Für mehr Bodenhaftung

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Im Interview sprachen wir mit dem Brandenburger Agrarminister Axel Vogel über seinen Start als Minister, über Agrarstruktur, rote Gebiete, die Tücken dialogischer Prozesse und coronabedingte Herausforderungen.

Das Gespräch führte Heike Mildner

Bauernzeitung: Wie hat sich Ihr Bild von der Landwirtschaft verändert, seitdem Sie für diesen Bereich verantwortlich sind?
Vogel: Eigentlich nicht so sehr. Schon in der Landesanstalt für Großschutzgebiete habe ich Naturparks und Biosphärenreservate als Instrument einer nachhaltigen Regionalentwicklung strukturschwacher Räume verstanden und nicht als eine reine Naturschutzkategorie. Das war ja von Anfang an das Besondere an dem brandenburgischen Großschutzgebiet-System: Biosphärenreservate und Naturparke zu schaffen, die die Idee nachhaltiger Landnutzung verkörpern. Damit ist Brandenburg bundesweit zum Vorbild für eine neue Naturschutzpolitik geworden.

Und weil ich das eben schon seit 91 mache, habe ich natürlich immer viel mit Landwirten zu tun gehabt – von kleinen Bauernhöfen bis zu Riesenbetrieben, von konventionell bis öko. Von daher kannte und kenne ich viele Landwirte, bin auch befreundet mit einigen. Später als Abgeordneter habe ich auf meinen Sommertouren regelmäßig ganz bevorzugt Landwirtschaftsbetriebe besucht, um mitzubekommen, wie sich die Landwirtschaft in Brandenburg weiterentwickelt. Insofern sage ich mal: Ich bin da tatsächlich in eine Funktion gekommen, die mir überhaupt nicht fremd war. Der Blick ist vielleicht etwas intensiver, weil in den laufenden Diskussionen für mich deutlich wird, wo finanziell der Schuh drückt.


Aber die Verantwortlichkeit ist ja doch eine andere und umfasst ganz Brandenburg, auch Intensivstandorte, wo Bio keine bevorzugte Rolle spielt.
Na klar, aber ich bin ja Minister für die gesamte Agrarwirtschaft und nicht nur für Bio, auch wenn ich eine grundsätzliche Ökologisierung der Landnutzung anstrebe. Ich finde: ein Politiker muss eine Vision haben, ansonsten kann er Verwaltungsbeamter bleiben. Und natürlich muss man, wenn man eine Zielsetzung hat, Prozesse einleiten, die dazu führen, dass man sich seinem Ziel nähert und keine, die vom Ziel wegführen. Dafür stehe ich. Aber insgesamt gesehen: Ich hatte und habe ein gutes Verhältnis zu Landwirten. Jetzt natürlich intensiver mit den landwirtschaftlichen Verbänden, die vorher nicht so im Fokus standen. Und ich hatte ja nicht nur eine wirklich sehr wohlwollende Aufnahme bei der Klausurtagung des Landesbauernverbandes, ich habe ähnlich positive Resonanz beim Bauernbund gefunden.

Und ich hatte eine wirklich sehr offene Begegnung mit „Land schafft Verbindung“. Ich bewundere, wenn Menschen sich in ihrem Beruf engagieren und noch mehr bewundere ich es, wenn sie soziales Engagement entfalten, wenn sich Bauern für ihr Dorf verantwortlich fühlen. Diese Verbindung zwischen Landwirtschafts- betrieben und Dorf zu stärken – das ist mein Ziel. Wohin soll das führen, wenn die Landwirtschaft nur noch von ortsfernen Kapitalgesellschaften betrieben wird, die keinen Bezug haben zur Region, in der sie tätig sind, denen es nur darum geht, Geld zu verdienen?


Womit wir bei der Agrarstruktur sind. Wie will Brandenburg schaffen, was andere nicht geschafft haben – außer innerhalb der Legislaturperiode früher anzufangen?
Also früher anzufangen, ist sehr wichtig, weil bisher in mehreren Ländern die Bemühungen um Agrarstrukturgesetze durch das Ende der Legislaturperiode beendet wurden und dann erstmal eine Pause eingetreten ist, bis sich wieder jemand getraut hat. Aber ich denke wirklich, die Zeit ist reif und der Leidensdruck ist groß genug. Selbst jetzt in Corona Zeiten: Die Notare haben zu keinem Zeitpunkt schließen müssen. Das Geld vagabundiert und sucht Anlagemöglichkeiten.

