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Größendebatte auf die Spitze getrieben

(c) Imago Images / Karina Hessland
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Die neu festgelegten Eckpunkte der gemeinsamen EU-Agrarpolitik in Deutschland beinhalten neue Hektar-Begrenzungen für Förderungszahlungen. Bei den Ländern herrscht Uneinigkeit – es wird eine Verteilung von Ost nach West befürchtet.

Es kommentiert Ralf Stephan

Weniger Geld für die Großen! Mit dieser Forderung kann man in der Agrarpolitik viele Sympathien gewinnen. Was nicht sonderlich schwer ist, wie der Blick auf die Betriebsgrößen in Deutschland zeigt. Von den 263.500 landwirtschaftlichen Betrieben, die es gegen Ende des vorigen Jahres noch gab, bewirtschafteten knapp über 68 Prozent höchstens 50 Hektar. Betriebe mit weniger als fünf Hektar tauchen in der amtlichen Landwirtschaftszählung noch nicht einmal auf. Die Mehrheitsverhältnisse sind also glasklar, will man den Großbetrieben mit ihren Tausenden Hektaren öffentlichkeitswirksam die Subventionen kürzen. Auf EU-Ebene sieht es nicht anders aus. Im Gegenteil: Während der deutsche Durchschnittsbetrieb 63 ha bewirtschaftet, sind es im EU-Mittel weniger als 15 ha.

Chefredakteur der Bauernzeitung/Deutschland: Ralf Stephan. 2019
Chefredakteur der Bauernzeitung/Deutschland: Ralf Stephan. 2019

Umverteilungsinstrument

Verdutzt die Augen gerieben haben sich jetzt aber vermutlich einige, die sich selbst und ihren Betrieb bislang keineswegs zu den Großen gezählt haben. Nach den Eckpunkten, die das Bundeslandwirtschaftsministerium gerade eben für die Umsetzung der künftigen gemeinsamen EU-Agrarpolitik in Deutschland vorgelegt hat, zählen Höfe ab 300 ha nicht mehr zu den besonders förderwürdigen Klein- und Mittelbetrieben. Im Osten ist man an dieser Schwelle, je nach Bodenpunkten, in der Regel ein ordentlich ausgestatteter Familienbetrieb – aber noch längst kein Großer unter den Einzelunternehmen. Bei Durchschnittsgrößen zwischen knapp unter 140 ha (Sachsen) bis reichlich 270 ha (MV) würde ersten Schätzungen zufolge jeder vierte Betrieb keine Umverteilungsprämie für die ersten Hektare mehr erhalten, weil er die 300-ha-Grenze zum „Großbetrieb“ überschritten hätte.

Der ganze Widersinn der Klein-gegen-Groß-Debatte lässt sich besser kaum verdeutlichen. Was für die einen als normal und notwendig gilt, erscheint dem anderen gigantisch. Selbstredend bleibt die Politik gefordert, Auswüchse zu verhindern, den Druck vom Bodenmarkt zu nehmen, Eigentum und Wertschöpfung in der Region zu halten. In dieser Hinsicht aber bewirken solche auf die Spitze getriebenen Größengrenzen rein gar nichts. Sie sind ein reines Umverteilungsinstrument.

Länder sind sich uneinig

Ob die 300-ha-Grenze tatsächlich im endgültigen nationalen Strategieplan auftauchen soll, steht freilich nicht fest. Vielleicht ist sie reine Verhandlungsmasse für die nun folgenden Gespräche mit den Ländern, vor allem mit den jetzt durchweg aufgebrachten ostdeutschen Agrarministern. Denn auf der Umverteilungsliste stehen weitere Positionen. Die höheren Umschichtungen aus der Ersten in die Zweite Säule gehören ebenso dazu wie die Details für die Degression. Noch schmerzhafter für den Osten aber könnte der neue Schlüssel werden, nach dem die EU-Mittel für den ländlichen Raum künftig zwischen den Ländern verteilt werden.

Die Uneinigkeit der Länder, die sich kürzlich in einer grandios gescheiterten Agrarministerkonferenz nicht auf gemeinsame Positionen für den nationalen Strategieplan einigen konnten, nutzte die Bundesministerin postwendend. Wie zuvor angedroht, legte sie eigene Eckwerte vor. Ihre Handschrift: Umverteilung von Groß zu Klein nach den Maßstäben der bundesweiten Statistik. Also von Ost nach West. Um das wegzuverhandeln, werden die Ost-Minister sehr rasch parteiübergreifende Einigkeit an den Tag legen müssen – und zwar in bisher ungekannter Qualität.