Landleben

Schloss Wartin: Ein Refugium für freies Denken

Fotos (c) Christoph Feyer
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Wer im Norden der Uckermark Schloss Wartin besucht, findet kein schickes Fünf-Sterne-Landhotel. Vielmehr entdeckt er einen stillen und stilvollen Ort der Wissenschaft, Kultur und Toleranz.

Von Christoph Feyer

Das lateinische Wort „refugio“ kann man mit „entfliehen“, „entweichen“ oder „eine Zuflucht nehmen“ übersetzen. Zudem bildet es den Wortstamm für „Refugium“. Und obwohl Dr. Charles Elworthy, der Stiftungsvorstand von Schloss Wartin, zu keiner Zeit auf der Flucht war, kann man mit „Refugium“ wohl am besten beschreiben, was diesen Ort ausmacht: Es ist ein Zufluchtsort.

Charles Elworthy, seine Frau Nui und
die sechsjährige Bini.

Charles Elworthy wuchs als Sohn eines neuseeländischen Landwirts auf. Seine Vorfahren, Schafzüchter aus England und Schottland, waren 1860 ans andere Ende der Welt ausgewandert und hatten sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Sein Vater, Peter Elworthy, setzte die bäuerliche Tradition mit Schafen, Rindern und Rotwild erfolgreich fort. Gleichzeitig engagierte er sich stark im dortigen Bauernverband und wurde sogar Präsident der Federated Farmers of New Zealand. In dieser Funktion trat er bereits in den 80er-Jahren dafür ein, Agrarsubventionen abzuschaffen und dafür zu sorgen, dass Landwirte über angemessene Produktpreise ihr Einkommen erwirtschaften können. Dies führte damals schon zu intensiven Diskussionen mit seinen Amtskollegen, auch mit Constantin Freiherr von Heereman.

Heute führt Charles‘ Bruder Forbes die Farm. „Er war und ist deutlich mehr Landwirt als ich. Mich zog es dafür in die weite Welt“, erzählt der sympathische Endfünfziger. Deshalb übertreibt man auch nicht, wenn man ihn einen Weltreisenden nennt: Er studierte im englischen Cambridge Ökonomie, an der amerikanischen Eliteuniversität Yale Politik, promovierte an der Freien Universität Berlin, hatte Gastprofessuren an der Uni Stettin und forschte in Oxford über Ökologie und Landwirtschaft.

Wartin: Ein Schloss in der Uckermark

Und wie kommt man dann auf ein Schloss in der Uckermark? Daran ist sein langjähriger Berliner Politikprofessor und Freund Hans-Joachim Mengel schuld. Gemeinsam mit ihm gründete er 1991 den Verein „Europäische Akademie Schloss Wartin“ und sicherte so die kulturelle Nutzung des historischen Anwesens. Das Bundesvermögensamt, das mit der „Verwertung“ des Landsitzes (inklusive Schlosspark und einem halben Hektar der LPG-Gärtnerei) beauftragt war, hatte das zur Bedingung gemacht, um alles der Gemeinde Casekow überschreiben zu können. Damit begann eine sehr produktive Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Verein. Mit Bürgermeister Wilhelm Becker wurde ein Erbpachtvertrag für das Gutshof-Ensemble abgeschlossen und nach dem Vorbild der „Academia“, ergänzt durch Elemente der Studentencolleges in England, bauten die beiden eine ganz besondere Begegnungsstätte auf, an der sich Studenten mit ihren Dozenten zum Lehren, Lernen und Forschen, aber auch zum gemeinsamen Kochen zusammenfinden konnten.

Schloss Wartin: Wechselnde Bewohner

Das Schloss, das strenggenommen eigentlich „nur“ ein zweigeschossiges Herrenhaus ist, wurde 1695 unter Rittmeister Christoph von der Osten als Gutshaus des Rittergutes Wartin im barocken Stil erbaut. Um 1830 bekam es ein neogotisches Kleid mit Türmchen und angedeuteten Zinnen nach englischem Muster übergezogen. Später, im Dritten Reich, wurde es Gauleiterschule und erneut massiv umgebaut. Unter anderem ersetzte man die alten Kachelöfen durch eine Schwerkraftheizung. Zu DDR-Zeiten zogen dann Kindergarten, Gemeindeschwester und Friseursalon in das historische Gemäuer.