Der Ankauf von Landwirtschaftsbetrieben oder Flächen stoppt nicht, es ist wirklich Eile geboten. Was den Unterschied ausmacht zu anderen Ländern: Wir wollen kein agrarpolitisches Leitbild für die gesamte Landwirtschaft, sondern nur für die Agrarstruktur. Ist es unser Ziel, dass am Ende der Landesbauernverband vielleicht noch 300 Mitgliedsbetriebe umfasst, weil die Größen sich in diese Richtung entwickeln? Ich glaube nicht.


Aber kann man das Rad zurückdrehen? Das Gros der BVVG-Flächen ist verkauft …
Es wird immer wieder passieren, dass große Konglomerate ausein- andergedröselt wieder auf den Markt kommen. Das Wichtige ist, dass wir dafür eine Auffangstruktur haben. Deswegen ja auch die Siedlungsgesellschaft, deswegen der Versuch, mit einem Agrarstrukturgesetz die Voraussetzung zu schaffen, dass die Siedlungsgesellschaft nicht nur für eine ganz kurze Zeit Zwischenerwerber sein kann, sondern Zeit bekommt, eine große Fläche wieder aufzuteilen, zu verpachten oder wieder in Privateigentum zu überführen. Das ist natürlich eine Riesenanstrengung, aber wenn wir sie nicht auf uns nehmen, ist der Weg vorgezeichnet. Aktuell kann nur jemand kaufen, der entsprechend Vermögen hat, um einzusteigen. Das sind üblicherweise nicht mehr die Nachbarn und Junglandwirte, das sind Leute und Gesellschaften, die Kapital angesammelt haben.


Von welchem Ist-Zustand gehen Sie aus?
Es gibt die Studie des Thünen-Instituts mit zwei Landkreisen aus jedem Bundesland. Ab 2020 haben wir neue statistische Erfassungen des Bundes, die transparent machen sollen, welche Betriebe nicht mehr selbstständig, sondern in eine Holding eingegliedert sind, und die Eigentumsverhältnisse sichtbarer werden als bisher.


Die Auftaktveranstaltung zur Diskussion des agrarstrukturellen Leitbildes musste coronabedingt ausfallen. Wie läuft die Onlineumfrage?
Der Bauernbund hat sofort geschrieben. Andere sind dabei. Wir haben ja eingeladen, anhand eines konkreten Fragenkatalogs deutlich zu machen, in welche Richtung es gehen soll. Zum Beispiel: Welche Rolle spielen Nebenerwerbslandwirte? Sollen die genauso betrachtet werden wie hauptberufliche? Eine sehr interessante Frage: Wird aus dem Haupterwerbslandwirt ein Nebenerwerbslandwirt bis er endgültig aussteigt oder geht es in Brandenburg eher umgekehrt, welche Bedingungen braucht das? Sollen Nebenerwerbslandwirte genauso behandelt werden wie Vollerwerbslandwirte, wenn es darum geht, freiwerdende Flächen zu verteilen? Darüber muss man sich eben austauschen. Wir gehen davon aus, dass wir bis 15. Juni so weit sind, dass wir eine Diskussionsgrundlage haben.


Die nächste Hürde ist dann die Rechtssicherheit …
Wir lassen das Ganze juristisch begleiten, sodass wir die reale Hoffnung haben, am Ende ein rechtssicheres Gesetz zu bekommen. Das ist nicht unerheblich: Es wird mit Sicherheit irgendjemanden geben, der sich benachteiligt fühlt und klagt. Es soll im Gesetz ja auch Obergrenzen für Pacht- und Verkaufspreise geben. Und jemand, der das Gefühl hat, er könne das Dreifache erwirtschaften, wird sich auf die Füße getreten fühlen, wenn der Staat sagt: Nein, beim 1,4-Fachen des ortsüblichen Vergleichswertes ist Schluss. Ein Gesetz, das keine spürbaren Auswirkungen hat, ist überflüssig. Aber wenn es uns gelingt, zumindest preisregulierend einzugreifen, haben wir schon unglaublich was gekonnt.


