Autobahnraststätten-Bau am Berliner Ring: Trucker statt Acker?
Auf 25 Hektar vom besten Boden soll eine Autobahnraststätte entstehen. Erst ging es um Priort, jetzt um Uetz-Paaren – Orte am westlichen Berliner Ring. Eine Bürgerinitiative mit Landwirt Stephan Otten wehrt sich.
Von Wolfgang Herklotz und Heike Mildner
Havelseen – das klingt nach Badespaß und Sonnenbrand. Aber die „Havelseen“, um die es hier geht, werden aus Beton und Asphalt gemacht sein: Eine Autobahnraststätte, geplant für die A 10, westlicher Berliner Ring, soll so heißen. Seit 2010 ein Rastanlagenkonzept dem Mangel an Lkw-Stellplätzen entlang des Rings entgegenwirken soll, wird nach einer Alternative zu „Wolfslake“ gesucht, der einzigen Raststätte zwischen den Autobahndreiecken Werder im Süden und Havelland im Norden. Mancher, der von Süden kommend links an Berlin vorbei zur Ostsee will, hat hier schon gehalten.
Aber Wolfslake hat zu wenig Stellplätze, ist in die Jahre gekommen, und außerdem könnten die Klos sauberer sein – so der Tenor der Google-Maps-Einträge. Aber dass die Raststätte nicht ausbau- und sanierungsfähig sein soll? Für die Bürgerinitiative Potsdamer Norden, die seit Oktober 2020 gegen die „Havelseen“ mobil macht, ist das undenkbar. Und Landwirt Stephan Otten, der hier wirtschaftet, wird nicht kampflos auf 25 ha Acker verzichten.
Vor acht Jahren: Erfolgreicher Widerstand GEGEN NEUE RASTSTÄTTE BEI PRIOrT
Fünf Kilometer nördlich des derzeit favorisierten Standorts hatte sich vor acht Jahren das Dorf Priort erfolgreich gegen die neue Autobahnraststätte gewehrt. Unter der Überschrift „Überflüssig wie ein Kropf“ (Bauernzeitung, 39/2013, S. 6, Brandenburg) veröffentlichten wir einen Beitrag über den geplanten Bau von zwei Tank- und Autobahnraststätten an der A 10 bei Priort im Landkreis Havelland. Schon damals stieß das Projekt auf heftigen Widerstand unter den Anwohnern, insbesondere Landwirten. Denn es hätte den Entzug von rund 20 ha Nutzfläche bedeutet. „Wir Landwirte in der Region haben seit 1990 rund 500 Hektar für Bau- und Ausgleichsmaßnahmen verloren. Jetzt reicht es mit dem Flächenfraß“, erklärte damals Heiner Engelmann von der WHB Hoppenrade Marktfrucht-GmbH. Bei einem Vor-Ort-Termin mit dem Bundestagsabgeordneten Uwe Feiler (CDU) meldeten sich damals auch Vertreter einer Bürgerinitiative zu Wort.
Sie machten schon damals deutlich, dass das strittige Vorhaben nicht nur die Versiegelung von Flächen, sondern auch eine Belästigung durch Lärm und Abgase zur Folge hat. Überdies würden Steuermillionen vergeudet. Denn nur wenige Kilometer weiter nördlich existierten bereits zwei Tank- und Raststätten, die nur saniert werden müssten. Der Schulterschluss zwischen Landwirten und Anwohnern schien Früchte zu tragen. Vom Neubau am Standort Priort war in den folgenden Monaten und Jahren nicht mehr die Rede. Ein Sieg der Vernunft?
