Mit Raufutter gegen Schwanzbeißen
Unsere auf hohe Zunahmen gezüchteten Schweine sind auf Futter fixiert. Leider sind sie mit dem Fressen immer schnell fertig. Dann wird es langweilig – doch die richtige Abwechslung hilft gegen das Schwanzbeißen.
Von Dr. Eckard Meyer
Spätestens seit dem Aktionsplan zum Kupierverzicht müssen nicht nur die gültigen Vorschriften eingehalten, sondern den Schweinen auch eine nachhaltige Beschäftigung angeboten werden. Als Standard galten lange Zeit technische Beschäftigungsgeräte. Diese sollten ursprünglich lediglich manipulierbar sein. Diese Minimalanforderung erfüllen die Spielketten, mit oder ohne eigenen Kettenanhänger aus Holz oder Kunststoff. Sie sind in der Regel langlebig, hygienisch und bei richtiger Anordnung und Kombination (zwei oder drei Kettenglieder unterhalb des Kunststoff- oder Holzstückes, möglichst nah am Boden) besser als ihr Ruf.
Im einfachsten Fall wurden von den Betrieben Teile einer Futterkette verwendet. Die Abnutzungserscheinungen der Mitnehmerscheiben aus Kunststoff sprechen für eine intensive Manipulation. Beobachtungen zeigten, mit welcher Hingabe Einzeltiere sich damit beschäftigen können. Schweine sind absolute Individualisten, sowohl in vielen biologischen Merkmalen als auch in ihrem Verhalten. Darum werden selten ganze Gruppen, sondern eher Einzeltiere von ein- fachen technischen Beschäftigungsgeräten angesprochen. Darum wurden Versuche zu den Konstruktionskriterien technischer Beschäftigungsgeräte angelegt, die alle Schweine einer Gruppe ansprechen.
Schwanzbeißen in unterschiedlicher Intensität
Buchten lassen sich nur, wenn sie groß genug sind, in Aktivitäts- und in Ruhebereiche einteilen und Spielgeräte sinnvoll anbringen. Die Beschäftigung gelingt, wenn Aspekte des Futteraufnahmeverhaltens angesprochen werden. Dazu gehören der (rein mechanische) Wühltrieb sowie ein zusätzlicher Anreiz in Verbindung mit der Nahrungsaufnahme.
Zur Bewertung wurde das Verhalten der Tiere in damit ausgestatteten Buchten mit solchen verglichen, die nur mit einer Beschäftigung nach gesetzlichem Standard (Holzbalken, Kette mit Beißring, Ball) ausgestaltet wurden. Die erweiterte Beschäftigung half nicht, spielerisches Schwanzbeißen oder leichtere Verletzungen in den Gruppen zu vermindern. Wohl aber hatte sie einen Einfluss auf die hohen Intensitätsstufen 3 und 4 des Schwanzbeißens. Infolge dieses gerichteten Verhaltens steigt auch die Frequenz von schwerwiegenden beziehungsweise von blutigen Schwanzverletzungen an (Tab. 1).
In den Buchten mit erweiterter Beschäftigung wird gegenüber den Buchten mit Standardbeschäftigung eine signifikant geringere (p = 0,021) Anzahl an Tätertieren in den höheren Intensitäts- stufenbeobachtet. Diese Beobachtungen zum Beißverhalten der Tätertiere spiegeln sich ebenfalls signifikant mit der als von uns als „Grundspannung“ bezeichneten Gefahr eskalierender Verhaltens- weisen der Gruppen wider (p <.001). Im Vorfeld von erheblichem Schwanzbeißen konnte immer wieder beobachtet werden, dass sich die Ferkel benehmen wie hyperaktive Kinder. Folglich ist es wichtig, dass sie beschäftigt werden. Denn wenn erst Blut fließt, ist alles zu spät.
