Report Mainz: Schnauze voll – der Skandal dahinter

Ganz nah dran. (c) Sabine Rübensaat
Brennpunkt
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„Report Mainz“ zeigte in seiner Reportage über Schweinehaltung in Coronazeiten Filmaufnahmen, die heimlich in einem Schlachthof in Brandenburg aufgenommen wurden. Sie zeigen, wie Schweine gequält werden. Tierrechtler nutzen nun diese Aufmerksamkeit, um Landwirte unter Druck zu setzen.

Von Heike Mildner

Am Dienstag voriger Woche ging das ARD-Magazin „Report Mainz“ der Frage nach, ob die coronabedingte Schweinekrise eine Chance für mehr Tierschutz sei. Monika Anthes und Edgar Verheyen erläuterten in einer halben Stunde, wie in Deutschland Schweinefleisch produziert wird, was es mit Schweinestau, Tierwohllabel und Borchert-Kommission auf sich hat und welche Rolle die Politik dabei spielt. Eingangs freut sich eine Bäuerin aus Niedersachsen über ihre Schweine, die auf frischem Stroh herumtollen, ihr zwei Euro pro Kilo bringen und in der Fleischerei Bedford doppelt so teuer wie beim Discounter verkauft werden. Beispiele für regionale Wertschöpfungsketten wie diese gibt es auch in Brandenburg. Sie bieten dem bewussten Fleischkonsumenten die Möglichkeit, Schnitzel mit gutem Gewissen zu essen: regional erzeugt, kurze Wege zum Schlachthof und zur Fleischtheke, übersichtliche Strukturen, wie sie in „vorindustrieller“ Zeit üblich waren, verbunden mit einer Vorstellung von mehr Tierwohl.

Jan Peifer vom Deutschen Tierschutzbüro im Report Mainz
(c) Screenshot ARD / Heike Mildner

Report Mainz zeigt Quälerei im Schlachthof

In ihrer Sendung zeigen die Journalisten von Report Mainz nicht nur Aufnahmen, die bei den Gesprächen mit Schweinehaltern entstanden sind, sondern verwenden auch Bildmaterial des Vereins Deutsches Tierschutzbüro. So zeigt eine versteckte Kamera im Schlachthof Neuruppin, wie der Mitarbeiter im Betäubungsbereich die Schweine quält: „Auf den Aufnahmen sehen wir einen Mitarbeiter, der mit einem Metallstab Tiere regelrecht verprügelt, sie schlägt und nicht ausreichend mit einer Elektrozange betäubt. Die Folge: Tiere erwachen wieder während der Entblutung und der Zerlegung. Ein Experte stellt mehr als 400 Rechtsverstöße fest“, kommentiert Autor Verheyen die Bilder. „Insgesamt wurden 410 Tiere an zwei Tagen im August 2020 dokumentiert“, teilt das Deutsche Tierschutzbüro in seiner Pressemitteilung am Tag der Ausstrahlung mit. Das Bildmaterial sei dem Verein Mitte Oktober zugespielt worden. Man habe sofort per E-Mail das zuständige Veterinäramt in Neuruppin informiert. „Nach detaillierter Auswertung und Sichtung des Videomaterials wurden dem Veterinäramt und der zuständigen Staatsanwaltschaft im November die Ausarbeitung sowie das gesamte Bildmaterial zu Verfügung gestellt“, heißt es in der Pressemitteilung weiter.

Das Veterinäramt kann das nicht bestätigen. Die „sofortige Information“ war offenbar eine anonyme Mail. Trotz fehlenden Absenders sei das Amt den „bedingt aussagekräftigen“ Hinweisen nachgegangen, teilt der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit. Anzeigen im Tierschutzbereich würden zunehmen, jeder werde nachgegangen, sagt Simone Heiland.

