Regionales Schlachten ist die Ausnahme
Thüringen, das sich seiner Wurstspezialitäten rühmt, kann sich mit den im Land gemästeten Schweinen nur zu 70 Prozent selbst versorgen. Gravierender ist allerdings, dass gut zwei Drittel der Schweine gar nicht mehr im Freistaat geschlachtet werden.
Von Frank Hartmann und Birgitt Schunk
Rund zwei Drittel der in Thüringen gemästeten Schweine werden nicht im Freistaat geschlachtet. Grund dafür sind vor allem die geringen Schlachtkapazitäten. Mit dem Vion-Standort in Altenburg stellte im März dieses Jahres der letzte Großschlachthof im Land die Schweineschlachtung ein. Anders als der Tönnies-Standort im sachsen-anhaltischen Weißenfels, schlachtete Altenburg zuletzt noch bis zu 3.000 Schweine in der Woche in Lohn, auch für Landwirtschaftsbetriebe aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. In den Jahren zuvor machten bereits große Schlachthöfe in Jena und Nohra bei Weimar dicht.
2020: Einbruch um drei Viertel
2010 erfasste die Thüringer Agrarstatistik rund 1,7 Mio. Schweineschlachtungen im Land. Im vorigen Jahr waren es nur noch 849.200. Die aktuellen Daten nach dem Ende in Altenburg, wo in Zukunft lediglich Rinder geschlachtet werden sollen, werfen ein dunkles Licht in die Zukunft. In den Monaten März, April und Mai 2020 meldete die Agrarstatistik knapp 44.000 Schweineschlachtungen in ganz Thüringen. In den drei Vorjahresmonaten summierten sich diese noch auf 205.000 Tiere.
Noch drei mittelständische Schlachthöfe
Am Ende dieses Jahres dürfte die Thüringer Gesamtbilanz nach Schätzungen der Bauernzeitung auf dem Niveau von Weißenfels liegen – also was dort in zehn Tagen (!) geschlachtet wird: rund 200.000 Schweine. Zwischen 70 und 80 % davon entfallen auf die drei verbliebenen regionalen Schlachthöfe. Der vormalige Eichsfelder Zentralschlachthof in Heilbad Heiligenstadt wurde 2018 von der Fleischer-Einkauf Göttingen-Hannover eG aus der Insolvenz gerettet und firmiert heute als Leinekrone GmbH. Wie im Eichsfeld bietet die traditionsreiche Mühlhäuser Fleisch GmbH im Unstrut-Hainich-Kreis, die heute mehrheitlich in landwirtschaftlicher Hand ist, die wichtige Lohnschlachtung an. Dritter regionaler Schlachthof ist die Fleisch- und Wurstwaren Schmalkalden GmbH Thüringen, die durchaus Kapazitäten für die Lohnschlachtung hat.
Mehr regional statt Tönnies – aber wie?
Negativschlagzeilen über schlechte Arbeitsbedingungen und plötzliche COVID-19-Infektionsherde prägen das aktuelle Bild der Fleischwirtschaft. Veränderungen in diesem System sind notwendig und das möglichst schnell. mehr
Vermarktung von Teilstücken schwierig
Derzeit schlachtet, zerlegt und verarbeitet der Schmalkaldener Betrieb, der thüringenweit fast 40 Fleisch- und Wurstwarenfilialen betreibt, nach eigenen Angaben pro Wochen 750 Schweine. „Die Tiere kommen alle von Thüringer Landwirtschaftsbetrieben wie etwa aus Behrungen oder Waltershausen“, so Geschäftsführer Kevin Holland-Moritz. Vor vier Jahren allerdings schlachtete das Unternehmen noch doppelt so viele Schweine. Fleischteile für die Produktion bestimmter Wurstsorten zuzukaufen, war bis dahin so gut wie kein Thema. Doch immer mehr wurde Holland-Moritz zufolge zum Problem, dass der Absatz für die weniger gefragten Teile wie beispielsweise Speck oder Schweinefüße fehlte. Die Tiere als Ganzes zu vermarkten – so wie früher bei den Hausschlachtungen – werde immer schwieriger. Auch die teuren Edelstücke wie Lende konnten nicht immer in solchen Mengen von Schmalkalden aus an den Mann oder die Frau gebracht werden.
