Findlingshof Ruhlsdorf: Das Spiel der Steine
Kennen Sie das Land, in dem die Steine wachsen? Wir haben es gefunden – in Ostbrandenburg. Fast alle Gesteinsarten kommen dort vor. Bestaunen und bearbeiten kann man sie im Findlingshof von Ruhlsdorf. Dort haben wir uns auf die Spur der Steine begeben.
Von Bärbel Arlt
Fotos von Thomas Uhlemann
Kurt Zirwes ist vernarrt – in Steine. Aber nicht in irgendwelche, sondern in die, die auf den Äckern im Osten Brandenburgs wachsen und dort seit Jahrhunderten das Bild der Region prägen. Ob Bauernhäuser, Kirchen, Scheunen, Ställe, Mauern – viele sind aus Feldsteinen erbaut, die vor Millionen von Jahren mit den Gletschern hierher gewandert sind. In diese Bauten, die sich wie Perlenketten aneinanderreihen, und in die Landschaft, die von der Eiszeit geformt wurde, hat sich Zirwes so sehr verliebt, dass er vor über 30 Jahren seiner rheinländischen Heimat den Rücken kehrte.
„All diese Gebäude und ihre Bauweise sind für mich Kulturgut, das es zu erhalten gilt“, sagt er, während er mit den Steinen spielt: Gekonnt balanciert er sie übereinander. Wir versuchen es auch, was gar nicht so einfach ist. Und erst, als es geschafft ist, die Steine sicher als Turm übereinanderstehen und wir das Siegerlächeln aufsetzen, wird uns bewusst, wie sehr uns diese steinalten Gebilde für Minuten weggeholt haben vom Alltag. „Wer einen Knoten im Kopf hat, sollte Steine stapeln, das macht den Kopf frei. Denn mit jeder haptischen Bewegung verbinden sich im Kopf Synapsen, Glückshormone werden freigesetzt und das gesunde Ichwill kehrt zurück“, beschreibt Zirwes die Situation. Für ihn ist jeder Stein ein Schatz, dem man in die Seele gucken und der den Menschen zur Ruhe bringen kann. Klingt esoterisch, aber irgendwie hat er recht.
Steine bringen Menschen zusammen
Denn Hand aufs Herz – wer hat als Kind nicht gern Steine gesammelt, weil sie etwas Geheimnisvolles in sich tragen. Das war auch bei Kurt Zirwes so, der in der mittelalterlichen Festungsstadt Zons umgeben von Basalt, Grauwacke und Schiefer aufgewachsen ist. Und als er als Erwachsener in Ostbrandenburg unterwegs war, ist diese Leidenschaft aus Kindheitstagen aufgeflammt. Denn die Steine hier sind anders und besonders. Sie sind von der Eiszeit geformt und hören nie auf, aus dem Boden zu wachsen. Viele davon hat Kurt Zirwes in sein rund ein Hektar großes Lapidarium direkt am Ruhlsdorfer See geholt. Sind es hunderte, tausende? Zahlen sind für den 63-Jährigen nicht wichtig. Wichtig ist ihm, dass die Steine Menschen zusammenbringen, sie sich auf dem Findlingshof im wahrsten Sinne des Wortes finden. Er möchte, dass seine Besucher sich an den steinernen Zeugen der Eiszeit erfreuen und ihnen Geschichten entlocken. Wer mag, kann sie auch in Form bringen. Denn in Kursen können die Schätze der Natur bearbeitet werden. „Die Steine geben schon vor, was sie werden wollen. Man muss sie nur lange genug fühlen, betrachten drehen und wenden.“
Renate Krischer ist aus dem Nachbarort Rehfelde gekommen, nimmt mutig Hammer und Meißel zur Hand. Und während sie versucht, damit dem Stein ein Gesicht zu geben, erzählt sie uns von restaurierten, rund 150 Jahre alten Bahnwärterhäuschen, in denen sie gern Wanderer empfängt, die über den nahen Jakobsweg pilgern. Auch Nachbar Florian Müller, übrigens Landwirt in fünfter Generation, schaut auf dem Findlingshof öfter mal vorbei. Gemeinsam mit seinem Vater bewirtschaftet er in Hasenholz ein 15 ha großes Damwildgehege und 320 ha Ackerland, auf dem nicht nur unter anderem Weizen, Roggen, Kartoffeln und Sonnenblumen, sondern auch reichlich Steine wachsen. Und die, so versichert der junge Landwirt, werden, ob groß oder klein, akribisch abgesammelt – und finden zum Teil auf dem Ruhlsdorfer Findlingshof ein neues Zuhause. So habe auch ihn im Laufe der Zeit das Steinfieber gepackt.