Report Mainz zeigt Vielzahl von Verstößen im Schlachthof

Sie ist die Amtsveterinärin im Landkreis und nicht weniger als die Zuschauer der ARD-Sendung entsetzt, als sie die Bilder aus dem Schlachthof zu sehen bekommt. Allerdings kann sie ebensowenig nachvollziehen, warum das Amt als zuständige Behörde nicht sofort nach Bekanntwerden der katastrophalen Zustände informiert wurde. „Die Pressemitteilung des Deutschen Tierschutzbüros entspricht nicht der Wahrheit“, so Heiland. Das Videomaterial sei dem Amt erstmalig am 25. November gezeigt und – auf Nachfrage – einen Tag später als zehnminütiger Zusammenschnitt zur Verfügung gestellt worden. Allerdings nicht durch das Tierschutzbüro, sondern von einem Journalisten, der das Material vom Deutschen Tierschutzbüro erhalten hatte – vermutlich war es Verheyen. „Unstrittig ist hier eine Vielzahl von Verstößen zu sehen“, so Heiland. „Einerseits begegnen uns eine unglaubliche Rohheit und Gewalt gegenüber den Tieren in der Betäubungsbucht, andererseits die blanke Ignoranz und Teilnahmslosigkeit, gepaart mit groben Fehlern beim Blutentzug. Für uns ist das absolut nicht nachvollziehbar, denn gerade der Mitarbeiter im Betäubungsbereich weiß ganz genau, wie ein Schwein tierschutzgerecht betäubt werden muss. Er war bei jeder Kontrolle derjenige, der die Tiere ruhig, schnell und schonend betäubte. Wir sind schockiert, diese Bilder sehen zu müssen. Bei den letzten Tierschutzkontrollen in diesem Bereich wurde ruhig und korrekt mit den Tieren umgegangen“, so die Amtsveterinärin. Den beiden Hauptakteuren sei nach Sichtung des Zusammenschnitts umgehend die Sachkundebescheinigungen nach Tierschutzschlachtverordnung entzogen worden, berichtet sie.

Report Mainz zeigt Aufnahmen in einem Schlachthof in Brandenburg
(c) Screenshot ARD / Heike Mildner

Material zurückgehalten

Das gesamte Videomaterial habe die Behörde vom Deutschen Tierschutzbüro erst anfordern müssen, teilt der Landkreis mit. Seit es kurz vor Weihnachten vorliegt, würden weitere Maßnahmen wie Strafanzeigen, Ordnungsverfügungen, Prüfung weiterer Verantwortlichkeiten vorbereitet. Die Prüfung werde wegen des großen Umfangs an Videomaterial noch einige Zeit in Anspruch nehmen, heißt es in der Stellungnahme.

Fragt sich also, ob es dem Deutschen Tierschutzbüro tatsächlich um ein zügiges Beenden der ekelhaften Tierquälereien im Schlachthof ging. Denn dann hätte es das Amt sofort informiert und den Tieren mindestens rund einen Monat lang Leid erspart. Jedoch setzen die Tierrechtler um Jan Peifer offenbar andere Prioritäten. „Besonders pikant ist: Der Schlachthof, der bisher als Vorzeigebetrieb galt, nimmt an der Initiative Tierwohl teil und schlachtet primär Bio-Schweine. Der Hauptabnehmer ist offensichtlich die Bio- Company“, teilen sie der Presse am Tag der Ausstrahlung von Report Mainz mit. Auch die Biomanufaktur Havelland lasse in Neuruppin schlachten. Immer wieder werde empfohlen, bei kleinen, regionalen Betrieben zu kaufen, schreiben die Tierrechtler, ihre Bilder würden beweisen, dass auch dort Tiere gequält werden. Nur die vegane Lebensweise stelle sicher, dass kein Tier leidet.

Doch die Tierrechtler gehen noch einen Schritt weiter: Am selben Tag geht bei Landwirten, die ihre Schweine in Neuruppin schlachten lassen, ein Schreiben des Deutschen Tierschutzbüros ein, das der Bauernzeitung vorliegt. Es beginnt mit diesem Satz: „Unsere Recherchen haben ergeben, dass Sie Fleisch des Schlachthofes Färber & Co. Großschlächterei in Neuruppin beziehen“ und endet so: „Wir fordern Sie auf, die Zusammenarbeit mit dem Färber-Schlachthof sofort zu beenden und uns eine Rückmeldung bis 8.1.2021 zu geben. Wir planen, die Öffentlichkeit erneut in Form einer Pressemitteilung zu informieren. Sollten Sie die Zusammenarbeit dann nicht beendet haben, werden wir der Öffentlichkeit mitteilen, dass Sie sich von Tierquälerei nicht distanzieren.“