Hoher Anteil erheblicher Schwanzverletzungen
In den Versuchen war der Anteil der Gruppen mit erheblichen Schwanzverletzungen bezogen auf die Gesamtzahl an Beobachtungen (n = 345 beobachtete Gruppen) in den Gruppen mit Standardbeschäftigung um mehr als das Dreifache höher (30 %) als bei erweiterter Beschäftigung (8 %). Technische Beschäftigungsgeräte, die Schweine dauerhaft beeindrucken, müssen drei wichtige Kriterien erfüllen:
- kau- oder wühlbar sein,
- gemeinsam und
- am Boden angewendet werden können.
Diese Anforderungen können auch technische Beschäftigungs- geräte erfüllen, die ansonsten in vergleichenden Untersuchungen mit organischem Beschäftigungs- material erheblich schlechter ab- schneiden oder nahezu keine Verbesserung im Vergleich ohne Beschäftigung bringen. Auch technische Beschäftigungsgeräte, die wenigstens eine der beiden Verhaltensweisen (Wühlen, Futteraufnahme) ermöglichen, lenken die Schweine ab. Sie können aber auch das Schwanzbeißen nicht ganz verhindern, da die Ursache dafür tiefer in den Tieren angelegt ist.
Mittlerweile geht der Trend stark zu den organischen Beschäftigungsmaterialien, die aber oft nicht zu den technisch weit entwickelten Haltungsverfahren passen. Die durchweg positiven Ergebnisse bei Stroh oder anderen organischen Beschäftigungsmaterialen rühren daher, dass sie gleichermaßen Futtermittel sind. Unbehandeltes Raufutter ist ein ideales Wühlmaterial. Der tatsächliche Verzehr von Heu oder Stroh wird aber meist überschätzt. Hinzu kommt, dass Spielen und Beschäftigung für die Schweine kein Selbstzweck ist. Die Schweine haben eine hohe Affinität zum Futter, benötigen dafür jedoch nur noch relativ wenig Zeit, weil die Zeit für die Futtersuche (Wühlen) völlig wegfällt. Gleichzeitig fordern die neuen Empfehlungen der EU-Kommission, dass angebotenes Beschäftigungsmaterial nicht nur kau- und fressbar ist, sondern möglichst auch einen ernährungsphysiologischen Nutzen hat.
Besseres Wachstum durch höheren Fasergehalt im Raufutter
Nach unseren Beobachtungen sind mit steigenden Leistungen gerade von der Faserfraktion des Futters zunehmend positive Effekte zu erwarten. Während Fasern früher mehr als Nährstoffverdünner gesehen wurden, hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass sogar Aufzuchtferkel tendenziell besser wachsen, wenn der Fasergehalt des Hauptfuttermittels angehoben (von 3 auf 5 %) wird. Dabei ist die Verdaulichkeit der Rohfaser (ADF, NDF) zu beachten. Ferkelfutter sollten deshalb wenigstens 4 %, Mastfutter 5 % Rohfaser enthalten.
Die Optimierung des Fasergehaltes beeinflusst zwar Gesundheit, Leistung und Futteraufwand, löst aber nicht das Beschäftigungsproblem. Unbearbeitetes Raufutter (Heu, Gras, Stroh, Maissilage) beschäftigt vor allem die zu Verhaltensstörungen neigenden Aufzuchtferkel je nach Grobfutterart nicht ausreichend, weil eine den Blutzucker beeinflussende Komponente fehlt. Nur diese sichert eine begrenzte Aufnahme und reduziert damit stärker die Motivation zu unerwünschten Verhaltensweisen. Hinzu kommt, dass faserreiche Raufutter einen geringen Nährstoffgehalt und die hygienische Qualität eines Futtermittels haben sollten.
