchen mit selbstgemachtem Pflaumenmus und hausgemachtem Wein. Und auch die geschlachteten Gänse mussten noch warm sein, damit sich die Federn gut entfernen ließen. Zum Auskühlen wurden die Tiere dann geschützt vorm Fuchs an den Beinen aufgehängt und die Flügel über Kreuz zusammengebunden, „damit die Brust schön rauskommt“, erklärt Regina Weiß.
Und schon hat die lustige Frauenrunde ein neues Thema: Der Fuchs sei heute nicht mehr das Problem, sondern der Waschbär. Er fresse die Katzennäpfe leer und werde zur Plage, sogar eine Waschbär-Todesstrecke soll es geben. Gespannt und mit einem Schmunzeln im Gesicht hört Kathrin Warnke den alteingesessenen Dorffrauen zu. Die 38-Jährige ist beim Federreißen zum ersten Mal dabei, und Ehemann Oliver übt sich im Quirleschnitzen. „Das ist eine gute Gelegenheit, die Dorfgemeinschaft mal kennenzulernen“, sagt sie. Seit einem Jahr wohnen sie in Blankensee und haben ein altes Fachwerkhaus ausgebaut, das zu den ältesten Gebäuden im Ort gehört. Regina Weiß kennt es natürlich: „Da habt ihr euch ganz schön was vorgenommen“, sagt sie und berichtet davon, dass die älteren Leutchen, die dort mal wohnten, gern Zigarre rauchten. Und auch bei den anderen Frauen wird eifrig geplaudert.
Spaß muss es machen
Bei den Männern ist das nicht anders, jeder Quirl und das mitgebrachte Werkzeug werden fachmännisch begutachtet und mal mehr, mal weniger gelobt. Roland Sachse schwört auf Baumspitzen aus Kiefer, andere auf die Nordmanntanne. Egal. Hauptsache, es macht Spaß. Und das tut es. „Deshalb stand der Termin fest im Kalender“, verrät André Niedersaetz aus dem Nachbarort Glau und legt uns gleich noch den Landschaftsförderverein Nuthe Nieplitz ans Herz, in dem er sich in der Arbeitsgruppe Ornithologie engagiert. Ralf Schrubstock vom neuen Vorstand des Dorfgemeinschaftsvereins ist zum ersten Mal dabei. Eigentlich stamme er aus Kiel und sei der Liebe wegen in Blankensee gelandet. Und – ich traue meinen Augen nicht – da hat sich doch eine Frau in die Schnitzerdomäne gewagt: „Klar haben die Männer protestiert und wollten mich zum Federreißen schicken. Doch wir leben schließlich im Zeitalter der Emanzipation, und außerdem arbeite ich gern mit Holz“, sagt Michaela Brauße. Vater und Imker Jürgen Brauße, der neben ihr sitzt und den Dorfverein einst mitgegründet hat, entgegnet verschmitzt: „Wenn du mir nachher noch einen Schnaps holst, geht das in Ordnung. Wir Männer sind ja tolerant.“ Und so darf sich auch die 23-jährige Enkeltochter Madina nach dem Federreißen zur lustigen Runde der Quirleschnitzer gesellen. Sie ist an diesem Abend mit die Jüngste, und der 23-Jährigen ist es wichtig, alte Bräuche kennenzulernen, sie am Leben zu erhalten und weiterzugeben, so wie schon Generationen vor ihr.
Am Ende des geselligen Abends, der mit einem großen Kuchenessen endet, sind rund 30 Quirle geschnitzt und vier kleine Kopfkissen gestopft. „Sie werden voraussichtlich im Museum verkauft“, sagt Carola Hansche, die zufrieden ist mit dem Traditionsabend: „Es festigt die Dorfgemeinschaft, bringt neue und alte Blankenseer zusammen und gehört damals wie heute zum Landleben einfach dazu.“ Und dazu zählen auch die übers Jahr verteilten Backtage, die diesjährige Sonderausstellung „Durchgehechelt – Geräte zur historischen Flachsbearbeitung“ ab Mai im Bauernmuseum und die historische Roggenernte Ende Juli.
Mehr zu der Tradition auf www.bauernmuseum-blankensee.de