Wie reagiert man auf so etwas?, fragten sich die Adressaten. Entsetzt über die Bilder waren auch sie, und Probleme hatten viele schon genug: Bereits vor Weihnachten hatte der Schlachthof die Schlachtung in Neuruppin eingestellt. Offizielle Begründung gegenüber den Erzeugern: Corona. Dabei müssen dem Schlachthof zu diesem Zeitpunkt die Videoaufzeichnungen bereits vorgelegen haben. Vertrauensvolles Miteinander in einer Krise geht anders.

Bessere Überwachung

Die Berliner Supermarktkette Bio-Company und ihre hundertprozentige Tochter, die Biomanufaktur Havelland, reagieren umgehend mit einem Statement: „Wir sind erschüttert und distanzieren uns ausdrücklich von den unsäglichen Tierquälereien im Schlachthof Färber. Jegliche Misshandlung ist für uns absolut inakzeptabel. Wir haben sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle im Dezember die Belieferung aus diesem Betrieb gestoppt.“

Entgegen der Darstellung des Tierschutzbüros seien sie keinesfalls Hauptabnehmer von Färber, heißt es weiter. „Für uns ist nur schwer erträglich, dass die unter bestmöglichen Bedingungen gehaltenen Tiere letztlich in der Verarbeitung nicht die ihnen gebotene Würde und Wertschätzung erfahren durften.“ In allen bisherigen von ihnen beauftragten und unangemeldet stattgefundenen Tierwohlkontrollen im Betrieb seien derlei Praktiken nie offenkundig geworden. „Da aber diese Misshandlungen offensichtlich stets außerhalb dieser Kontrollen stattfinden, werden wir in Zukunft das höchstmögliche Maß an Überwachung auch vertraglich festlegen“, heißt es in dem Statement weiter. Derlei Missstände würden gerade jenen schaden, die anständig arbeiten.

Künftig eigene Kamera

Auch der Schlachthof selbst distanziert sich, und zwar von den betreffenden Mitarbeitern. Er entlässt sie und stellt Strafanzeige. Schon vor Kenntnis der Vorfälle habe man in Neuruppin ein ohnehin geplantes Investitionsprogramm begonnen, im Bereich Schlachtung sei eine Videoüberwachung installiert worden, schreibt die Geschäftsleitung.

Für Winfried Koch von der Farm Katerbow im Havelland kommt dieser Schritt zu spät. Auch er holt Pläne aus der Schublade, investiert und hat sich das Ziel gesetzt, in anderthalb Monaten eine eigene Schlachtung auf die Beine zu stellen. „Wir haben nicht das Leiseste geahnt“, sagt Koch, „sonst hätten wir unsere Tiere dort nicht schlachten lassen.“ Bisher werden sie in Hakenberg verarbeitet. Koch will seine Schlachtung hochfahren und auf den neuesten Stand bringen. Auch hier sollen Kameras zum Einsatz kommen. „Wir leben von unserer Transparenz“, sagt Koch. Schon in den Ställen arbeitet er mit Livekameras. Die Kunden der Fleischerei bekommen einen Code, mit dem sie einen zeitlich begrenzten Zugriff auf die Kamerabilder bekommen.

„So etwas ähnliches werden wir auch im Schlachtbereich machen“, sagt Koch, der hofft, dass die Behörden sein Tempo mitgehen. Schlachten will Koch in seiner neuen Schlachtstätte aber ausschließlich jene Schweine, die er selbst aufzieht und vermarktet. Derzeit sind das 15 bis 30 Tiere in der Woche.