Ist die Agrarstruktur die größte Herausforderung für Landwirte?
Noch größer ist vermutlich der Klimawandel. Dass sich Brandenburg Jahr für Jahr für Jahr am Rande des Steppenklimas bewegt, der Boden nur noch zehn, zwanzig Zentimeter durchfeuchtet ist, warme Winde schon Mitte April die gesamte Feuchte aus dem Boden wegblasen und nichts nachkommt, das ist für die Bauern verheerend. Und wir werden eben auch auf Dauer nicht Jahr für Jahr für Jahr Dürrehilfen zahlen können, sondern wir brauchen letztlich eine Landwirtschaft, die daran angepasst ist. Wir werden Landwirte mehr dabei beraten und unterstützen, sich an den Klimawandel anzupassen.


Mancher fühlt sich zusätzlich durch Düngeverordnung und rote Gebiete herausgefordert.
Brandenburg hat in der Frage der differenzierten Betrachtung von Grundwasserkörpern eine bundesweite Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben nicht nur 30, 50 oder 70 Grundwassermessstellen, sondern über 1.150, und wir haben ein 25-Quadratkilometer-Raster, also doppelt so engmaschig wie „Land schafft Verbindung“ es forderte. Daher haben wir rote Gebiete nur auf 2,3 Prozent der Fläche –, das natürlich auch, weil wir kaum hohe Tierbestände im Land haben. Aber wir haben vorbelastete Standorte, sind daher weiter gegangen und haben analysiert: Was sind die Ursachen? Wenn die schlechten Werte einer Messstelle erkennbar nichts zu tun haben mit der aktuellen Nutzung, dann müssen wir dafür sorgen, dass das für den betroffenen Landwirt betriebswirtschaftlich darstellbar ist. Dafür wird hoffentlich die „Bauernmilliarde“ vom Bund auch zur Verfügung stehen. Und auch wenn jetzt auf Bundesebene aufgrund der EU-Regeln die Zügel schärfer gezogen werden, werden wir in Brandenburg trotzdem nie in eine Situation wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kommen – auch nicht beim Phosphat.


Trotzdem wurde ein Normenkontrollverfahren angestrengt. Halten Sie das für überzogen?
Wir sind ein Rechtsstaat, jede Verwaltungsentscheidung ist gerichtlich überprüfbar, und das ist völlig okay. In einem Fall geht es etwas schneller durch ein Verwaltungsgerichtsurteil, im anderen dauert es Jahre, bis man am Ende der Instanzen ist. Bis zum 31. Dezember 2020 sollen ja nun die belasteten Gebiete neu ausgewiesen werden. Dass die Klage dann noch in der Substanz bedeutsam ist, kann ich mir nicht vorstellen.


Oft ist in letzter Zeit von dialogischem Ansatz die Rede. Aber was nutzt öffentliche Beteiligung, wenn davon am Ende so wenig ankommt, dass sich die, die sich eingebracht haben, vor den Kopf gestoßen fühlen, wie bei der Biberverordnung?
Der Landesbauernverband hatte im August auf Basis der alten Biberverordnung Vorschläge gemacht, andere Verbände auch. Am 19. März war dann in einer Pressemitteilung des Landesbauernverbands von Untätigkeit des Ministers die Rede, am dringlichsten war die Forderung: Der Lebendfang muss raus. Er ist raus! Allerdings spielte auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs eine Rolle. Vor Inkrafttreten sollte die Verordnung mit den Verbänden diskutiert werden, Corona kam dazwischen.

Vor Corona auf der Grünen Woche: Neben Häppchen gab es dort für Axel Vogel jede Menge Kommunikation – hier bei Michael Groß (Ranzig). (c) Heike Mildner

Wir haben im Nachhinein Telefonkonferenzen durchgeführt, um die Gründe zu erläutern. Der dialogische Ansatz, dass man versucht, Umwelt- und Landnutzerverbände, Ministerium und Verwaltung an einen Tisch zu bringen, ist richtig. Auf diese Weise konnten wir uns beispielsweise über gemeinsame Hypothesen für den zukünftigen Umgang mit dem Wolf verständigen. Auch wenn es öffentlich manchmal nicht so wirkt: Wir haben durchaus kompromissorientierte Verbände, und wenn wir das richtig gut machen, kommen wir auch zu guten Ergebnissen.


