Immunokastration: Schon früh gegen Ebergeruch impfen?
Wissenschaftler des Thünen-Institutes für Ökologischen Landbau und der Universität Göttingen haben zum ersten Mal die Immunokastration bereits bei Ferkeln erprobt. Die Ergebnisse der Studie sind vielversprechend.
Das Interview führte Birgitt Schunk
Mit Erreichen der Geschlechtsreife ab dem fünften Monat produzieren Jungeber im Hoden vermehrt Hormone, die sich im Fettgewebe anreichern. Die Hormone und Sexuallockstoffe Androstenon und Skatol können beim Erhitzen des Fleisches zu unangenehmem Geruch – dem „Ebergeruch“ führen. Er tritt nur bei etwa zwei bis zehn Prozent der Eber auf. Viele Faktoren wie die Rasse oder die Haltung spielen dabei eine Rolle. Daher werden die meisten Ferkel kastriert. Die betäubungslose Kastration ist seit Jahresbeginn nicht mehr erlaubt.
Immunokastration
Es gibt weitere Alternativen wie die Ebermast mit und ohne Immunokastration. Diese Impfung unterdrückt zeitlich begrenzt die Bildung von Geschlechtshormonen und damit den Ebergeruch. Als Reaktion auf die Impfung mit Antigenen bildet der Körper Antikörper, welche die körpereigenen Botenstoffe zur Bildung der Sexualhormone neutralisieren. Die Wirkung lässt aber nach einigen Wochen wieder nach und daher muss eine zweite Injektion circa vier Wochen nach der ersten – also vier bis sechs Wochen vor dem geplanten Schlachttermin erfolgen. Das Fleisch der geimpften Tiere ist gesundheitlich unbedenklich.
Frühere Impfung
Erstmals haben Forscher der Georg-August-Universität Göttingen und des Thünen-Institutes für Ökologischen Landbau die Impfung sehr früh bei männlichen Ferkeln erprobt und die weitere Entwicklung der Tiere untersucht. Die Bauernzeitung sprach mit Prof. Dr. Daniel Mörlein vom Department für Nutztierwissenschaften der Universität Göttingen.
Herr Professor Mörlein, Ferkel früh gegen Ebergeruch zu impfen, wäre in der Praxis leichter händelbar als die späte Injektion. War das der ausschlaggebende Punkt für diese Studie?
Es war ein Grund. Die frühe Impfung in der dritten und siebenten Woche lässt sich gut und einfach in die Arbeitsabläufe integrieren. Vor allem aber wollten wir die Hypothese belegen, dass eine frühe Impfung möglicherweise nachhaltig dafür sorgt, dass die Hoden unumkehrbar funktionsuntüchtig werden. Wenn das funktioniert, könnte dies dazu führen, dass geimpfte Ferkel auf dem Markt mit kastrierten Ferkeln gleichgestellt wären – ohne dass die Ferkel dem Stress eines chirurgischen Eingriffs ausgesetzt wären. Hinzu kommt, dass in Krisenzeiten die klassischen Schlachtabläufe oftmals nicht mehr stimmen. Die Betriebe haben Absatzprobleme, die Mastschweine stehen länger in den Anlagen. Wenn der Abstand zwischen zweiter Impfung und Schlachtung zu groß wird, erhöht sich das Risiko, dass die Hodenfunktion zurückkehrt und damit auch die Gefahr des Ebergeruchs.
Wie umfangreich war dieser Versuch, den es so bislang erstmals gab?
Von insgesamt 109 Schweinen wurden die Hälfte entweder sehr früh, also in der dritten und siebenten Lebenswoche geimpft – oder herkömmlich als Kontrollgruppe während der Mast in der zwölften und 19. Lebenswoche. Neben Mast- und Schlachtleistung wurde das Verhalten dokumentiert, die Hoden wurden untersucht und Fleisch- sowie Fettqualität beurteilt.
Welche Erkenntnis gab es nach der Schlachtung mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Hoden der Tiere und somit auf das Risiko, zu Mastende geruchsauffälliges Fleisch zu haben?
Das Gewebe der Hoden war in beiden Gruppen zurückgebildet – allerdings bei den Ebern, die später geimpft wurden, war dies ausgeprägter. In beiden Gruppen waren die Hoden aber nicht mehr fortpflanzungstauglich. Diese Erkenntnis war wichtig. Unterschiedlich fielen die Testosteronwerte aus: Bei den Kontrolltieren war das Level durchgängig sehr niedrig, in der früh geimpften Gruppe gab es einige Tiere mit vergleichsweise hohen Werten.
