Mist gebaut – und was passiert dann?

Wer hat nicht schon mal Mist gebaut? Wenn es passiert, sollte man offen dazu stehen. (c) Viktoria Bassenge
Betriebsführung
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Oft kann man einer Fehlentscheidung oder einem Misserfolg nichts Gutes abgewinnen. Deshalb spricht man nicht gerne darüber. Und doch ist das Lernen aus Fehlern gerade für den betrieblichen Erfolg essenziell. Wie sieht es da auf landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland aus? Das möchte Doktorandin Anika Bolten in einer Umfrage herausfinden.

Von Regina Hasselbach und Anika Bolten, Fachgebiet Soziologie Ländlicher Räume, Universität Kassel

Es ist Freitagabend, irgendwo in Leipzig. Ein Saal voller Menschen lacht, als der Redner auf der Bühne humorvoll davon erzählt, wie er sein Unternehmen so richtig in den Sand gesetzt hat. Dass sich jemand so eine Blöße geben würde, glauben Sie nicht? In der Gründerszene sind sogenannte Fuck-up-Nights derzeit groß in Mode.

fehler: eine wichtige lernquelle für andere

Aus Mexiko kommt der Trend, bei dem gescheiterte Unternehmer und Unternehmerinnen ihre Schwächen vor Publikum eingestehen. Im besten Fall können so andere daraus lernen – oder sich zumindest ermutigt fühlen, dass es auch bei anderen nicht immer glattläuft. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland regelmäßige Veranstaltungen, z. B. in Berlin oder in Leipzig.

Vor nicht allzu langer Zeit herrschte auch in der ostdeutschen Landwirtschaft Aufbruchstimmung. Mit der deutschen Wiedervereinigung und Abschaffung der LPG wurde der ganze Sektor zur Gründerszene. Hat das dazu geführt, dass in ostdeutschen Agrargenossenschaften und landwirtschaftlichen (Familien-)Betrieben über Fehler und Misserfolge heute offener gesprochen wird als anderswo? Und was bedeutet es eigentlich für einen Betrieb eine gute Fehlerkultur zu haben?

Von offener Fehlerkultur profitieren Agrarwissenschaftlerin und Wirtschaftspsychologin Anika Bolten von der Universität in Kassel schreibt gerade in ihrer Doktorarbeit über diese Themen. Sie interessiert sich dafür, wie in der Landwirtschaft mit Fehlern und Sorgen umgegangen wird. „Eine offene Fehlerkultur wurde in wissenschaftlichen Studien mit besserer Unternehmensleistung, höherer Profitabilität und mehr Innovation in Verbindung gebracht. Es besteht kein Zweifel, dass es notwendig ist, aus seinen Fehlern zu lernen. Nur so kann man sich kontinuierlich verbessern und sich auf Dauer in einem unter Druck stehenden Markt behaupten.“

Und dass landwirtschaftliche Betriebe unter Druck stehen in einem vom Strukturwandel geprägten Sektor, ist für keinen Bauer und keine Bäuerin etwas Neues. Immerhin kaufen sektorfremde Investoren in Ostdeutschland nach wie vor Ackerboden für Finanzprojekte auf, und der Klimawandel bringt noch mehr Trockenheit in sowieso schon trockene Gebiete, um nur zwei der vielen Faktoren zu nennen.

Fehlerkultur: Was ist das?

Was ist überhaupt unter dem Begriff der Fehlerkultur zu verstehen, und wie sieht eine förderliche Fehlerkultur aus? Der Begriff der Fehlerkultur beschreibt, wie die Personen eines Betriebs mit Fehlern, Fehlerrisiken und Fehlerfolgen umgehen. In Deutschland herrscht jedoch im Allgemeinen eher eine Kultur der Fehlervermeidung. Überraschenderweise erklärt Fehlerforscher Michael Frese, dass das eher mit Gründlichkeit und Angst vorm Scheitern zusammenhängt als mit einer generellen Fehlerintoleranz im Sinne des Perfektionismusstrebens.

