Realität wie im echten Leben
Wer hat das Sagen auf dem deutschen Lebensmittelmarkt? Ökonomen und Politiker befinden sich zu oft fern von der Realität, in welcher die Landwirte wirtschaften und gleichzeitig die Wünsche der Verbraucher erfüllen müssen.
Meine Tageszeitung berichtet vergleichsweise realistisch über landwirtschaftliche Themen und Agrarpolitik. Ich würdige das durch Nachsicht, wenn wir mal nicht einer Meinung sind. Zum Beispiel neulich, als es kurz vor der digitalen Grünen Woche sehr ausführlich um die Misere mit den unter Wert bezahlten Lebensmitteln ging. Nach guter, gründlicher Analyse kam meine Tageszeitung zu dem Schluss, dass die Landwirte doch besser beraten wären, wenn sie statt für den weltweiten Export für den deutschen Markt produzieren würden.
Wer hat das Sagen auf dem deutschen Lebensmittelmarkt?
Teils war ich erleichtert. Denn während ich das las, standen Agraraktivisten vor dem Bundeskanzleramt, und einige forderten allen Ernstes „100 Prozent Bio“. Immer noch. Meine Tageszeitung hat diese Phase lange hinter sich. Dennoch war ich auch enttäuscht. Schließlich hörte der Beitrag genau dort auf, wo die harte Wirklichkeit beginnt. Denn wer, bitte schön, hat auf dem gelobten deutschen Markt das Sagen? Aldi versuchte gerade, sich klein zureden mit dem Argument, man würde ja nur ganz wenige Prozent der Frischmilch vertreiben. Eine nette Finte, einfach die übrige „weiße Linie“ auszublenden. Aber auch dieser Trick kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der heimische Lebensmittelmarkt zu 85 Prozent von vier großen Spielern bestimmt wird. An ihnen kommt niemand vorbei. Sie sind es, an denen sich die übrige Kette heute auszurichten hat. Was also würde sich ändern, wenn sich Bauern noch mehr als bisher auf den deutschen Markt konzentrierten?
Sich an der Realität zu orientieren, bleibt also ein Grundforderung. Auch an die Politik, wie wir gerade in Sachsen-Anhalt sehen. Dort wird versucht, durch ein Gesetz mehr Kontrolle über den Bodenmarkt zu bekommen. Dafür gibt es auch unter Landwirten Sympathien. Denn die Sorge, dass Acker für den Betrieb vor Ort bald nicht mehr bezahlbar wird, ist groß. Und oft berechtigt. Nur fragt sich, ob das geplante Gesetz die mit ihm verbundenen Erwartungen jemals erfüllen könnte. Eine Berliner Rechtswissenschaftlerin und ein Hallenser Agrarökonom bezweifeln dies. Die Juristin, weil sie beim Lesen des Entwurfes auf bemerkenswert viele rechtliche Ungenauigkeiten, ja sogar ernste handwerkliche Fehler stieß. Der Bodenmarktexperte, weil er feststellte, dass die Zahlen nicht stimmen, mit denen die Ziele und Maßnahmen des Gesetzes begründet werden. Wie sollte dieses Regelwerk also später im echten Leben funktionieren? Und wer liefert so eine Vorlage ab?
wünsche der Gesellschaft erfüllen und gleichzeitig wirtschaften
Nur zwei Aufreger aus diesen Tagen. Da haben wir über Tierwohl, Sauenhaltung, Insektenschutz, TA Luft, Pflanzenschutzmittelzulassung, rote Gebiete, EEG, Klimaschutz, GAP, Naturschutz, Wasserrecht, Schlachthöfe und Flächenfraß noch gar nicht intensiver nachgedacht. Die (unvollständige) Auflistung zeigt, dass der Wandel längst im Gange ist. Und dass die meisten Betriebe ihn schon mitgehen. Was bislang vermutlich zu kurz kommt: Noch nicht deutlich genug hat die Landwirtschaft erklärt, was sie in diesem Wandlungsprozess zu leisten in der Lage ist und was diese Leistung kosten würde. Denn am Ende muss noch jemand da und in der Lage sein, die Wünsche der Gesellschaft zu erfüllen. Ob ein Betrieb Getreide für die nächste Mühle oder für das nächste Schiff anbaut oder aber lieber eine Artenschutzwiese hegt, ist am Ende eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Ökonomen und Politiker sind an diesem Punkt noch längst nicht immer in derselben Realität unterwegs.