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Mehr regional statt Tönnies – aber wie?

(c) Susanne Gnauk
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Negativschlagzeilen über schlechte Arbeitsbedingungen und plötzliche COVID-19-Infektionsherde prägen das aktuelle Bild der Fleischwirtschaft. Veränderungen in diesem System sind notwendig und das möglichst schnell.

Es kommentiert Ralf Stephan

Das Thema Fleisch ist wieder – doch, doch, dieser Kalauer muss jetzt sein – in aller Munde. Und das liegt weniger an der Grillsaison, die leider nur zögerlich anläuft. Schon gar nicht geht es um seine besonders appetitlichen Seiten. In der Kritik steht zum wiederholten Male das „System Billigfleisch“. Nach vielen Jahren mit Skandalen und Skandälchen scheint nun ein Punkt erreicht, an dem die einen nicht mehr so weitermachen wollen und die anderen es nicht mehr können. Man sollte meinen, nun böte sich endlich die Chance, üble Dinge, etwa die Arbeits- und Lebensbedingungen des Schlachthausproletariats, an der Wurzel zu packen statt weiter an Symptomen herumzudoktern.

Widrige Arbeitsbedingungen sind nichts Neues

Wirklich? Zweifel sind angebracht. Denn das würde zunächst einmal Ehrlichkeit erfordern. Ehrlich wäre es, wenn der Bundesarbeitsminister* nicht empört tun würde, wenn es um die Konditionen geht, unter denen Schlachter und Zerleger aus Südosteuropa in deutschen Fleischwerken arbeiten. Nicht in allen, aber doch wohl in den meisten. Die Zustände sind seit Jahren bekannt und dokumentiert. Medien berichteten, Kirchenvertreter mahnten, Gewerkschafter beschwerten sich. Keiner kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung wollte die Fleischbranche schon 2016 den Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen. Offenbar in großen Teilen ein Ablenkungsmanöver. Den Schaden, den das hierzulande zum Glück immer noch in Ehren gehaltene Freiwilligkeitsprinzip nahm, werden auch andere zu spüren bekommen.

Wie Gelingt der weg zu mehr Regionalität?

Mehr Aufrichtigkeit täte noch in anderer Hinsicht gut. Nach den bedauerlichen Krankheitsausbrüchen in der Tönnies-Großschlachterei wurde vor Mikrofonen mancherlei angekündigt, was einem ernsthaften Realitätscheck nicht standhalten kann. Zum Beispiel die Absicht, statt weniger Mega-Fleischfabriken wieder kleinere Verarbeitungsstätten zu etablieren. Gerade Tierhalter im Osten mögen die Botschaft wohl vernommen haben, der Glaube indes dürfte ihnen völlig fehlen.


Fleischer zerlegen Schweinehälften.

Regionales Schlachten ist die Ausnahme

Thüringen, das sich seiner Wurstspezialitäten rühmt, kann sich mit den im Land gemästeten Schweinen nur zu 70 Prozent selbst versorgen. Gravierender ist allerdings, dass gut zwei Drittel der Schweine gar nicht mehr im Freistaat geschlachtet werden. mehr


Sehr viele haben miterlebt, wie eine fast flächendeckende Schlachthofstruktur dank millionenschwerer Investitionen erst aufgebaut und dann wieder zerstört worden ist. Und das in weniger als 30 Jahren. Keine Frage, regionale Schlachthöfe wären prima. Nur mit ihnen lassen sich tatsächlich regionale Wirtschafts- und Wertschöpfungskreisläufe erzeugen. Doch alle Versuche, von großen Schlachtunternehmen stillgelegte Betriebsstätten in bäuerliche Regie zu übernehmen, scheiterten bisher. Spätestens bei den Auflagen zur Fleischhygiene ist Ende Gelände mit der Wirtschaftlichkeit.

Start-ups: Etablierung oder Regulierung?

Wem Tönnies zu groß ist, der müsste freilich auch ein Wörtchen zu den Handelskonzernen verlieren. Das wäre unnötig, würde der Gesetzgeber kleinen und mittleren Fleischverarbeitern tatsächlich eine reale Chance einräumen. Große müssen aus Effizienzgründen zwangsläufig auch Lücken lassen. Darin tummeln sich bald Neugründer. Das Prinzip lässt sich wunderbar an den jungen Start-up-Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen beobachten. Vorausgesetzt, diese Lücken sind nicht schon totreguliert.

Start-ups in der Schlachtbranche werden es also extrem schwer haben. Wer sie haben möchte, muss nicht allein finanziellen Anschub bieten, sondern vor allem deregulieren. Und zwar gründlich. Wie nötig das ist, zeigte kürzlich unsere Umfrage zum hofnahen Schlachten: Das eine Ministerium fördert Regionalität, das andere besteht auf dem Schlachthofzwang. Manchmal kommen die systematisch hochgeschraubten Auflagen aus Brüssel, manchmal aber auch nicht. Mit Blick nach Rheda-Wiedenbrück zu Tönnies wäre es wirklich mal Zeit für was Neues.

* In der gedruckten Version des Kommentars (Ausgabe 27/2020, S. 3) ist hier der Bundeswirtschaftsminister genannt. Tatsächlich gemeint war der Bundesarbeitsminister, dem aufgrund seiner niedersächsischen Herkunft die Zustände in Schlachtbetrieben bekannt gewesen sein müssen. Mindestens zwei Minister aus der Landes-SPD (Gabriel und Lies) waren nach entsprechender Berichterstattung in Sachen Werkverträge tätig geworden. Ich bitte, die Verwechslung zu entschuldigen. ste