Ausbau der raststätte Wolfslake sei keine Option
Acht Jahre später ist der Ausbau von Wolfslake für das Infrastrukturministerium nach wie vor keine Option. Eine Erweiterung sei nicht möglich, denn die Raststätten liegen in einem Landschaftsschutzgebiet, heißt es vonseiten des Ministeriums. „Hinsichtlich der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung bestehen keine Anschlüsse an das kommunale Netz“, so die Argumente der Planer. Bodo Oehme hat vom Wasserversorger anderes gehört: Alles sei möglich, nur eine Frage des Geldes. Oehme ist Bürgermeister der Gemeinde Schönwalde-Glien, deren Vertreter erst im Januar mit großer Mehrheit für den Erhalt von Wolfslake votiert haben. Das Landschaftsschutzgebiet, gleichmäßig mit Kiefern bewachsen, sei 1996 flächendeckend ausgewiesen worden, so Oehme. Es sind ebensolche Kiefern, wie sie jüngst für den Tesla-Standort in Grünheide massenhaft gefällt wurden.
Nach dem Willen der Planer – die damit offenbar allein dastehen – sollen Wolfslake aufgegeben, die Flächen entsiegelt und als Kompensation für den Bau der neuen Anlage angerechnet werden. Argumentativ greift das Ministerium auf die Proteste von vor acht Jahren zurück: Damals sei intensiv über den Standort diskutiert worden, so die Pressesprecherin des Ministeriums zur Bauernzeitung. Im Ergebnis der Debatte mit Gemeinden, Bauernverband und Bürgerinnen und Bürgern sei entschieden worden, statt der zwei Raststätten nur eine Raststätte auf der westlichen Seite zu bauen, die über eine Brücke von der Gegenfahrbahn aus erreichbar sein soll. Allerdings waren die von der neuen Planung Betroffenen damals noch nicht im Boot und die anderen vermutlich froh, das Problem erst mal los zu sein. Echte Bürgerbeteiligung stellt man sich irgendwie anders vor.
Neue Tank- und Raststätte auf 50er-Böden
Am Mittwoch voriger Woche treffen wir uns mit Stephan Otten, Betriebsleiter der Agro Uetz-Bornim GmbH. Wir stehen auf einer Brücke, die über die A 10 führt. An diesem trüben Februartag sind viele Lastkraftwagen und Autos unterwegs. Otten zeigt auf die Fläche hinter sich, auf der im Herbst vergangenen Jahres Weizen gedrillt wurde. „Unser bester Ackerboden. Von den 50er-Böden ernten wir in guten Jahren zwischen acht und neun Tonnen Getreide pro Hektar.“ Doch damit könnte spätestens mit dem geplanten Baubeginn 2024 Schluss sein: Auf dem besagten Areal direkt an der Autobahn soll die neue Tank- und Raststätte entstehen. Wie Otten versichert, war schon im Herbst vergangenen Jahres zu spüren, dass da was „am Köcheln“ sei. Traurige Gewissheit brachte dann ein Schreiben des Landesamts vom 21. Dezember. Es enthielt eine CD mit den Unterlagen für die „Tank- und Rastanlage Havelseen“ und die Aufforderung dazu bis Mitte April 2021 Stellung zu beziehen.
Notfalls gerichtlich: Landwirt und Bürgerinitive wollen kämpfen
„Diese Nachricht hat uns zutiefst geschockt“, betont Stephan Otten. „Denn wenn das Projekt Realität wird, verlieren wir 25 Hektar unserer besten, ohnehin sehr raren Böden. Ich hätte zudem nie gedacht, dass so viel Nutzfläche draufgeht.“ Zwar sollen die Unterlagen ab Mitte Februar öffentlich ausgelegt und diskutiert werden. Doch es ärgert den Landwirt, dass er und sein Betrieb vorab keine Informationen über das Vorhaben bekommen haben. Und dass das Verfahren offensichtlich schon weit fortgeschritten ist. Denn angeblich seien alle Belange hinsichtlich Lärm-, Umwelt- und Naturschutz gründlich abgewogen worden. „Ich vermisse aber eine klare Aussage, warum man sich gegen die Sanierung der Anlage Wolfslake entschieden hat!“ Eine notwendige Erweiterung dort wäre aus landwirtschaftlicher Sicht kein Problem, weil es sich um sandige Böden handelt.