So wird aus einem Misserfolgserlebnis schnell ein unüberwindbares Hindernis, und das Handtuch wird geworfen. Im Gegensatz dazu empfiehlt sich eine Einstellung, die Fehler als Lerngelegenheiten betrachtet. Pannen und Störungen werden so zu Ereignissen, die eine Bewältigung erfordern. Das wiederum öffnet die Tür zur Lösungsfindung. Natürlich spricht dennoch alles dafür, Fehlern und Scheitern im Allgemeinen vorzubeugen. Da jedoch Irrtümer im menschlichen Handeln unvermeidlich sind, scheint die Kombination mit einer Strategie zur Fehlerbewältigung unumgänglich.

Verschiedene Phasen des Fehlermanagements

Praktisch gesehen kann man diesen Fehlermanagementprozess in vier Phasen einteilen:


  1. In der ersten Phase der Fehlerentdeckung besteht dabei bereits die Herausforderung, einen Zustand überhaupt als ungünstig einzuschätzen. Stellen Sie sich vor, Sie erkennen eindeutig, dass eine gewisse Einstellung eines spezifischen Düngerstreuers zu einer verschwenderischen Ausbringung führt. Aber Ihr Kollege ist felsenfest von seinen Berechnungen überzeugt: „Das habe ich schon immer so gemacht, auf das bisschen kommt es nicht an.“ Wenn Sie nicht gleich einen Streit vom Zaun brechen wollen, dann müssen Sie und Ihr Kollege sich erst einmal darauf einigen, was denn überhaupt für sie beide das Problem ist.
  2. In der zweiten Phase kommt es dann zur Fehlerdiagnose. Im Falle des Düngerstreuers könnte das bedeuten, dass Sie die verschiedenen Einstellungen erst noch einmal testen und dann entscheiden, ob das erwartete Problem auch wirklich vorliegt.
  3. In der dritten Phase wird ein Fehler kompensiert, wenn er nicht sofort behoben werden kann. Wenn zum Beispiel der falsche Dünger geliefert wurde, könnte man zum Beispiel die Ausbringung umplanen oder den richtigen Dünger beim Nachbarn leihen.
  4. Alternativ bzw. später kommt es in der vierten Phase zur Fehlerkorrektur. Hier können dann auch gleich Vorkehrungen getroffen werden, damit derselbe Fehler nicht noch einmal passiert. Im Falle des Düngerstreuers könnte man eine Notiz für die nächste Verwendung machen, welche die bevorzugte neue Einstellung ist. Bei der Falschlieferung lässt sich vielleicht ein Standardbestellformular mit dem richtigen Dünger anlegen.

fehlerkultur: Gelingende Kommunikation

Anhand dieser Beispiele sieht man bereits, wo es brisant werden kann. Erfolgreiches Fehlermanagement hängt in hohem Maße von gelingender Kommunikation ab. Wenn der eine Mitarbeiter einen Fehler gemacht und behoben hat, seiner Kollegin aber nichts davon erzählt, macht sie denselben Fehler morgen vielleicht wieder.

Und wie sieht es aus in dem erwähnten Düngerstreuerbeispiel, wenn man jemandem nicht auf die Füße treten möchte? Wenn man Bestrafung und/oder Beschämung befürchtet, können außerdem auch Ängste zum Verschweigen und Vertuschen von Fehlern animieren. Der Resilienzkompass u. a. vom ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.) empfiehlt deshalb, dass eine Kultur von Fehlerakzeptanz geschaffen wird. Dabei muss den Mitarbeitern glaubhaft vermittelt werden, dass eben keine Bestrafung oder Beschämung zu befürchten ist.

Weiterhin sollte der Chef oder die Chefin mit gutem Beispiel vorangehen. Es nutzt also nichts, die anderen zum Fehler-Zugeben aufzufordern und selbst weiter Irrtümer unter den Teppich zu kehren. Wenn es da zu kommt, sollten Fehler sachlich und ohne Vorwürfe besprochen werden. Im besten Falle zieht man noch (mindestens) eine zweite Meinung hinzu, um den Sachverhalt möglichst objektiv zu bewerten.

