Schneeglöckchen …

(c) Thomas Uhlemann
Reportage
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… soweit das Auge reicht. In und um die sächsische Renaissancestadt Torgau blühen in den Parks und Gärten Abertausende Galanthus nivalis. Wir haben uns auf die Spuren der weißen Frühblüher begeben, die erstmalig auch Bestandteil einer Landesgartenschau sein werden.

Von Bärbel Arlt

Und diese führen uns zunächst in den Schneeglöckchengarten von Döbrichau. „Rund 200 Sorten blühen hier um die Wette“, sagt Gartenbesitzer Dr. Harald Alex, der sein Frühblüherreich für interessierte Besucher kostenlos öffnet und gern die verschiedenen Sorten erklärt.

Doch bevor wir durchs weiße Gartenreich streifen, informiert uns der leidenschaftliche Sammler und Züchter, der sich einst mit Tulpen und Rollrasen beschäftigte, erstmal, wie er seine Liebe zu den Schneeglöckchen fand. „Das ist noch gar nicht so lange her. 2015 unternahm ich mit meiner Frau Gudrun eine Busreise durch Ostengland und wir besuchten täglich mehrere Parks und Klosteranlagen, unter deren ausladenden Eichenbäumen riesige weiße Teppiche waren.“ Das war für den studierten Gartenbauingenieur so faszinierend, dass er sich als Souvenir ein paar Zwiebeln der Sorte „Sam Arnott“ kaufte und diese mit nach Hause brachte.

Und dann nahmen die Dinge ihren Lauf und der Garten füllt sich seither mit Schneeglöckchen aus vielen Ländern und Regionen – so aus der Türkei, dem Kaukasus, der Ukraine, aus Griechenland, den Niederlanden, Belgien und vor allem aus England und Schottland. Für die 25 beliebtesten britischen Glöckchenblumen hat er in seinem Garten sogar eine Insel gestaltet. Schon bald soll auch ein Steingarten fertig sein, in dem sich nur wildwachsende Schneeglöckchen aus den Alpen, der Türkei und dem Kaukasus tummeln werden.

Und während Dr. Alex von seinen Plänen erzählt, kommen wir aus dem Staunen gar nicht mehr raus, denn jede Sorte schaut beim genauen Betrachten anders aus. So unterscheiden sie sich in Wuchshöhe, Blütenform und Blütenfarben. Das große Elwes-Schneeglöckchen aus der Türkei kann zum Beispiel bis zu 30 cm groß werden und hat in der weißen Blüte viele grüne Farbmarkierungen. Beeindruckend sind auch die gelblichen Blüten der englischen Wendy’s Gold.

Nicht nur im Frühling

Besonders stolz aber ist der 71-jährige Döbrichauer auf seine herbstblühenden Sorten. „Viele denken, Schneeglöckchen erfreuen uns nur im Frühjahr. Weit gefehlt – sie blühen durchaus schon ab Oktober.“ Und dazu gehört das Königin-Olga-Schneeglöckchen (Galanthus reginae – olgae) aus Griechenland, das ihm der bekannte schottische Schneeglöckchengärtner Ian Christie höchst persönlich geschenkt hat. „Wir haben während eines Aufenthalts in Schottland einfach mal auf gut Glück bei ihm vorbeigeschaut. Er hieß uns herzlich willkommen und verabschiedete uns mit der Olga.“ Und die Samen im Fruchtknoten hütet Dr. Alex jetzt wie seinen Augapfel, denn Ameisen sind schnell dabei, sie wegzuschleppen.

Apropos Ameisen und Bienen: Die haben fleißig mit dafür gesorgt, dass im Döbrichauer Garten inzwischen an die 20.000 Schneeglöckchen blühen. Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Und auch durch Kreuzungen bilden sich neue Sorten, die oft noch keinen Namen haben. „Doch getrennt weiterkultiviert, können die Besten als Namenssorten angemeldet werden“, so Dr. Alex.

Dr. Harald Alex
Dr. Harald Alex ist leidenschaftlicher Sammler von Schneeglöckchen. In seinem Döbrichauer Garten, der Besuchern offen steht, wachsen rund 200 Sorten der weißen Frühjahrsblüher. (c) Thomas Uhlemann

Doch nicht nur im Döbrichauer Schneeglöckchengarten zeigen sich die weißen Schönheiten in großer Anzahl. Sie wachsen u.a. auch entlang des Lutherweges zwischen Torgau und Herzberg, auf dem Kirchhof in Wildschütz, im ehemaligen Bauernhof Ottersitz und vor allem auch im benachbarten brandenburgischen Uebigau. Im dortigen, im 19. Jahrhundert angelegten Gutspark wetteifern sie derzeit mit Krokussen und Winterlingen um die Gunst der Besucher. Das aber war nicht immer so, denn das etwa zwei Hektar große Areal war verwildert, von Bungalows, Schuppen und Garagen, Koniferen verunstaltet.

