Bauern wehren sich gegen die Düngeverordnung
Das Maß ist voll: nach umfangreicher Vorbereitung klagen betroffene Landwirte jetzt vor dem höchsten deutschen Gericht gegen das gesamte aktuelle Regelwerk.
Der Landwirtschaftsbetrieb Soeken aus dem ostfriesischen Timmel hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Düngeverordnung eingereicht. Damit wird das im März 2020 trotz massiver Bauernproteste novellierte Regelwerk erstmals grundsätzlich in Frage gestellt. Finanzieller Träger der Beschwerde ist die aus der Treckerbewegung des vergangenen Jahres entstandene Land schafft Verbindung (LSV) Ostfriesland UG. Die politische Vertretung liegt in den Händen der Freien Bauern, Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland, die das Projekt heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorstellte.
Auflagen für die meisten Betriebe sinnlos
Beschwerdeführer Jens Soeken bewirtschaftet einen Grünlandbetrieb mit Biogasanlage und Mutterkuhherde auf der ostfriesischen Geest. Er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Verfassungsbeschwerde nicht das berechtigte Ziel des Grundwasserschutzes angreift, sondern die vielen sinnlosen Bewirtschaftungsauflagen für die weit überwiegende Mehrzahl der bäuerlichen Betriebe. Diese arbeiteten die in natürlichen Kreisläufen und könnten deshalb gar keinen Schaden am Grundwasser anrichten. „Wenn der Staat mir vorschreibt, dass ich meine Pflanzen nicht mehr mit meinem eigenen organischen Dünger bedarfsgerecht ernähren darf, dann ist das ökonomisch und ökologisch falsch und es ist auch rechtlich nicht haltbar“, so Soeken.
Undifferenzierte Beschränkungen nicht gerechtfertigt
Rechtsanwalt Dr. Konrad Asemissen von der Potsdamer Kanzlei HSA Rechtsanwälte Henschke & Partner, der Soeken vertritt, sieht für seinen Mandanten den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel Drei des Grundgesetzes verletzt, wonach der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln. Dr. Asemissen erläutert: „Wo keine Nitratbelastungen vorhanden sind, sind die verschärften Anforderungen an die Ausbringung von Düngemitteln nicht erforderlich. Obwohl der Bund die Länder zu einer differenzierten Ausweisung von belasteten Gebieten verpflichtet hat, hält er an der bundesweiten undifferenzierten Geltung der verschärften Anforderungen fest und greift damit ohne sachliche Rechtfertigung in Eigentum und Berufsfreiheit meines Mandanten ein.“
Politik zum konstruktiven Dialog zwingen
Alfons Josef Wolff, Bundessprecher der FREIEN BAUERN betont, dass mit der Klage die Chance auf eine politische Lösung nicht verbaut ist: „Aber die Arroganz der Macht, mit der die Novelle der Düngeverordnung durchgepeitscht wurde, verlangte nach entschiedener Gegenwehr. Deshalb kann ich unseren ostfriesischen Mitgliedern Jens Soeken, Fokko Schumann und Sara Collmann, die mit ihrer LSV UG Spenden von über 2.500 Berufskollegen gesammelt und zielgenau eingesetzt haben, zu diesem Schritt nur gratulieren.“ Jetzt sei es an der Politik, den Systemfehler zu erkennen und mit dem Berufsstand in einen konstruktiven Dialog zu treten, so Wolff: „Wir wollen eine Düngeverordnung, die unser Grundwasser schützt und eine Landwirtschaft nach guter fachlicher Praxis nicht behindert.“
Zum Hintergrund der Klage
Die EU-Nitratrichtlinie von 1991 verlangt von den Mitgliedsstaaten, Gewässerverunreinigungen zu bekämpfen, indem „gefährdete Gebiete“ ausgewiesen und für diese Gebiete „Aktionsprogramme“ aufgestellt werden, die die Verunreinigung reduzieren. Ersatzweise können solche Aktionsprogramme auch für das gesamte Staatsgebiet aufgestellt werden. Deutschland habe zunächst ohne vernünftigen Grund auf die Ausweisung gefährdeter Gebiete verzichtet und mit der Düngeverordnung 1996 ein Aktionsprogramm für das gesamte Staatsgebiet aufgestellt. Damit wurde die Landwirtschaft in den weit über 90 Prozent des Staatsgebietes, in denen keine Verunreinigungen bestehen, unzulässig benachteiligt, so die Kläger.
2006 und 2017 wurde diese Düngeverordnung verschärft, 2017 unter Berufung auf eine angeblich flächendeckende Gefährdung des Grundwassers. Die Kläger rügen, dass diese allerdings nie belegt, sondern im Gegenteil massiv manipulierte Daten nach Brüssel gemeldet worden seien. Dies zeige sich an der weit unterdurchschnittliche Messstellenzahl sowie an der intransparenten Datenzusammenstellung. Deutschland hat 2020 die Düngeverordnung erneut verschärft und dabei mit der Ausweisung „roter Gebiete“ erstmals das von der EU-Nitratrichtlinie vorgesehene System der „gefährdeten Gebiete“ umgesetzt – allerdings ohne folgerichtig das Aktionsprogramm Düngeverordnung für das restliche Staatsgebiet zurückzunehmen. Die Ausweisung „roter Gebiete“ sei im Übrigen häufig ohne wissenschaftlich belastbare Kriterien erfolgt, was nur von den Landwirten vor Ort beklagt werden könne.
Damit entspreche die Düngeverordnung weder den Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie noch reagiere sie auf eine tatsächliche Bedrohung von Gewässern. Sie belaste stattdessen unsere Landwirtschaft mit sinnlosen Mehrkosten und Mindereinnahmen und sorge so dafür, dass weniger in Deutschland produziert und mehr aus dem Ausland eingeführt wird. Die Kläger halten sie deshalb für rechtswidrig und haben am 1. Dezember 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingereicht mit dem Ziel, die Düngeverordnung für ungültig zu erklären. red
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