Erbschaft- und Schenkungssteuer: Kleines Drama
Führt die Novelle der Erbschaftssteuer dazu, dass durch die Verschonungsregel die Besteuerung die Ausnahme wird? Diese Kritik äußert der Bundesfinanzhof.
Ausgangspunkt des Verfahrens war der Anruf des obersten Gerichts durch den Bundesfinanzhof, weil nach dessen Auffassung die Vergünstigungen in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Novelle der Erbschaftsteuer nicht grundgesetzkonform sind.
Kritik im Detail
Die kritisierten Verschonungsregeln betreffen den Übergang von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen sowie von Betriebsvermögen und von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Danach entfällt die Erbschaftsteuer in der Regel ganz, wenn ein Betrieb zehn Jahre fortgeführt wird. 85 % der Erbschaftsteuer werden erlassen, wenn der Betrieb sieben Jahre weitergeführt wird. Werden die Auflagen nicht über die gesamte Laufzeit eingehalten, wird die Erbschaftsteuer lediglich zeitanteilig erhoben.
Beibehalten wurde in der Novelle von 2009 auch, dass sich die Bewertung von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen an der Fortführung des Betriebes orientiert. Verpachtete Flächen und Betriebe werden bis zu einer Verpachtungsdauer von 15 Jahren in die Verschonungsregelungen einbezogen. Erbschaftsteuerlich problematisch bleiben allerdings Reinvestitionen von veräußertem Betriebsvermögen sowie Umstrukturierungen landwirtschaftlicher Betriebe, wenn dabei die Grenze zwischen landwirtschaftlichem und gewerblichem Vermögen überschritten wird. Für Wohneigentum müssen Witwen und Witwer sowie Kinder nach der 2009er Regelung keine Erbschaftsteuer zahlen, wenn das Haus oder die Wohnung mindestens zehn Jahre selbst genutzt wird. Für Ehegatten wurde der Freibetrag bei der Erbschaftsteuer auf 500 000 Euro, für Kinder auf 400 000 Euro und für Enkel auf 200 000 Euro angehoben. Für Geschwister sowie Neffen und Nichten beträgt der Freibetrag gemäß der Regelung von 2009 lediglich 20 000 Euro; jenseits dieser Grenze liegt der Steuersatz bei 30 bis 50 %.
Überzogene Vorteile?
Der Bundesfinanzhof wertet die Verschonungsregeln als verfassungswidrige Überprivilegierung. Sie seien nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigt, so der Bundesfinanzhof im Jahr 2012. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde. Es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen. Die Steuervergünstigungen führten zusammen mit den Freibeträgen und „den zahlreichen anderen Verschonungen“ dazu, dass bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung die Steuerbefreiung die Regel und die Besteuerung die Ausnahme sei, so der Bundesfinanzhof.
Gelten gute Gründe?
Demgegenüber sieht der Deutsche Bauernverband die Verschonungsregeln für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen durch vielfältige Gemeinwohlgründe gerechtfertigt. Genannt werden in seiner vorab eingereichten Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag vergangener Woche in Karlsruhe die Versorgungssicherung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln, der Beitrag zum Klima-, Umwelt- und Naturschutz, die Stabilisierung des ländlichen Raums und die Stärkung der dortigen Infrastruktur sowie die Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft. Aus Sicht des DBV würde eine Erbschaft- und Schenkungssteuer ohne gesonderte Regelungen für die Land- und Forstwirtschaft den Strukturwandel noch erheblich verschärfen. In der Land- und Forstwirtschaft sei es in der Regel nicht möglich, ausreichend finanzielle Vorsorge für den Erbschaft- oder Schenkungssteuerfall zu treffen, gibt der DBV zu bedenken. Sollten sie dennoch dazu gezwungen werden, müssten Land- und Forstwirte betriebsnotwendiges Vermögen veräußern. „Land- und forstwirtschaftliche Betriebe sind deshalb umfassend auf Verschonungsregeln angewiesen“, betont der Bauernverband in der Stellungnahme.
Im Verlauf der Verhandlung des Ersten Senats spielte der Agrarsektor den Angaben des DBV zufolge allerdings keine Rolle. Die kritischen Nachfragen der Richter bezogen sich demnach vorrangig auf die Schonung sehr großer Vermögen bei der Erbschaftsteuer. Möglichweise ist das ein Fingerzeig, dass die Land- und Forstwirtschaft bei der für kommenden Herbst angekündigten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts außen vor bleiben könnte. Dass die Richter das geltende Erbschaftsteuergesetz in Gänze bestätigen, gilt indes als unwahrscheinlich.
von Agra-Europe