Schachbrettmethode gegen Landverlust in der Ukraine
Ukrainer dürfen jetzt Land kaufen, ausländische Bewirtschafter müssen weiterhin pachten. Was die Bodenreform für sie bedeutet, berichten zwei deutsche Landwirte, die nahe Lviv Ackerbau betreiben.
Die Fragen stellte Astrid Thomsen
Landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine durften bislang nicht gehandelt, sondern ausschließlich gepachtet werden. Viele Experten sahen dar in ein Hindernis für die Entwicklung einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Die lange geplante Bodenreform wurde seit vielen Jahren aber immer wieder verschoben. Im Mai 2020 trat sie mit dem Gesetz Nr. 552-IX in Kraft.
Vorgesehen ist danach, dass ab dem 1. Juli ukrainische Staatsbürger zunächst bis zu 100 ha Land kaufen dürfen. Ab 2024 sollen sie auch größere Flächen erwerben können. Ausländischen Landwirten und Investoren ist weiterhin ausschließlich die Pacht erlaubt. Wie gehen sie mit dieser Einschränkung um? Torben Reelfs und Tim Nandelstädt bewirtschaften seit 2009 einen Ackerbaubetrieb in der westukrainischen Region Mykolaiv, südlich von Lviv (Lemberg) gelegen, und geben Auskunft.
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Könnten Sie bitte Ihren Betrieb kurz vorstellen?
Reelfs: Unser Betrieb, die Biorena GmbH, wurde 2009 gegründet und bewirtschaftet 1.600 ha. Wir sind zwei Eigentümer und haben 20 Mitarbeiter. Unsere Fruchtfolge: Winterraps, Winterweizen (direkt danach Zwischenfrucht), Zuckerrüben, Körnermais, Soja, Wintergerste. Wir haben 800 Verpächterinnen und Verpächter, die gemittelt drei Stücke Land (etwa drei Hektar) besitzen. Die Verträge werden auf sieben bis 20 Jahre abgeschlossen.
Welche Auswirkungen erwarten Sie mit der Bodenreform für Ihren Betrieb?
Nandelstädt: Kurzfristig, also in den nächsten drei bis fünf Jahren, erwarte ich für unseren Betrieb keine allzu großen Auswirkungen, da wir langfristige Pachtverträge abgeschlossen haben. Und laut dem Gesetz wird Pachtrecht ja vor Kauf gehen. Das bedeutet, dass unsere Pachtverträge gültig bleiben, auch wenn der Besitzer wechselt.
Und längerfristig?
Nandelstädt: Langfristig, etwa nach fünf Jahren, erwarte ich, dass die Pacht erheblich teurer wird. Viele starke Investoren werden beginnen, möglichst viel Land zu pachten, um es anschließend nach Möglichkeit zu kaufen. Wenn die Pachtpreise vor dem Hintergrund der Spekulation extrem hoch werden, sind sie für unser Wirtschaften nicht mehr rentabel, und wir verlieren Fläche.
Ich gehe davon aus, dass etwa zehn bis 15 Prozent unserer jetzigen Verpächter in den nächsten drei Jahren ihr Land verkaufen werden. Wir können es als Ausländer nicht kaufen. Also werden unsere Verpächter an unsere ukrainischen Nachbarn verkaufen. Kurzfristig hat das wie gesagt keine Auswirkungen, da unsere Pachtverträge noch mindestens fünf Jahre Gültigkeit haben. Aber langfristig verlieren wir das Land, da bin ich sicher. Denn ich gehe davon aus, dass die Landwirte in der Nachbarschaft kein Interesse daran haben, uns das Land zu verpachten, sondern selbst darauf arbeiten wollen. Nach und nach steigen dann die Kaufpreise des Ackerlands, und immer mehr private Landbesitzer verkaufen ihre zwei bis drei Hektar. Schleichend werden wir jedes Jahr Fläche abgeben müssen.
Wie werden Sie reagieren?
Nandelstädt: Wir als Betrieb wollen natürlich darauf reagieren. Es gäbe theoretisch die Möglichkeit, über ukrainische Strohmänner Land zu kaufen und maximal lange Pachtverträge von 49 Jahren abzuschließen. Allerdings haben wir uns sehr schnell dagegen ausgesprochen, da wir nicht abhängig von Strohmännern sein möchten. Ich habe das Gefühl, dass ein solcher Weg mit sehr viel Stress, Unruhe und Unsicherheit verbunden ist.
Welcher Weg kommt stattdessen infrage?
Nandelstädt: Wir haben im letzten Jahr mit vielen unserer Verpächtern gesprochen, um sie davon zu überzeugen, langfristige Pachtverträge über zehn oder 20 Jahre mit uns abzuschließen. Einige haben es getan, einige aber leider auch nicht. Wir erhoffen uns dadurch, dass unser Land in Zukunft nicht so attraktiv für die großen Investoren ist, da wir ja zum Beispiel auf einigen Flächen eines Schlages für 20 Jahre Pachtverträge haben. „Schachbrettmuster“ – oder auch „Schachmatt“ – nennen das die Ukrainer. Große Schläge werden natürlich uninteressanter, wenn überall mittendrin einzelne Teilschläge nicht zu bewirtschaften sind, weil wir dort noch arbeiten dürfen. Ob sich diese Strategie als richtig erweist, hängt stark davon ab, wie viele Verpächter uns in den nächsten Jahren das Vertrauen aussprechen und langfristige Pachtverträge mit uns abschließen.