Höhere Testosteronzahlen bedeuten aber nicht, dass der Ebergeruch auftreten muss …
Das ist richtig. Um dieses Risiko bewerten zu können, wurden Androstenon und Skatol untersucht, die bei der Gruppe der früh geimpften Schweine überwiegend unterhalb jener Werte lagen, die für Geruchsauffälligkeiten sorgen können. Nur sieben Prozent der Tiere hatten hier höhere Werte, sie könnten also potenziell geruchsauffällig werden – davon allerdings wiederum hatte nur die Hälfte die höheren Skatolwerte, die für den stall- bzw. fäkalartigen Geruch beim Eberfleisch sorgen können. In der Kontrollgruppe gab es keine Auffälligkeiten bei den Androstenon- und Skatol-Bestimmungen – also kein Ebergeruchsrisiko.
Aus der Praxis hört man aber, dass auch bei der späten Impfung ein bis zwei Prozent der Tiere Fleisch mit Ebergeruch produzieren …
Hier muss man genau hinsehen und die konkreten Bedingungen hinterfragen. Wenn alles passt, wirkt die Impfung zu 100 Prozent. Doch wird die Spritze vielleicht nicht an der richtigen Stelle gesetzt oder das Tier ist vielleicht etwas erkrankt, dann kommt die Wirkung des Impfstoffs nicht voll zum Tragen. Das ist auch dann der Fall, wenn dieser nicht richtig gelagert wird. Hier gibt es in der Praxis noch Potenzial, um die Wirkung der Impfung voll zu entfalten.
Extrawissen
Die frühe Impfung gegen Ebergeruch lässt sich gut in die jeweiligen Arbeitsabläufe bei ökologischen und konventionellen Ferkelerzeugern integrieren, was vor allem das Handling im Vergleich zum älteren Mastschwein deutlich erleichtert“, erläutert Ralf Bussemas vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst. mehr
Praktiker interessieren sich neben dem Geruchsrisiko außerdem für die weiteren Parameter mit Blick auf die Ebermast. Wie sah es damit aus?
Die Produktionsleistungen sowie das Verhalten und Wohlbefinden der Tiere unterschieden sich nicht zwischen den beiden Impfverfahren. Bei der Fleisch- und Fettqualität gab es keine nennenswerten Unterschiede zur herkömmlichen Anwendung der Immunokastration während der Mast, die aus unserer Sicht die Qualität bei der Herstellung von Schinken oder Rohwurst beeinflussen würden. Auch die gute Futterverwertung war ähnlich.
Wird nun an der frühen Impfung weiter geforscht, um im Ferkelbereich bereits das Ebergeruchsrisiko zu minimieren?
Vieles spricht natürlich dafür, dass die Forschungen weiter gehen sollten. Die Ergebnisse verdeutlichten, dass es bereits im frühen Stadium möglich ist, die Entstehung von Ebergeruch zu beeinflussen. Offen ist, ob eine höhere als die im Versuch eingesetzte Impfdosis Geruchsabweichungen vollständig verhindern kann. Im Versuch wurde in der dritten und siebenten Woche geimpft – zugelassen ist der Impfstoff aktuell aber erst ab der achten Woche. Auch hier gibt es noch Handlungsbedarf. Ziel muss es sein, für die Ebermast Lösungen zu finden, die die Betriebe praktisch gut umsetzen können und die das Geruchsrisiko möglichst auf null bringen.
Wo sehen Sie die Themen Ferkelkastration und Ebermast in zehn Jahren?
Ich glaube, es wird eine Mischung werden. Es werden deutlich mehr Betriebe auf die Impfungen setzen. Die Ebermast wird ausgebaut, wenn die Schweinehalter diese beherrschen und die Abläufe im Griff haben. Ganz verschwinden wird die Kastration unter Betäubung bis dahin aber nicht.
Extrawissen
Neben Alter und Mastdauer haben auch Genetik und Fütterung Auswirkungen auf die Hormonbildung. In mehreren Forschungsprojekten ( z. B. „Strat-E-Ger“ oder „G-I-FER“) wurde bereits nach züchterischen Wegen und genomischen Indikatoren für Ebergeruch geforscht. mehr