„Willkommen, Svenja!“

Kein Teufelszeug: Vorstandsvorsitzender Steven Hirschberg (li,) erläutert Svenja Schulze und Till Backhaus das Produktionsverfahren des Betriebes, einschließlich den chemischen Pflanzenschutz mit moderner Ausbringetechnik. (c) Gerd Rinas
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Mit ihrer Dialogreihe „Wir schafft Wunder“ machte Bundesumweltministerin Svenja Schulze am Dienstag in der Papendorfer Agrargenossenschaft Station. Der Austausch war für beide Seiten anregend.

Von Gerd Rinas

Ein Schlepperparade am Straßenrand, freundliche Worte zum Empfang – die Landwirte der Papendorfer Agrargenossenschaft und Berufskollegen von Land schafft Verbindung und Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern empfingen Bundesumweltministerin Svenja Schulze am Dienstag am Rande von Rostock ohne Groll.

Eine Andere Tonlage

Das war im Vorfeld nicht unbedingt zu erwarten. Viele Berufskollegen empfanden Schulzes „Bericht zur Lage der Natur“ im Mai als einseitige Schuldzuweisung an die Landwirtschaft. Im Juni hatten Landwirte Zweifel, ob die Umweltministerin im Herbst noch im Amt sein würde: „Sie ist nicht mehr tragbar“, hieß es bei „Land schafft Verbindung“ Mecklenburg-Vorpommern (LsV MV).

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Das Empfangskomitee rollt an: Mit 30 Schleppern begrüßten Landwirte von Land schafft Verbindung und vom Bauernverband MV Ministerin Schulze. (c) Gerd Rinas

Ganz anders die Tonlage am Dienstag: „Willkommen, Svenja!“ , begrüßte „Land schafft Verbindung die Umweltministerin auf dem Betrieb bei Rostock. „Wir stehen für Dialog, bleiben dieser Haltung treu und setzen weiterhin auf konstruktive Aktionen“, sagte Christa-Maria Wendig von LsV MV. Die Landwirtin gehörte zum coronabedingt kleinen Kreis einer Diskussionsrunde zum „Zukunftsbild Landwirtschaft“, zu der Umweltministerin Schulze und Mecklenburg-Vorpommerns Agrar- und Umweltminister Till Backhaus eingeladen hatten.

Neben Landwirten und Vertretern von Bauernverband, BDM und LsV waren auch Vertreter von Umweltschutzverbänden, Fridays for Future, Universitäten, Hochschulen und Behörden nach Papendorf gekommen. Die Frage, um die sich (fast) alles drehte: Wie sieht eine Landwirtschaft aus, die sowohl ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig ist?

Eine Antwort lieferte Steven Hirschberg, Vorsitzender der Papendorfer Genossenschaft. Dort betreiben elf festangestellte Mitarbeiter auf 1.345 ha LN seit sechs Jahren Präzisionslandwirtschaft. Feldrand- und Blühstreifen sind ebenso selbstverständlich im Anbauplan wie Zwischenfrüchte und Rotkleegras. „Alle fünf Hektar ziehen wir Bodenproben und ermitteln, wie die Flächen mit Nährstoffen versorgt sind. Jeder muss gucken, was auf seinem Boden möglich ist. Wir müssen wegkommen von pauschalierten Vorgaben, sondern differenziert herangehen“, forderte der 31-Jährige mit Blick auf Düngeverordnung und Insektenschutz.


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Die Landwirtschaft sei nicht für alle Umweltprobleme verantwortlich. „Aber auch im ländlichen Raum gibt es Probleme. Und die müssen wir angehen. Dazu brauchen wir eine breite Debatte und die Bereitschaft zur Veränderung“, sagte Bundesumweltministerin Schulze. Ohne mehr Anstrengungen für Klimaschutz, sauberes Wasser und den Schutz der Biodiversität sei die Zukunft aber fraglich. „Die Verluste bei Insekten sind dramatisch. Die Landwirtschaft leidet schon jetzt als eine der ersten Branchen unter Klimaveränderungen, Trockenheit und Unwettern.“ Der Hinweis von Moderator Dietrich Holler, vor den Insekten ersteinmal übers Geld zu reden, brachte Schulze nicht aus der Fassung. Sie sei für Landwirtschaft in Deutschland und dafür, dass Landwirte vernünftige Einkommen erzielten. „Nachhaltigkeit ist aber das entscheidende Kriterium.“

Ein Landwirt aus Brandenburg wies in der Diskussion darauf hin, dass man der Natur einen Bärendienst erweisen würde, wenn man sie vollkommen sich selbst überlassen würde. Dies würde Arten, die sich an die Landbewirtschaftung angepasst hätten, gefährden. Einfach liegen lassen, sei keine Idee des Naturschutzes, denn so würde die Biodiversität nicht erhöht werden. „Es gibt viele Modelle, die gemeinsam mit der Landwirtschaft funktionieren“, so Schulze.

Svenja Schulze in Papendorf: Der Wille zum Kompromiss?

Dietmar Brauer, geschäftsführender Gesellschafter der Norddeutschen Pflanzenzucht in Malchow auf der Insel Poel warb in der Runde für einvernehmliche Lösungen mit den Landwirten. „Statt dessen erleben wir radikale Entscheidungen. Schwarz oder weiß. Ganz oder gar nicht. Den Willen zum Kompromiss kann ich nicht erkennen“, so Brauer, der mit seinem Unternehmen von den im Aktionsprogramm Insektenschutz vorgesehenen Einschränkungen beim Pflanzenschutz in Schutzgebieten betroffen ist. Schulzes Hinweis, dass deutschlandweit nur 1,2 % der Ackerfläche von den Restriktionen erfasst würden, war für den Pflanzenzüchter kein Trost. Eher schon der Hinweis, dass vor Ort Ausnahmen möglich seien.

Die Bundesministerin warb in Papendorf für einen neuen Gesellschaftsvertrag mit der Landwirtschaft. Pauschale Flächenzahlungen seien nicht mehr zeitgemäß. „Wir müssen Leistungen bezahlen. zum Beispiel für Blühstreifen“, so Schulze. Er wolle sich dafür einsetzen, diese Zahlungen am Gemeinwohl und der Umweltleistung zu orientieren, kündigte Minister Backhaus an. Eine Lehre aus der Corona-Krise ist die Sehnsucht vieler Leute nach regionalen Produkten.

Für Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern könnte künftig die Versorgung der Metropolregionen Berlin, Hamburg und Stettin einen ganz neuen Stellenwert erlangen. „Wer dann noch mit seinem Produktionsverfahren Klima, Artenvielfalt und sauberes Wasser fördert, muss was obendrauf kriegen. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“, bekräftigte Backhaus in Papendorf sein Credo ein weiteres Mal.