Über den Autor
Dr. Eckard Meyer kommt vom Sächsischem Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Köllitsch
All diese Zusammenhänge und Anforderungen führen unweigerlich zu einem Konzept der Beschäftigungsfütterung – getrennt von der Hauptfütterung. Weil bei Einsatz von unbearbeitetem Raufutter oft nur eine geringe, hinter den Erwartungen zurückbleibende Akzeptanz durch die Schweine beobachtet wird, spielt der Verarbeitungsgrad eine wichtige Rolle. Strohpellets werden zwei- bis dreimal besser akzeptiert als reines Stroh. Versuche auf dem Lehr- und Versuchsgut Köllitsch zeigten, dass die Kombination verschiedener pelletierter Ergänzungsfuttermittel zu einer Verbesserung der Faserversorgung von 5–7 g/Aufzuchtferkel und Tag, tendenziell besseren Zunahmen und signifikant geringeren Tierverlusten führte. Die positive Wirkung der Beschäftigungsfutter war deutlicher in der Kombination mit den Rohrbreiautomaten und vor allem bei un- oder langkupierten Ferkeln.
Fressen wie die Wildschweine
Der Einsatz von torfartigen Wühlerden (Achtung: Mykobakterien!) führte in Ausmaß und Richtung zu vergleichbar positiven Effekten bei Aufzuchtferkeln. Es wird damit der Eindruck bestätigt, dass bereits Aufzuchtferkel – wie die Wildschweine – Futtermittel bevorzugen, die an die Form und Konsistenz von Bucheckern, Eicheln oder im Falle der Wühlerde an „Waldboden“ erinnern.
Schweine neigen dazu, an den vom Herzen weit entfernten Körperteilen Durchblutungsstörungen und nekrotische Veränderungen zu entwickeln (Tab.2). Dieses Problem wird durch das Kupieren mehr oder weniger verdeckt und bleibt außer bei den schon länger bekannten Ohrnekrosen unerkannt. Trotzdem hilft die Fütterung, noch circa 5 % des Problempotenzials kupierter Tiere zu reduzieren, was bei Kupierverzicht auf 50 % ansteigt. Bei nicht ausreichender Qualität der Fütterung entwickelt eine Hälfte un- oder langkupierter Ferkel diese Nekrosen und nicht ganz so viele Verletzungen durch Schwanzbeißen!
Mit der Zucht auf immer größere Futteraufnahme und vollständige Verwertung wird diese im Darm angelegte Schwachstelle offensichtlich verstärkt. Deshalb gilt es so zu füttern, dass die positive Darmflora ernährt, die unerwünschte verdrängt wird und dadurch Endotoxine in möglichst geringen Mengen anfallen. Letzteres sind die Zerfallsprodukte der „bösen“ (negativen) Bakterien. Es war auch nach mehreren Versuchsjahren nicht zu klären, ob die gefundenen Effekte eher eine Folge der verbesserten Faserversorgung und damit Darmgesundheit oder eine Folge der Ablenkung durch die Beschäftigung sind. Es gibt Nekrosen nach dem Beißen, häufiger jedoch das Beißen als Folge der Nekrosen.
Mit Blick auf die Tiergesundheit überwiegt jedoch offensichtlich ein physiologischer Effekt der Faser insbesondere aus Luzerne auf die Schwanznekrosen, die als ein möglicher Auslöser für das Schwanzbeißen zu sehen sind. Die Faserversorgung kann die Darmgesundheit verbessern, was auch als eine Grundvoraussetzung für eine Begrenzung bakterieller Zerfallsprodukte im Darm zu werten ist. Mykotoxin-belastetes Stroh bewirkt aber im Hinblick auf das Phänomen von Schwanznekrosen offensichtlich genau das Gegenteil. Pellets werden von den Ferkeln nicht nur gefressen, sondern intensiv bearbeitet und aufgelöst. Es entstehen so Grün- oder Strohmehlreste, die als Indiz für die intensive Beschäftigung gewertet werden können. Damit das Beschäftigungsmaterial attraktiv bleibt, sind die Vorlagetechnik (möglichst häufig) und ein eher restriktives (semi-ad-libitum) Pelletangebot entscheidend.