Die Fehlerbesprechung kann dann im Team erfolgen, bei größeren Teams auch anonym. So können andere ebenfalls daraus lernen, und die Verbesserung etabliert sich gleich im ganzen Betrieb. Bei alledem sollte man außerdem beachten, dass das Einführen eines offenen Umgangs mit Fehlern ein Prozess ist – gerade, wenn zuvor eher eine verschwiegene Fehlermentalität geherrscht hat. Alle Beteiligten müssen erfahren, dass das offene Ansprechen von Fehlern ungefährlich ist und zu Verbesserungen führt. Dabei können auch schrittweise individuell angepasste Kommunikationsstrategien für die jeweiligen betrieblichen Umstände und involvierten Personen entwickelt werden.

Offenes Ansprechen von Problemen

In größeren Wirtschaftsbetrieben stellt die Einführung einer Fehlerkultur eine klassische Managementaufgabe dar. Währenddessen kann es in kleineren Familienbetrieben oder manchen Genossenschaften, in denen neben der geschäftlichen auch noch private Beziehungen und Abhängigkeiten bestehen, zusätzlich schwierig sein, über Fehltritte zu sprechen – gerade, wenn es um schwerwiegende Fehlentscheidungen geht.

Im Gespräch mit 22 landwirtschaftlichen Beratern und Beraterinnen fand Doktorandin Anika Bolten heraus, dass Konflikte innerhalb der Familie, z. B. bei der Hofübergabe, ein offenes Ansprechen von Problemen verhindern können. Häufig kommt es dann auch zu Schuldzuweisungen, die die Situation zusätzlich anheizen und ein sachliches Gespräch zur Lösungsfindung unmöglich machen. Sie berichtet außerdem: „Es scheint weiterhin eine große Rolle zu spielen, ein gewisses Bild vor den Nachbarn aufrechtzuerhalten.“

Diese letzte Bemerkung bringt uns wieder zurück zum Anfang des Artikels. Denn außer einem innerbetrieblichen Fehlermanagement erscheint es auch sinnvoll, aus den Fehlern anderer Betriebe zu lernen. Ob sich die Fuck-up-Nights unter den oben genannten Befürchtungen auch in der Landwirtschaft durchsetzen, bleibt fraglich. Vielleicht braucht es einen anderen Rahmen, zum Beispiel das Dorffest nach ein paar Bier ohne großes Publikum. Vielleicht können manche Themen auch nur in einem solch informellen Rahmen besprochen werden, wenn der richtige Moment sich auf natürliche Weise ergibt. Erfahrungsgemäß lässt sich eine sichere Atmosphäre von geschulten Moderatoren aber erschaffen, z. B. bei einem Treffen eines Arbeitskreises.

Umfrage zum Thema, teilnehmen erwünscht

Wie gehen Sie mit Fehlern um? Suchen Sie das Gespräch oder vermeiden Sie es eher? Und wenn Sie über Ihre Sorgen sprechen, dann mit wem? Wenn Sie Interesse haben, sich diese Fragen zu stellen und Ihr Kommunikationsverhalten einmal zu beleuchten, nehmen Sie an Anika Boltens anonymer Online-Umfrage teil.

Aber auch wenn Sie das Thema für nicht so wichtig halten, bittet sie Sie um Ihre Teilnahme. Nur wenn ein ausreichend genaues Bild der Situation in der Landwirtschaft gezeichnet wird, kann ein etwaiger Unterstützungsbedarf aufgedeckt werden.

Das Ausfüllen des Fragebogens dauert etwa 25 Minuten und ist auch auf dem Smartphone oder Tablet möglich. Der Link zur Umfrage lautet: https://ww3.unipark.de/uc/na-mist-gebaut/. Der Link ist bis Ende August online.

Bei Rückfragen können Sie sich gerne direkt an Anika Bolten wenden: anika.bolten@uni-kassel.de.

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