Reelfs: Durch unsere langen Pachtverträge sehen wir keine starken direkten Auswirkungen. Allgemein haben wir auch viele Vorteile des Moratoriums – den Aufschub der Bodenreform – gesehen, den andere beklagt haben. Wenn man mal sieht, wie der Handel mit dem Boden zum Beispiel in Deutschland abläuft, dann bleibt auch dort das nachhaltige Wirtschaften mitunter auf der Strecke. Und die politischen Eingriffe in das landwirtschaftliche Handeln, etwa durch die Düngeverordnung, sorgen auch dort für Frust bei den Landwirten.
Ein wichtiger sozialer Aspekt ist, dass bisher fast jede Familie im ländlichen Raum ihre Pacht in Form von Tierfutter erhält. Das sind zwar keine großen Mengen, aber doch genug, um sich Tiere halten zu können. Ein einmaliger Geldsegen durch den Landverkauf wird häufig nicht lange halten, und vermutlich geben dann viele Selbstversorger auf. Durch die geringe Kaufkraft kann sich die Armut weiter verschärfen.
Meinen Sie denn, der Regierung in Kiew sind die Sorgen der ausländischen Landwirte bewusst?
Reelfs: Um auf die Lage der ausländischen Investoren aufmerksam zu machen, haben sich 2020 ausländische Landwirte zusammengeschlossen und über ihre Verbände dem Landwirtschaftsministerium ein Schreiben überreicht, in dem ihre Forderungen deutlich gemacht wurden.
Machen Sie sich Sorgen um Ihren Betrieb oder meinen Sie, das wird sich schon regeln?
Nandelstädt: Natürlich sind diese Entwicklungen für alle ausländischen Betriebe in der Ukraine – und damit auch für uns – besorgniserregend. Aber wir haben uns in den vergangenen zwölf Jahren daran gewöhnt, dass es viel weniger Planungssicherheit als zum Beispiel in Deutschland gibt. Und auf irgendeine Art und Weise regeln sich die Sachen dann meistens. Ich schaue positiv in die Zukunft, werde die Entwicklungen des offenen Bodenmarktes aber ganz genau beobachten, um gut darauf reagieren zu können.
Sehen Sie die Bodenreform als notwendig und richtig an? Hätte Sie Vorschläge, was besser zu machen wäre?
Nandelstädt: Ich halte die Bodenreform für überfällig. Denn ich bin der Meinung, dass sich ein Landbesitzer viel mehr um seinen Boden kümmert als ein Pächter. Außerdem glaube ich, dass durch den Landbesitz langfristige Investitionen attraktiver werden, zum Beispiel in Meliorationsmaßnahmen, Kurzumtriebsplantagen und Biogasanlagen.
Aus der Sicht der ausländischen Betriebe, die schon lange in der Ukraine arbeiten, fühlt sich das Gesetz trotzdem wie ein Schlag vor den Kopf an. Ich habe in Deutschland keine abgesicherte Rückzugsmöglichkeit. Mit knapp 30 bin ich mit meinem Kollegen in die Ukraine gegangen, weil wir unseren Traum verwirklichen und einen Landwirtschaftsbetrieb aufbauen und führen wollten. Viel Herzblut ist dabei geflossen. Und es ist in diesen zwölf Jahren viel Liebe zur Ukraine und zu den Menschen hier entstanden. Und jetzt sehe ich das alles in Gefahr. Das fühlt sich sehr ungerecht an.
Reelfs: Unserer Meinung nach sollte beim Recht auf Landkauf nicht nur nach Nationalität und Herkunft entschieden werden. Es ist doch auch ein großer Unterschied, ob ein Betrieb seit zwölf Jahren vor Ort Landwirtschaft betreibt oder sich erst kürzlich auf den Markt gedrängt hat. Die Vermutung, dass das Streben nach Landbesitz bei Letzteren im Vordergrund steht, liegt nahe. Der Boden wird automatisch am besten gepflegt, wenn der davon abhängige Landwirt auch der Besitzer ist. Dadurch werden solche Aufgaben wie Humusaufbau, Bodenproben ziehen, Fruchtfolgen gestalten oder Bodenstruktur verbessern automatisch besser gemacht. Deshalb sind wir dafür, dass Betriebe auch mit ausländischen Investoren, die vor 2015 gegründet wurden, Land kaufen dürfen. Außerdem sind wir für eine Obergrenze, die Landkauf zum Beispiel bis 9.999 ha ermöglicht. Das klingt viel für deutsche Verhältnisse, aber hier gibt es gigantische Großbetriebe, die teilweise über 100.000 ha pachten.
Wissen Sie, wie die ukrainische Bevölkerung darüber denkt?
Nandelstädt: Ich denke, dass die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung im Dorf gegen die Bodenreform ist. Sie haben Angst, dass wenige große, auch ausländische Investoren sich das Land für wenig Geld „unter den Nagel reißen“. Ein kleinerer Teil findet die Bodenreform gut, da sie etwas Geld mit dem Verkauf ihres Landes machen können.
Reelfs: Viele sind skeptisch, aber werden dennoch verkaufen, weil irgend etwas immer nötig gebraucht wird. Langfristig wird die Bevölkerung davon nicht profitieren.