Zeit für Futteraufnahme verlängert sich
Beschäftigungsfutter halten – als logische Konsequenz der dargestellten Zusammenhänge – die Ferkel länger auf Trab, was sich auch in einer 48–Stunden-Videoanalyse gezeigt hat. Ferkel neigen zwar mehr zum Spielen, haben dafür aber eher weniger freie Zeit. Im Vergleich zu ausgewachsenen Mastschweinen oder Sauen brauchen sie eine erheblich längere Zeit zur Futteraufnahme (durchschnittlich 136 min/Tag). Trotzdem gelingt es mithilfe von Beschäftigungsfutter – getrennt vom Hauptfutter –, die Ferkel durchschnittlich 44 min/Tag zusätzlich zu beschäftigen.
Diese Zeit liegt weit über den von technischen Beschäftigungsgeräten. So wird in den vorliegenden Versuchen eine vier- bis sechsmal längere Beschäftigungszeit beobachtet als bei technischen Beschäftigungsgeräten (Beißsonne, Beißstab) oder beim Einsatz organischer Materialien (Fun box, Spielomat), die aber keinen „echten“ Verzehr des angebotenen Materials ermöglichen (Ziron 2018). Die einzige Ausnahme stellt der sogenannte Spieligel (36 Minuten/Tag bei Mastschweinen) dar, der allerdings sehr hohe Kosten verursacht.
Empfohlen wird, was funktioniert
Beschäftigung ist für Schweine kein Selbstzweck. Soll sie nachhaltig sein, kann das auch mit technischen Geräten erreicht wer- den, wenn diese das Futteraufnahmeverhalten der Schweine ansprechen. Dazu gehört der Wühltrieb sowie ein zusätzlicher Anreiz zur Nahrungsaufnahme (Geruch/ Geschmack). Diese Anforderungen können auch technische Beschäftigungsgeräte erfüllen, die ansonsten in vergleichenden Untersuchungen mit organischem Beschäftigungsmaterial erheblich schlechter abschneiden. Positive Effekte von technischen Beschäftigungsgeräten entstehen, wenn sich neben der engen Verbindung zum Futtersuch- und Aufnahmeverhalten auch eine Möglichkeit zum gemeinsamen Spielen ergibt. Grundsätzlich lässt sich dieses Prinzip aber am weitesten mit dem Konzept von „Beschäftigungsfutter“ umsetzen. Es sollte einen reduzierten, aber mit dem Hauptfutter abgestimmten Nährstoffgehalt haben. Durch eine Pelletierung werden auch die hygienischen Voraussetzungen für Betriebe mit hohem Gesundheitsstatus verbessert.
Die Höhe des Verbrauchs kann durch die Häufigkeit der Vorlage gesteuert werden, denn gerade Ferkel sind darauf trainiert (von ihren Müttern), zum Fressen aufgefordert zu werden. Werden kleine Mengen immer frisch und häufig vorgelegt, dann können Beschäftigungszeiten von 55 min/Ferkel/Tag erreicht werden. Das ist ein Mehrfaches dessen, was man mit technischen Beschäftigungsgeräten, Holzbalken oder sonstigen, nicht fressbaren Materialien bewirken kann. Kontrollstellen sollten diese genannten Nachweise im Sinne des Tierschutzes anerkennen, auch wenn die Übergänge zur „Zusatzfütterung“ fließend sind.
FAZIT
Der Trend geht weg von den technischen Beschäftigungsgeräten hin zu Beschäftigungsmaterial, das nicht nur organisch, sondern auch fressbar ist. Dadurch werden nicht nur die Vorschriften erfüllt, sondern neben einer nachhaltigen Beschäftigung sind Effekte möglich, die Schwächen der Hauptfütterung ausgleichen und gesundheitliche Vorteile für die Schweine bringen. Wie bei anderen Faktoren, die Tierverhalten positiv beeinflussen, ist es wichtig, dass Schweine die Wahl haben. Deshalb muss das Beschäftigungsfutter räumlich getrennt vom Hauptfutter angeboten werden. Schweinehalter und Technikhersteller entwickeln zurzeit ganz unterschiedliche Konzepte für Beschäftigungsfutter. So werden zum Beispiel Erbsen ins Ferkelmüsli gemischt oder Silomais getrocknet. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.