Jeder Raum im Schloss hat seinen besonderen Reiz. Die wieder installierten Kamine und Kachelöfen sind alle funktionsfähig, denn die Schornsteine blieben in den 30er-Jahren, als man die Originalöfen rausriss, zum Glück frei von Bauschutt.

Trotz dieser steten Nutzung war das Gebäude 1990 jedoch in einem bedenklichen Zustand. Es begann eine aufwendige Sanierung, die Jahre in Anspruch nehmen sollte und von der Denkmalschutzbehörde streng, aber wohlwollend begleitet wurde. Unterstützung erhielten die beiden Professoren vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Potsdam, aber auch von der breiten Öffentlichkeit. Zudem halfen viele Fördermittel und Spendengelder. 1995 erhielten sie den Brandenburgischen Denkmalpreis. 2003 konnte der Verein das Schloss dann von der Gemeinde kaufen, überführte es in die Stiftung „Collegium Wartinum“, und sicherte so die wissenschaftliche und kulturelle Nutzung des Gebäudes dauerhaft.

Umweg über Thailand und Großbritannien

Charles Elworthy zog dann aber 2011 nach Thailand, ins Heimat-land seiner Frau Sununtha (Nui). Sie hatte auch in England studiert und später als Managerin gearbeitet. Nach zwei Jahren zog das Paar zurück nach Oxford und Charles gründete mit seinem Bruder eine Start-up-Firma für Digitallösungen in der Landwirtschaft, in der heute über 130 Mitarbeiter beschäftigt sind. Zeitgleich pendelte er als Stiftungsdirektor vom Collegium Wartinum und für die Mitarbeit im Verein Europäische Akademie regelmäßig nach Wartin. Doch dann erkrankte Hans-Joachim Mengel schwer und musste sich aus Wartin zurückziehen. Daraufhin zog Charles mit seiner Familie Ende 2018 zurück in die Uckermark, die für ihn schon längst zu einer neuen Heimat geworden war. Er gründet eine Betreibergesellschaft und sorgt so für die stabile wirtschaftliche Grundlage.

Schloss Wartin: Ort für Tagungen und Traumhochzeiten

Heute finden in Wartin neben wissenschaftlichen Tagungen, Studientreffen, Workshops und kulturellen Veranstaltungen vor allem (Traum-)Hochzeiten, Familien- und Firmenfeiern statt. Danach schwärmen die Gäste immer wieder von der besonderen Atmosphäre, die der Stiftungsvorstand und seine Frau Nui mit ihren Mitarbeitern geschaffen haben. In den mit viel Stil eingerichteten Zimmern finden sich Möbel verschiedenster Epochen, etliche davon Spenden. Es stehen riesige Kachelöfen in den Räumen, die vor der Luxussanierung aus Bürgerhäusern im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gerettet wurden. Eine Bibliothek, der große Gartensalon und der romantische Schlossgarten bieten viel Raum zum Entspannen und Verweilen, aber auch für Begegnung und frohes Beisammensein.

Tolerant und weltoffen

Die Tulpen, die Nui Elworthy für Händler und Wochenmärkte herangezogen hat, mussten diesmal vor allem im Direktvertrieb vermarktet werden.

„Wir haben bewusst keine Fernseher auf den Zimmern. Die Gäste sollen miteinander reden“, erklärt Charles. „Wir wollen den Gedankenaustausch und freies Denken fördern.“ So viel Toleranz, Offenheit und Weltgewandtheit, die der Weitgereiste vorlebt, findet man heute leider kaum noch, und das schätzten seine Gäste sehr. Darunter sind auch homosexuelle Hochzeitspaare, denn in Wartin ist auch Anderssein normal.

Unnormal hingegen ist auch hier die aktuelle wirtschaftliche Situation. „Tagungen, Workshops oder Trauungen plant man ja nicht von heute auf morgen“, berichtet Charles. „Oft haben wir internatio-nale Hochzeitsgesellschaften. Deshalb mussten wir mit vielen Brautpaaren die Feierlichkeiten auf 2021 verschieben.“ Nun versucht er über ein Internetportal verstärkt kurzentschlossene Gäste auf Wartin aufmerksam zu machen. Er baut darauf, dass sich die Menschen jetzt wieder mehr auf das Naheliegende besinnen. Aber Vorsicht! Es besteht die Gefahr, dass man im Alltag dann sehr schnell wieder Sehnsucht nach diesem Zufluchtsort bekommt.