Ganzjährige Weidehaltung für Milchvieh
Ganzjährige Weidehaltung: Kälber und Kühe werden in der Agrargesellschaft mbH Kloster Lehnin ähnlich wie in Neuseeland das ganze Jahr über auf dem Grasland gehalten. Wie funktioniert das?
Von Fritz Fleege
Die Milchviehhaltung in Deutschland befindet sich seit Jahren in einem Wandel. Viele Betriebe geben die Weidewirtschaft zugunsten der ganzjährigen Stallhaltung auf. Die Ursachen liegen unter anderem in den Flächenstrukturen der Betriebe, den wachsenden Herdengrößen und in betriebswirtschaftlichen Vorteilen begründet. Die Rinderhaltung hat aber beim Verbraucher eine sehr hohe Akzeptanz, denn er verbindet besonders die Milcherzeugung mit einer naturnahen, tiergerechten und schonenden Produktionsweise. Das Marketing setzt daher bewusst auf grüne Weiden, idyllische Landschaften und grasende Kühe. Berufskollegen, Berater und Interessierte glaubten jüngst ihren Augen kaum, als sie dieses Bild in der Agrargesellschaft Emster-Land mbH in Kloster Lehnin in der Praxis sahen. An dem Treffen zum Thema „Innovativ weiden“ nahmen Experten aus Irland, den Niederlanden, Polen und Deutschland teil.
Erfahrungen aus Irland
Über ganzjährige Weidehaltung von Milchvieh gibt es in der Bundesrepublik so gut wie keine Erfahrungen, anders in Irland, wo Paul Costello herstammt. Der junge Landwirt übernahm 2014 einen Milchviehbetrieb in Kloster Lehnin nahe Berlin mit etwa 1.000 ha Ackerland und 500 ha Grünland. Damals wurden dort 500 Kühe ganzjährig im Stall gehalten. So wollte er auf keinen Fall weiter wirtschaften. Ihm schwebte vor, den Betrieb auf ganzjährige Weidehaltung mit saisonaler Abkalbung umzustellen und er etablierte bald ein irisches Rotationsweidesystem. Mithilfe von erfahrenen Weidemanagern sowie neuseeländischer und irischer Technik gelang es ihm, „ein kleines Stückchen Irland nach Brandenburg“ zu holen.
Innovative Techniken wie ein neues Melkkarussell mit 60 Plätzen, Messtechniken und Tools zur Bestimmung des wöchentlichen Grasaufwuchses, ein ausgeklügeltes Treibewegenetz und irische Tränkebecken unterstützen das Weidemanagement auf seinen arrondierten Flächen. Die brandenburgischen Verhältnisse sind zwar nicht mit Irland zu vergleichen, dennoch gelang es ihm, trotz durchschnittlicher Jahresniederschläge von lediglich 500 mm gute Weideerträge zu erzielen. Und die Kühe, die Herde ist mittlerweile auf 900 Tiere angewachsen, kommen auf eine durchschnittliche Jahresleistung von 5.000 kg Milch mit 4,5 % Fett und 3,8 % Eiweiß.
➲ Herdenmanagerin mit 25 Jahren
Ganzjährige Weidehaltung: Muster aus Neuseeland
Die meisten Umstellungen im Unternehmen verliefen parallel zu einander. So stellte man den Kuhbestand nach neuseeländischem Muster überwiegend auf Kreuzungstiere (Jersey x Holstein) um. Die vorhandenen Holsteinkühe ließ man mit Sperma von Jerseybullen besamen, um Kreuzungs-tiere zu erzeugen, und kaufte auch entsprechende Tiere aus Irland zu. Für Jerseykreuzungen entschied man sich auch, weil sie robust und fruchtbar sind und das Weidefutter gut verwerten. Sie geben zwar weniger Milch als die Holsteinkühe, aber dafür mit höheren Inhaltsstoffen an Fett und Eiweiß. Weil sie auch gesünder und langlebiger sind, erreichen sie schließlich eine ähnlich hohe Lebensleistung wie die Holsteins.