Sicherlich, der Flächenverlust durch den Bau der Autobahnraststätte am Berliner Ring würde den Betrieb nicht in Gefahr bringen, räumt der Betriebsleiter ein. Das auf rund 1.000 ha wirtschaftende Unternehmen hat mehrere Standbeine, bietet neben dem Marktfruchtanbau auch Lohnleistungen an und hat einen Ökobetrieb mit Mutterkuhhaltung als Tochtergesellschaft. „Aber es kann doch nicht sein, dass man so mit uns umgeht.“ Der Landwirtschaftsbetrieb steht indes nicht allein. Anfang Oktober formierte sich eine Bürgerinitiative, um das Bauprojekt zu verhindern. Mit ihr zusammen will Otten die nächsten Schritte unternehmen, notfalls auch gerichtlich.
Die „Havelseen“ sind kein Einzelfall
Die Versiegelung von Acker- und Grünlandflächen ist auch 30 Jahre nach der Wende noch ein Problem im Osten. Allein in Brandenburg werden der Landwirtschaft täglich 5,6 Hektar entzogen, in Mecklenburg-Vorpommern sind es drei Hektar. In Sachsen hat sich die Landesregierung mit zwei Hektar pro Tag ein Ziel gesetzt, es mit zuletzt fünf Hektar pro Tag jedoch weit verfehlt. Doch auch der Widerstand gegen die Inanspruchnahme unversiegelter Flächen wächst: In Erfurt sammelten Kreisbauernverband, Ortsgruppen des BUND und „Fridays für Future“ 4.000 Unterschriften gegen die Umwandlung von 45 ha Acker mit Bodenwertzahlen von über 95 in Industrie- und Gewerbeflächen.
In Sonneberg stößt die Umwandlung von 80 ha mit mehr als 50 Bodenpunkten auf Widerstand. In Sachsen-Anhalt gehört das Gewerbegebiet Osterweddingen bei Magdeburg mit rund 600 ha Bruttofläche zu den größten im Bundesland. Es wurde ab Mitte der 1990er-Jahre auf bestem Bördeboden entwickelt. Einen Großteil der ehemaligen Ackerflächen stellte die BVVG zur Verfügung. Das Industriegebiet ist gut ausgelastet, rund 7.500 Arbeitsplätze sind entstanden. Das Problem: Die meisten Unternehmen führen die Gewerbesteuer woanders ab, berichtete 2018 die regionale Tageszeitung „Volksstimme“. Red
Langer Atem ist gefragt
Die Bürgerinitiative (BI) „Potsdamer Norden“ zieht alle Register: Petitionen, Plakate, Pressearbeit, Ministerbrief – und sie hat Argumente, die über die lokale Betroffenheit hinausgehen. Vor allem ist es die noch intakte Landschaft mit alten Obstbaumplantagen und Feuchtwiesen, mit Pirol, Kiebitz und Wiedehopf, mit dunklen Nächten und drei nahen Dörfern, die sich gegen den Bau der Autobahnraststätte am Berliner Ring wehren. BI-Sprecherin Silke Beckedorf rechnet vor, dass bei all den Nachteilen für die Umwelt die neue Autobahnraststätte letztlich kaum mehr Lkw-Stellplätze hätte.
Nachhaltig geht anders, sind sich die Verbündeten einig. Sie sind zahlreich und die Konstellation durchaus nicht alltäglich: Bauernverband, Nabu, BUND und Grüne Liga unterstützen die Einwände der Bürgerinitiative. Das Planfeststellungsverfahren zu verhindern, haben sie nicht erreicht. Doch wenn ab dem 15. Februar die Planungsunterlagen einen Monat lang ausliegen, wird es kräftigen Gegenwind geben. Die Zuständigkeit für die „Havelseen“ hat indes gewechselt. Sie liegt seit Jahresbeginn bei der neuen Autobahn GmbH des Bundes und so in letzter Instanz bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Der hat angekündigt, „schneller planen, effizienter bauen und direkter finanzieren“ zu wollen. Ganz allgemein, versteht sich.