An den Großen kein Vorbeikommen
Neben der eigenen Schlachtung und Zerlegung kauft man in Schmalkalden auch zu. „Wir konnten und können trotzdem garantieren, dass nahezu einhundert Prozent des Frischfleisches in unseren Filialen von Schweinen aus Thüringer Betrieben stammt.“ Für die Produktion bestimmter Wurstwaren werde Fleisch zugekauft – so wie bei zahlreichen Fleischerhandwerksbetrieben auch. Man stützte sich auf drei bis vier Zulieferbetriebe. Feste Verträge gebe es nicht. Wöchentlich wird der Preis verhandelt. „An den Großen der Branche kommen auch wir beim Einkauf dabei nicht mehr vorbei. Die drei größten Konzerne haben einen Anteil von 60 Prozent am Schweinefleisch-Markt in Deutschland, die zehn größten Firmen bringen es auf 80 Prozent“, sagt Holland-Moritz. Wer Fleisch zukaufen möchte, könne diesen Fakt nicht negieren. „Das von Weißenfels angelieferte Fleisch kann durchaus sogar von Thüringer Produzenten stammen – zahlreiche Unternehmen aus unserem Land liefern ihre Tiere schließlich dorthin, seit der Schlachthof in Altenburg für Schweine dicht gemacht hat“, sagt Holland-Moritz.
Handwerk statt Fließband
In Schmalkalden setzt man weiter auf die handwerkliche Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung. Das heißt: keine Fließbandarbeit. Und: „Wir verzichten bewusst auf Werksverträge, das heißt, bei uns sind die Mitarbeiter angestellt, wir geben keine Verantwortung an Subunternehmer.“ Das alles habe natürlich seinen Preis. „Würden wir überhaupt nicht mehr schlachten und nur Schweinehälften zukaufen, stünden wir wirtschaftlich weitaus besser da“, sagt Holland-Moritz und verweist allein auf Fixkosten von 15.000 € im Monat für Leistungen des Veterinäramtes. Auch die notwendigen Zertifizierungen seien immens teuer.
Von Ostthüringen nach Franken
Neben diesen drei regionalen Schlachthöfen steuern aus Ermangelung an Alternativen vor allem Ostthüringer Schweinehalter, darunter kleinere und große Direktvermarkter, die fränkischen Schlachthöfe kurz hinter der Landesgrenze an. Da gibt es Direktvermarkter mit einem großen Filialnetz wie etwa die Agrofarm Knau eG, die gut 7.000 Schweine im Jahr selbst aufzieht, in Hof schlachten lässt und in der eigenen Fleischerei verarbeitet. Etwa 20 ihrer Schweine und ein bis zwei Rinder in der Woche lässt die Agrar eG Königshofen für ihre Direktvermarktung in Kronach schlachten. Daneben arbeiten thüringenweit noch gut zwei Dutzend Direktvermarkter mit eigener Schlachtung, die in geringem Umfang Schweine in Lohn schlachten können. So werden in der Töttelstädter Fleisch- und Wurstwaren GmbH jährlich etwa 3.000 Schweine sowie 150 Rinder und 100 Schafe geschlachtet. Andere Agrarbetriebe, wie die TZG Ernstroda GmbH, schlachten keine Schweine mehr und beschränken sich auf Rinder und Lämmer.
Förderung für kleine Schlachtstätten?
Zuletzt gab es in Thüringen knapp 170 EU-zugelassene Schlachtstätten für Farmwild (83), Geflügel (9) sowie Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen (106). Darunter fallen viele nebenerwerbliche Landwirte mit Direktvermarktung. Von den 20 größten Schlachtstätten im Land, hat geschätzt die Hälfte eine zugelassene Kapazität von jährlich weniger als 1.000 Großvieheinheiten. Diskutiert wird derzeit, ob Thüringen für diese nach EU-Recht kleineren Schlachtbetriebe ab dem kommenden Jahr eine Schlachtförderung pro Tier ausgereicht. Ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor sind die Gebühren der Veterinärämter, gerade wenn es sich um kleine Mengen an entfernten Orten handelt. Die Ämter sind zur kostendeckenden Vergütung der Fleischbeschau verpflichtet. Die Höhe der Gebühren variiert von Landkreis zu Landkreis zum Teil deutlich.
Schlachtkosten sind bedeutender Faktor
Grundsätzlich sind die Schlachtkosten ein wichtiger Faktor. Laut der „Studie zu Schlachtstätten in Thüringen“ aus dem Jahr 2015, lagen diese, älteren Berechnungen nach, in Großschlachthöfen bei 9 €/Schwein. Es gibt Thüringer Direktvermarkter, die heute für ihre Lohnschlachtung über 40 €/Schwein verlangen müssen.