Da sie unterschiedliche Futteransprüche stellen, befinden sich derzeit die Kreuzungskühe in einer großen Herde und die Holsteinkühe in einer kleineren. Außerdem gibt es noch eine Herde mit trockenstehenden Tieren. Die meisten Kühe kalben im zeitigen Frühjahr ab und legen mit steigendem Grasaufwuchs an Leistung zu. Wenn alles planmäßig weiterläuft, wird man später über zwei gleich große Herden mit je 500 Tieren auf der Weide verfügen. Hauptbesamungszeit ist im Mai und Juni. Gezielt wird Sperma von sogenannten Kiwi-Cross-Bullen der Besamungsorganisation LIC eingesetzt. Um die brünstigen Tiere schnell zu finden, wird ihnen auf dem Kreuzbein eine kleine Farbpatrone aufgeklebt. Im Melkkarussell werden die brünstigen Kühe leicht erkannt, ausgesondert und danach dort besamt. Drei Wochen später kommen Fleischrindbullen zum Einsatz, um sogenannte Umrinderer zu befruchten und Mastkälber zu erzeugen.
Kühe im Trockenen
Ab Weihnachten sollen einmal alle Kühe etwa zwei Monate trockenstehen. Hauptabkalbezeit ist Februar und März. Die meisten Kühe kalben im Freien ab. Die Kälber kommen zunächst in einem alten umgebauten Kuhstall mit viel Frischluft auf dicker Einstreu unter. Nach der Kolostralmilchgabe erhalten sie zweimal täglich Rohmilch bzw Milchaustauschertränke. Die Milch können sie aus einer Tränke mit zehn Nuckeln aufnehmen.
Sobald das Wetter es erlaubt, kommen die weiblichen Tiere im Alter von drei bis vier Wochen auf die Weide. Dort gibt es noch ein Getränk mit dem Patura Milch-Express, wo 30 Tiere gleichzeitig an Nuckeln saufen können. Neben dem Weidegras steht ihnen noch Luzerneheu und eine Trockenfuttermischung zur Verfügung. Nach drei Monaten, dann sind sie schon gute Futterverwerter, ist Schluss mit der Milchtränke. Die weitere Aufzucht erfolgt auf der Weide. Im Alter von 15 Monaten sind sie zuchtreif, kalben dann mit zwei Jahren ab und ordnen sich termingerecht in die Kuhherde ein.
Gutes Management für ganzjährige Weidehaltung
Wichtig ist ein gutes Weidemanagement. So sorgt man über regelmäßige Neu- und Nachsaaten für eine hochwertige Grasnarbe. Gedüngt wird bedarfsgerecht. Vorrangig wird vergorene Schweinegülle eingeschlitzt. Das Grünland wurde in 96 Koppeln mit festen Elektrozäunen unterteilt. Der Aufwuchs wird wöchtlich mit einem Tellerzähler ermittelt. Dieser generiert online einen Graskeil, an dem man auf dem Smartphone ablesen kann, wie viel den Kühen zur Verfügung steht, ob Überschüssiges geerntet oder zugefüttert werden sollte. Kraftfutter erhalten die Kühe im Melkstand. Nach jedem Melken wird den Tieren ein frischer Weideabschnitt zugeteilt. Es wurden Treibewege gebaut, Wasserrohre verlegt und stabile Tröge aufgestellt. Im Winter können sich die Rinder auch auf Sandflächen aufhalten, wo sie Mais- und Grassilage erhalten.
Die Agrargesellschaft in Kloster Lehnin hat den Beweis angetreten, dass man Milchvieh auch in Deutschland nahezu das ganze Jahr im Freien halten kann. Damit spart man viel Arbeit und Kosten. Die Tiere sind gesünder und leben länger. Künftig will man den Kunden „wirkliche“ Weidemilch anbieten, die reich an Proteinen, CLA und Omega-3-Fettsäuren ist und deren Ursprung bis zum Hof zurück verfolgt werden kann.