Weizen boomt – doch die Produktion macht Sorgen

Im Getreidehafen am Liegeplatz 17 ankert das bisher größte in Rostock beladene Schiff: Die „Magsenger 19“ nahm hier im August 2013 rund 95.000 t Gerste auf. (c) HaGe Kiel
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Dem Absatz von Getreide hat die Coronakrise kaum geschadet. Eher im Gegenteil: Weizen machte beim Verkauf zuletzt viel Freude. Trotzdem blicken die Anbauer mit Unbehagen auf die nächste Ernte.

Von Gerd Rinas, Karsten Bär und Frank Hartmann

Der Weizenexport aus dem Rostocker Überseehafen brummt wie lange nicht. „Daran war im vergangenen Herbst nicht zu denken“, sagt Niklas Gluth-Mansfeldt, Getreidehändler bei der Hauptgenossenschaft (HaGe) Nord, Kiel. Noch im September schmähte der Markt die neue Ernte. „Im November, Dezember ging die Sause los. Im Januar wurde in Rostock ein Schiff nach dem anderen voll gemacht“, berichtet Gluth-Mansfeldt.

Dabei hätten die Exporteure vor Ort und die Euroports Getreide Service Rostock GmbH als Dienstleister eng zusammengearbeitet. Neben der HaGe verfügen die Unternehmen GT Rostock (Beiselen), Ceravis, RGL (ATR und ADM Germany) sowie die Getreide AG über eigene Silo- und Umschlagsanlagen im Rostocker Hafen. Hier wird seit Jahren so viel Getreide exportiert wie in keinem anderen deutschen Hafen.

Corona trübte die Laune

Die ersten Meldungen zum Coronavirus im Februar trübten die gute Stimmung bei den Händlern aber schlagartig: Was, wenn Mitarbeiter sich infizieren und die Geschäfte nach Betriebsschließung nicht abgewickelt werden könnten? „Dieser Fall trat bisher nicht ein, auch wegen umfangreicher Vorsorgemaßnahmen im Hafenbetrieb“, so Gluth-Mansfeldt erleichtert. Seit Januar wurden 1,5 Mio. t Getreide verschifft, so viel wie lange nicht. Nach übereinstimmenden Informationen Marktbeteiligter wird Deutschland im laufenden Wirtschaftsjahr (bis 30. Juni) wohl über vier Millionen Tonnen Weizen exportieren. Das gelang in den letzten Jahren nicht ansatzweise. Wie es zu der diesjährigen Export-Rallye kommen konnte, darüber gibt es unter Experten nur Spekulationen.


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Das Restprogramm der Kampagne ist überschaubar. „Wegen der hohen Exportnachfrage wurde gerade im Norden die Ware sehr früh verkauft. Die Läger im Norden sind weitgehend leer. Corona-bedingte Reduzierungen beim Export sind kaum noch zu erwarten“, so Gluth-Mansfeldt. Sein Tipp für Risikofreudige: „Wenn wir wetterbedingt eine verzögerte Ernte sehen, kann alterntiger Weizen nochmal sehr gesucht werden.“

Sachsen klagen nicht

Ebenfalls keinen Grund, über den Markt zu klagen, sieht Wolfgang Grübler, Vorsitzender der Getreide-Erzeugergemeinschaft „Meißner Land und Großenhainer Pflege“. „Der Preis war zwischenzeitlich am Boden, hat sich aber wieder erholt“, sagt er. Jährlich rund

45.000 t Weizen und 15.000 bis 20.000 t Roggen erzeugen die 32 EZG-Mitglieder, die in der Lommatzscher Pflege und in der weniger begünstigten Großenhainer Pflege östlich der Elbe wirtschaften, im Qualitätsgetreideprogramm „Sachsens Ährenwort“ für die Dresdner Mühle. Die Menge, die seine und weitere EZG unter dem Dach der Interessengemeinschaft der Erzeugerzusammenschlüsse (IGE Sachsen) über „Ährenwort“ vermarkten, beläuft sich auf bis zu 200.000 t Weizen und 110.000 t Roggen. Allerdings seien die Märkte volatiler geworden – und dass der Preis, aus welchen Gründen auch immer, wieder ab stürzen könnte, will Grübler nicht ausschließen. Momentan macht dem EZG-Vorsitzenden und Chef des Agrarunternehmens Lommatzscher Pflege eG ein Umstand bedeutend mehr Sorgen als die Marktentwicklung: die anhaltende Trockenheit.

Gerste ohne Höhenflüge

Für die Anbauer von Sommerbraugerste erwartet Dietrich Kaiser, Vorsitzender des Thüringer Braugerstenvereins und Geschäftsführer der Malzwerke Erfurt, keine preislichen Höhenflüge. Die Coronakrise schlägt beim Fassbierabsatz ein, der hierzulande rund 19 % des Marktes ausmacht – in Südeuropa sind es bis zu 40 %. Heimische Mälzer, die Brauereien mit dem Fokus auf die Gastronomie beliefern, bekommen dies zu spüren.

Kaiser erwartet, dass der Bierabsatz in diesem Jahr um 10 bis 20% zurückgehen kann. Weil Deutschland Braugerstenimporteur ist, dürften aber Landwirte davon ausgehen, dass sie ihr Braugetreide vermarktet bekommen, selbst wenn man mit hohen Beständen aus dem Vorjahr in die neue Ernte geht. 2019 wurde rund ein Fünftel der deutschen Sommerbraugerste in Mitteldeutschland erzeugt.