Pestizide in der Luft: Fakten statt Polemik

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Eine Untersuchung zur „Pestizid-Belastung der Luft“, die der Verein „Umweltinstitut München“ initiierte, provozierte deutliche Reaktionen aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Von Erik Pilgermann

Das „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“ und die Umweltorganisation „Umweltinstitut München e.V.“ fordern ein Sofortverbot von fünf Pestiziden, den Ausstieg aus dem Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis zum Jahr 2035 und die Entschädigung von Bio-LandwirtInnen. „Viele giftige Pestizide und ihre Abbauprodukte verbreiten sich in erschreckendem Ausmaß über die Luft bis in Städte und Nationalparks hinein. Die Risiken für Gesundheit und Artenvielfalt sind unabsehbar“, heißt es in einer Erklärung.

Als Basis für ihre Verbotsforderungen nennen die Initiatoren die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“, die im Auftrag des Umweltinstituts erstellt wurde. Das Umweltinstitut München ist eine deutsche Umweltschutzorganisation. Inzwischen arbeitet der spendenfinanzierte, gemeinnützige Verein unter anderem auch zu den Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft auf Mensch und Natur.

Studie „Pestizid-belastung der Luft“: Messungen an 163 Standorten

Für die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ des beauftragten Büros „TIEM Integrierte Umweltüberwachung“ wurden von März bis November 2019 an bundesweit 163 Standorten Pestizide in der Luft gemessen. Untersucht wurden Standorte im Umkreis von weniger als 100 m bis hin zu mehr als 1.000 m Entfernung von potenziellen Quellen – in Städten und auf dem Land, in konventionellen und Bio-Agrarlandschaften sowie in unterschiedlichen Schutzgebieten. Die Daten wurden den Angaben zufolge mit Hilfe von neu entwickelten technischen Passivsammelgeräten, aus Filtermatten in Be- und Entlüftungsanlagen von Gebäuden sowie durch die Analyse von Bienenstöcken und Baumrinden erhoben.

Insgesamt seien 138 Stoffe nachgewiesen worden, von denen 30 % nicht mehr oder noch nie zugelassen gewesen seien, teilten die Initiatoren mit. Vage blieben sie bei der Vorstellung der Ergebnisse in einer virtuellen Pressekonferenz allerdings hinsichtlich der tatsächlichen Gefährdung, die von den gemessenen Werten ausgeht. Fragen dazu wurden ausweichend beantwortet. Für den Vorsitzenden des Enkel-Bündnisses, Boris Frank, steht fest, dass Pestizide über die Luft auch auf Ökoflächen gelangen. Für die Behauptung, Biobauern könnten kontaminierte Produkte nicht vermarkten, gab es auf Nachfrage von Fachjournalisten jedoch ebenfalls keine Beispiele oder Zahlen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die die Studie selbst entgegennahm, nannte die Ergebnisse der Ausarbeitung dennoch „besorgniserregend“.

BFR: Gesundheitliche Beeinträchtigungen unwahrscheinlich

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nahm umgehend Stellung zu den Ergebnissen und den Forderungen des Umweltinstituts und des Bündnisses für enkeltaugliche Landwirtschaft. Grundsätzlich, so das BfR, seien gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Pflanzenschutzmittel beziehungsweise ihre Wirkstoffe bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung unwahrscheinlich. Dem BfR lägen mehrere Studien zur Thematik der Verflüchtigung und Verfrachtung von Pflanzenschutzmitteln vor, wobei jedoch nicht alle Untersuchungen geeignet wären, mögliche Risiken für Nebenstehende und Anwohnende hinreichend beurteilen zu können. Der alleinige Nachweis von Substanzen ließe keine hinreichenden Rückschlüsse auf mögliche Wirkungen zu.

Weder vom Bundesumweltministerium noch vom Umweltbundesamt (UBA) gab es offizielle Stellungnahmen zur Studie. Bundesministerin Svenja Schulze (SPD) twitterte lediglich: „Pestizide können sich kilometerweit durch die Luft verbreiten, auch abseits von Äckern. Ich werde mich weiter für mehr Ökolandbau & weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen.“ UBA-Präsident Messner erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass die Studie wertvolle Daten zur Verbreitung von Pflanzenschutzmitteln über die Luft liefere.

offener Brief an Umweltinstitut München

Klare Stellung bezog der Industrieverband Agrar (IVA). Er kritisierte die Studie als „alarmistisch und wissenschaftlich nicht valide“. Die Erfahrung zeige, Funde von Giftstoffen seien selten und die nachgewiesenen Mengen so minimal, „dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Hier wird ein Thema künstlich aufgebauscht“, so IVA-Hauptgeschäftsführer Frank Gemmer in einer Stellungnahme. Heute lasse sich jeder beliebige Stoff im Spurenbereich nachweisen. 

Peter R. Müller, Geschäftsführer der Bayer CropScience Deutschland GmbH wandte sich in einem offenen Brief direkt an den Grünen-Politiker Karl Bär, der beim Umweltinstitut München e.V. für die Studie verantwortlich ist. Müller unterstreicht, „dass sinnvolle Lösungen für die Zukunft nicht durch Gegeneinander, sondern durch Miteinander, nicht durch Polemik und Polarisierung, sondern durch einen faktenbasierten Dialog entstehen“.