Andere haben eine solche Möglichkeit nicht und sind auf den einzigen Schlachthof in der Region angewiesen: „Wir haben zwei Läden zu beliefern, insgesamt sind 18 Mitarbeiter in der Verarbeitung und Direktvermarktung beschäftigt“, sagt Enrico Voigt, Geschäftsführer der Agrargenossenschaft Gülpe. Die Genossenschaft hält 70 Sauen im geschlossenen System und lässt jährlich rund 1.100 Schweine in Neuruppin schlachten. Bisher sei man mit der Qualität der Schlachtkörper immer zufrieden gewesen, so Voigt. Mit dem Schlachthof habe man vereinbaren können, die Schweine nun in Belgern (Sachsen) schlachten zu lassen. Der Transport über eine Spedition verursacht ihm allerdings enorme Kosten, und statt der 50 sind es nun 200 Kilometer bis zum Schlachthof.

In der eigenen Gülle

Zinndorf. Ende November hat Animals Right Watch (Ariwa) in einem Schweinestall in Zinndorf (Brandenburg, Märkisch-Oderland) heimlich Aufnahmen gemacht. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) zeigte sie in der Sendung Brandenburg aktuell am Freitag. Die Stallanlage, in der mehr als 1.000 Schweine stehen sollen, wirkt äußerlich heruntergekommen. Zudem soll die Gülleanlage defekt sein. Auf den Aufnahmen sieht man Schweine in ihren Exkrementen stehen und liegen. Das Veterinäramt habe am 25. November 2020 eine Kontrolle durchgeführt und mündliche Auflagen erteilt. Am 4. Dezember habe es keine Beanstandungen mehr gegeben, heißt es. Ein Satz, der zumindest im Widerspruch zum Gezeigten steht. red

Mit rund 25.000 Schweinen wurden in Neuruppin bisher in einem Jahr so viele Tiere geschlachtet wie in Rheda-Wiedenbrück an einem Tag vor Corona. „Als Land wollen wir mehr regionale Wertschöpfungsketten aufbauen – dazu gehören auch Schlachtkapazitäten, von denen es in Brandenburg sehr wenige gibt. Auch deshalb sind die Vorgänge im Schlachthof Neuruppin ein Desaster“, so Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel zur Bauernzeitung. Klar sei, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher regional erzeugte und verarbeitete Produkte wollen, bei denen Tierwohl und artgemäßer Umgang mit Nutztieren garantiert sein müssen. „Deshalb gehört zu regionaler Verarbeitung und Vermarktung auch absolute Transparenz“, so Vogel. Regionalität könne nur Erfolg haben, wenn sie mit einem eingelösten Qualitätsversprechen einhergehe. Da seien die Vorgänge im Schlachthof Neuruppin, aber auch rbb-Bilder von den Schweinen in der Jauche absolutes Gift, nimmt Vogel Bezug auf einen Bericht, den der Rundfunk Berlin-Brandenburg drei Tage später zeigte (Kasten links). Das dürfe sich nicht wiederholen, da seien auch die Bauernverbände und Kreisveterinäre gefordert, mahnt Vogel.

Offener Brief an Peifer

Der Landesbauernverband (LBV) wandte sich am Dienstag in einem offenen Brief an Peifer. Darin wird der Tierrechtler aufgefordert, die „Maßnahmen gegenüber den Betrieben einzustellen“. Der LBV behalte sich vor, Peifers „sträfliches Unterlassen der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Prüfung vorzulegen“. „Nicht nur, dass Sie mutmaßlich mittels GPS-Tracker die Auslieferungsfahrzeuge verfolgt haben, was bereits für sich genommen eine enorme kriminelle Energie erfordert“, nun sei auch noch eine nötigungsähnliche Forderung an regionale Betriebe gegangen, so der LBV. Selbst regionale Tierhalter wie die niedersächsische Bäuerin mit den glücklichen Schweinen vom Anfang der Sendung dürften Tierrechtlern wie Jan Peifer ein Dorn im Auge sein: Denn auch diese Schweine leben nicht in Freiheit und werden am Ende gegessen. Tierrechtler sind Fundamentalisten. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ihnen mit dem Report Mainz eine Plattform bietet, ist ebenso fragwürdig wie der Umstand, dass es Zeitgenossen gibt, die unerträgliche Zustände in ihren Ställen tolerieren, und Händler, die sie in Kauf nehmen, um ihren Schnitt zu machen. Schweine dürften davon die Schnauze voll haben. Und nicht nur sie.