Bei der Wasserrahmenrichtlinie lief es nicht so gut …
Das ist ein wichtiges Beispiel: Kooperation und Dialog heißt ja nicht, dass sich jeder durchsetzt. Es gibt immer unterschiedliche und auch gegenläufige Interessen. Bei der Frage der Beitragsbemessungssätze ist es so, dass aus Sicht der Waldbesitzer Entwässerungsmaßnahmen sogar kontraproduktiv sind. Nächste Idee: Dann sollen die Siedlungen mit den relativ kleinen Flächen mehr bezahlen. Und dann kommen im weiteren Prozess plötzlich andere Interessen: das Wirtschaftsministerium sagt, Betriebe würden völlig überfordert, Gemeinden sagen, sie müssten für das Umlegen zusätzlich Personal einstellen usw. Bei den Gebühren für die Gewässerunterhaltungsverbände ist das nicht eine Angelegenheit dieses Ministeriums allein, auch wenn ich am Ende unterschreibe, sondern eine Angelegenheit des Kabinetts, da hat die gesamte Landesregierung mit dran gesessen..


Auf welche Maßnahme seit Beginn Ihrer Amtszeit hätten Sie größere Resonanz erwartet?
Ich hatte einen guten Start. Jeder Landwirtschaftsminister in Brandenburg, wenn er im November gewählt wird, hat das Glück, im Januar auf die Grüne Woche gehen zu dürfen: ein ganz großes kommunikatives Treffen. Wenn ich die Grüne Woche nicht hätte, müsste ich dafür hundert Einzeltermine vereinbaren und im ganzen Land rumfahren. So hatte ich alles wie in einem Brennglas innerhalb von zehn Tagen. Es konnten Kontakte geknüpft werden, die mir jetzt, in Corona-Zeiten, die Arbeit erleichtern.

Einmal pro Woche mache ich eine Telefonkonferenz mit den Landwirtschaftsverbänden bis hin zu „Land schafft Verbindung“, um die coronabedingten Auswirkungen zu diskutieren und zu klären, was könnten wir machen: Wir haben uns eingesetzt für die ausländischen Saisonarbeitskräfte, haben erreicht, dass die Selbstpflücke möglich ist, Hofläden geöffnet sind, Pendlerunterstützung, Soforthilfe für Betriebe bis zu hundert Arbeitnehmern – und dass sich die Landwirte nicht anstellen müssen hinter den 40.000, die bei der ILB ihre Anträge gestellt haben, sondern ihr Geld über das LELF bekommen – 231 Anträge sind es bisher (Stand 20. April). Wir sind da also im intensiven Austausch, und das ist auch dadurch möglich, dass es die Grüne Woche gegeben hat, und daher gibt es für mich überhaupt nichts zu bejammern. Aber Corona stand nicht in der Koalitionsvereinbarung und wirkt sich nun auf die gesamte Planung aus.


In der ILB liegen derzeit 80 unbearbeitete Anträge mit einem Volumen von über drei Millionen Euro. Was können Sie tun?
Die Schwierigkeit ist, dass fast alle ILB-Mitarbeiter plus Neueinstellungen mit der Corona-Soforthilfe befasst sind, und vor diesem Hintergrund anderes liegen bleibt. Gerät ein Betrieb in ernste Schwierigkeiten, weil er Fördermittel nicht bekommt, die schon in Aussicht gestellt wurden, kann ich versuchen, einzelfallbezogen zu helfen.


Wie sieht für Sie die ideale Landwirtschaft aus?
Genau so, wie Landwirte mir das immer als ihr Lieblingsziel schildern: Dass sie nicht abhängig sind von öffentlichen Mitteln, sondern tatsächlich von ihrer Hände Arbeit leben können. Dass sie für ihre Produkte faire Preise erzielen, die es ihnen ermöglichen, ein Familieneinkommen zu erwirtschaften und ordentliche Gehälter zu bezahlen und wo zum Dorf ein oder mehr Landwirtschaftsbetriebe gehören – egal ob selbstständiger Familienbetrieb oder eine Genossenschaft – die in ihrem Dorf verwurzelt sind und untereinander in einem produktiven Austausch stehen.