Steine machen glücklich
Wenn es nach Kurt Zirwes geht, dann sollten diese Leidenschaft noch mehr Ostbrandenburger entwickeln und der Steinreichtum regional eine noch größere Rolle spielen, wenngleich es schon einen Eiszeitgarten, Eiszeitweg und eine Feldsteinroute gibt. „Wir haben die Steine den Gletschern zu verdanken. Sie sind das Alleinstellungsmerkmal der Region und das sollte Verbindungen und Netzwerke schaffen. Denn aus Steinen kann man so viel machen. Das müssen nicht nur Kunstwerke sein. Steine klingen auch, sie heilen, machen glücklich“, schwärmt er und sagt, dass dafür auf seinem Hof durchaus mit Augen und Ohren gestohlen werden darf. „Die Feldsteine sind so wertvoll, sie müssen nicht lieblos am Ackerrand ruhen oder nach China und Holland wandern. Eigentlich sollten sie hier schon in die Wiege der Kinder gelegt werden“, meint er und möchte, dass sich vor allem auch der Nachwuchs mehr mit dem Schatz der Heimat befasst.
So freut er sich, wenn Kindergartengruppen oder Schulklassen auf den Hof kommen, denen er die Steine mit Geschichten über Feen und Trolle näherbringt, oder die Mädchen und Jungen den Bauern auf den Feldern beim Absammeln der Steine helfen und dabei über gefundene Hühnergötter und Donnerkeile staunen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass sich die Kinder von heute durchaus für die steinalten Schätze aus der Erde begeistern – wie wir es auch bei der dreijährigen Charlotte und ihrem achtjährigen Bruder Jannick erleben, die konzentriert kleine Türme und Pilze bauen. „Man muss sie nur lassen“, sagt Zirwes und belohnt beide Steppkes mit einem Glücksstein, und Jannick darf sich auf dem angrenzenden Ruhlsdorfer See weiter im Standup-Paddling ausprobieren.
Steinreiches Ostbrandenburg
Seit einigen Jahren versucht Kurt Zirwes, von den Einnahmen, die der Hof bringt, zu leben. Doch in diesem Jahr hat Corona alles verändert. Veranstaltungen, Kurse Feste fielen aus. Auch der Waldkindergarten des Strausberger Bildungsträgers bundtStift auf dem Gelände des Findlingshofes blieb leer. Doch der gebürtige Rheinländer ist nicht nur eine geborene Frohnatur, sondern auch Optimist und hat schon so manche steinigen Wege im Leben überwinden müssen. „Ich freue mich über jeden, der kommt, etwas Geld in der Milchkanne lässt und nicht mit einem versteinerten, sondern glücklichen und zufriedenen Gesicht den Hof verlässt.“
Spur der Steine: Eine Kirche zieht um
Die Kapelle von Kleinwudicke muss abgerissen werden. In Jerchel, fast nebenan, ist der Platz, auf dem seine Kirche stand, lange verwaist. Die Idee: Ihn mit einem Gemeindehaus für religiöse und weltliche Nutzung zugleich füllen. Mit dem Kleinwudicker Kleinod, abgetragen und wiedererrichtet, als Kernstück. mehr
Doch nicht nur sein Hof liegt ihm am Herzen, sondern die Vernetzung mit der Region, die sich geotouristisch weiter voranbringen lässt. Deshalb engagiert er sich auch ehrenamtlich in der Bodendenkmalpflege und in der Lokalen Aktionsgruppe Märkische Seen. „Das ländliche Leben darf nicht einschlafen, wir müssen es wachhalten.“ Dafür braucht es Kunst und Kultur, vor allem aber den Imker, den kleinen Hofladen, den Landwirt, den Gastwirt, die Ideen der Menschen, die hier leben. „Ich bin ein Fan von Regionalität. Nicht nur die Steine, auch das Geld müssen im Dorf bleiben“, sagt er und v errät mit Blick zu seinen steinalten Lieblingen, dass für ihn die Heimat dort ist, wo sein Herz aufgeht – hier im steinreichen Ostbrandenburg.