Doch 2008 stellte der Cottbuser Landschaftsarchitekt und europaweit bekannte Schneeglöckchenzüchter Hagen Engelmann seine Ideen für die Neugestaltung der historischen Anlage vor. Seither wurden Sichtachsen geschaffen, Teiche, Wege angelegt – und Tausende von Schneeglöckchen gepflanzt, die Klaus-Peter Manig allesamt ans Herz gewachsen sind.

Der Uebigauer Staudengärtner hält den Gutspark ehrenamtlich in Schuss und hat immer ein wachsames Auge auf seine weiß blühenden Schützlinge, die ihre Wurzeln in vielen Ländern Europas haben, so in Schottland, England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Polen, Tschechien und Italien. Und immer wieder trudelt neue Schneeglöckchenpost bei ihm ein.

Blick in die Geschichte

Und auch in der 1.000-jährigen Renaissancestadt Torgau gehören die weißen Schönheiten längst zum Stadtbild. Sie verzieren den Rasen im Torgauer Stadtpark und den Rosengarten am Schloss Hartenfels, wo zum 500. Reformationsjubiläum aus 16.000 Schneeglöckchen die Porträts von Martin Luther und seiner Frau Katharina von Bora entstanden waren.

Auch hinter dem russischen Soldatenfriedhof wachsen sie auf 1.000 m2 und in jedem der rund 2.400 Torgauer Kleingärten. „Ursprünglich
waren sie hier gar nicht heimisch“, erzählt Dr. Alex, der für die sächsische Landesgartenschau 2022 eine Studie über die Frühblüher angefertigt hat.

Pilger aus Kleinasien sollen einst die Zwiebeln der Galanthus nivalis in die Klöster gepflanzt haben, wo das Schneeglöckchen als reine, weiße Marienblume verehrt wurde. So auch im historischen Torgauer Apotheker- und Kräutergarten, der samt Gartenhäuschen seit zwei Jahren vom Förderverein der Landesgartenschau 2022 gehegt und pflegt wird. Dr. Alex, Vizevorsitzender des Vereins, erzählt, dass im 1563 erschienenen, reich illustrierten „Kreutterbuch“ des Torgauer Mediziners und Naturforschers Johann Kentmann viele Pflanzen aus dem Apothekergarten abgebildet sind, darunter auch ein Schneeglöckchen. „Er nannte es ‘Kleine Weiße Hornblume‘. Dieses Bild ist der erste farblich dokumentierte Nachweis von Schneeglöckchen in Europa“, sagt er voller Stolz. Und zur Erinnerung daran steht im Apothekergarten sogar ein sandsteinernes Schneeglöckchendenkmal. Aufgrund der Geschichte und des Reichtums an Frühblühern in der Elbregion in und rund um Torgau ist es nur folgerichtig, dass sie mit in die Landesgartenschau 2022 einbezogen werden.

Gärtnertipps
Schneeglöckchen sind pflegeleicht und am besten lässt man sie in Ruhe wachsen. Zum Vermehren sollte man sie nach der Blüte teilen und dann vereinzelt gleich wieder einpflanzen. Die kleinen Zwiebeln kommen etwa sieben bis zehn Zentimeter tief in den Boden. Auch gekaufte Zwiebeln sollten schnell in die Erde. Denn sie haben keine schützende Hülle wie eine Tulpe. So verlieren sie schnell Feuchtigkeit. Sind sie zusammengeschrumpelt sollte man sie einen Tag ins Wasser legen. Gern mögen Schneeglöckchen Herbstlaub und fürchten sich nicht vor Schnee und Eis. Auch haben sie kaum Probleme mit Schädlingen oder Krankheiten. Gefährlich werden kann ihnen eventuell die Narzissenfliege. Sie legt nach der Blüte beim Einziehen der Blätter die Eier an den Erdlöchern ab, aus denen die Maden schlüpfen, in die Zwiebeln eindringen und sie von innen auffressen. Durch das Mulchen der Schneeglöckchenflächen werden die Löcher verdeckt und der Befall wird vermindert.

So veranstaltet der Förderverein in Vorbereitung der Landesgartenschau bereits seit zwei Jahren im historischen Proviantmagazin eine Frühblüherausstellung. „In diesem Jahr musste sie leider wegen von Corona ausfallen, doch wir hoffen jetzt auf eine Ausstellung im Oktober, bei der selbstverständlich auch Schneeglöckchen bestaunt und gekauft werden können.“ Denn schließlich blühen diese, so haben wir ja im Döbrichauer Garten gelernt, schon ab dem Herbst und erfreuen uns dann je nach Sorte bis in den April hinein.


Mehr Informationen finden Sie hier: www.fv-laga-torgau.de