Precision Farming: Nullnummer oder Nutzbringer?
Jedermann spricht über Precision Farming. In der Praxis finden die verfügbaren Technologien aber nur zögernd Anwendung. Eine Studie beleuchtet nun die Gründe aus Sicht der Landwirte.
Von Nico Wienrich, Dr. Winnie Isabel Sonntag, Dorothee Schulze Schwering, Georg-August-Universität Göttingen und Dr. Maximilian Severin, SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH
Wenn es darum geht, die Effizienz zu steigern, zu digitalisieren und zu automatisieren, fällt häufig der Begriff Precision Farming. Auch auf Tagungen und Veranstaltungen wird die Technologie oft thematisiert und beworben. Allerdings findet die Anwendung in der landwirtschaftlichen Praxis nur zögernd statt. Warum das so ist und welche Vorteile, aber auch Nachteile aus Sicht der Landwirte bestehen, wurde in einer Studie der Georg-August-Universität Göttingen mit mehreren Hundert Landwirten untersucht. Die Ergebnisse geben Einsichten in die Wahrnehmung der Landwirte gegenüber der neuen Technologie und zeigen Zusammenhänge auf, warum sich Precision Farming möglicherweise noch nicht durchgesetzt hat.
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Precision Farming oft nach Bauchgefühl eingesetzt
Die Studie zeigt, dass neben der Betriebsgröße, dem Bildungsabschluss der Landwirte und dem Datenschutz vor allem die unklaren wirtschaftlichen Vorteile einen negativen Einfluss auf die Nutzung von Precision Farming haben. Überraschend dabei ist, dass Precision Farming oft nach Bauchgefühl eingesetzt wird und sich ökonomische Vorteile nur in den wenigsten Fällen berechnen lassen (Tab.).
Potenziale der Technologie
Standortunterschiede sind auf nahezu jeder Ackerfläche vorzufinden. Diese zu erkennen und mit den entsprechenden Maßnahmen darauf zu reagieren, ist die wesentliche Herausforderung im Ackerbau. Die Technologie umfasst die zielgerichtete und ortsdifferenzierte Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Darüber hinaus bietet die Technologie die Möglichkeit von Verknüpfungen aus GIS-fähigen Bordcomputern, satellitengestützten Ortungssystemen und Sensoren zur Analyse von Boden- und Pflanzenzuständen. Die teilflächenspezifische Betrachtung des Standorts bietet Potenziale zur exakten Ausbringung landwirtschaftlicher Betriebsmittel und zur Reduktion des Ressourceneinsatzes.
Durch die Anwendung von Precision Farming lassen sich neben den Betriebsmitteleinsparungen positive Effekte auf die Umwelt erzielen. Es werden zum Beispiel nur dort Düngemittel ausgebracht, wo sie von den Pflanzen auch gebraucht und aufgenommen werden. Unproduktive Überschüsse werden so vermieden.
Untersuchungen zur ökologischen Auswertung von Precision Farming zeigen, dass sich mit der teilflächenspezifischen Bewirtschaftung die Nitrat-Sickerwasserverluste um 8–12 kg/ha und Jahr bei gleichbleibender Gesamtdüngermenge reduzieren lassen. Die Stickstoffeffizienz wird durch die teilflächenspezifische Düngung auf ertragsschwachen Standorten verbessert und eine effiziente Umverteilung der Dünger auf der Fläche kann so durch den Einsatz der Technik erfolgen. Zudem kann die Proteinkonzentration durch diesen Ansatz auf dem gesamten Schlag gleichmäßig verteilt werden. Durch Precision Farming ist eine effizientere Betriebsführung durch die Automatisierung verschiedener Prozesse möglich. Darüber hinaus spielen Arbeitserleichterung sowie Ertragseffekte bei geringerem Betriebsmitteleinsatz eine große Rolle für die Nutzung dieser Technologie.
Einfluss der Berufsausbildung
Die Studie der Georg-August-Universität umfasst die Erfahrungen und Meinungen von 267 Landwirten zur Precision-Farming-Anwendung. Ein Großteil der Befragten (70 %) setzt Precision-Farming-Technologien auf dem eigenen Betrieb ein. 84 % der Befragten sind Haupterwerbslandwirte, 16 % betreiben Landwirtschaft im Nebenerwerb.
Trotz der vielen Vorteile wird Precision Farming nur von einem Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe eingesetzt. Dabei wird schnell klar: Je höher der Bildungsabschluss eines Landwirts, umso eher wird Precision Farming eingesetzt (Abb. 1). Ein Grund dafür könnte sein, dass die landwirtschaftliche Ausbildung den Umgang mit neuen Technologien zu wenig behandelt und vermittelt.
Die Kosten im Vergleich zum Nutzen
Der hohe Investitionsbedarf von teilweise bis zu 30.000 Euro für eine vollautomatische Steuerung des Düngerstreuers mit einem Sensorsystem ist ein triftiger Grund gegen die Anwendung von Precision Farming. Große Betriebe sind eher gewillt, in Precision Farming zu investieren, da sich die Technologien durch eine höhere Flächenausstattung und somit bessere Auslastung schneller amortisieren. Zudem zeigen die Betriebe durch ihre größere Flächenausstattung auch ein gesteigertes Interesse an teil- oder vollautomatisierten Systemen unter anderem aus Gründen der Mitarbeitermotivation und -entlastung. Hinzu kommt, dass große Betriebe häufig mit Fremdarbeitskräften arbeiten und sich deshalb eine (halb)automatisierte und auf dem Betrieb einheitliche Ausbringung anbietet.
Da die durchschnittliche Betriebsgröße in der deutschen Landwirtschaft jedoch bei 62,5 ha liegt, ist eine breite Nutzung von Precision Farming vor allem durch kleinere Betriebe mit Bezug auf die Anschaffungskosten in naher Zukunft nicht zu erwarten. Aus der Umfrage geht klar hervor, dass insbesondere Betriebe mit einer Größe über 100 ha Precision Farming einsetzen (Abb. 2). Durch den technischen Fortschritt sind Precision-Farming-Technologien in den letzten Jahren schon deutlich kostengünstiger geworden, aber dennoch scheinen die Kosten für den Einsatz der Technologie für viele Betriebe nicht dem erwarteten Nutzen zu entsprechen. Um einen Anreiz für die Betriebe zu schaffen, in moderne Technologien zu investieren, werden aktuell staatliche Investitionsförderprogramme angeboten, mit denen bis zu 40 % der Anschaffungskosten übernommen werden und die damit zur Verbesserung des Umwelt-, Klima- oder Verbraucherschutzes beitragen sollen.
Um Precision Farming in kleinen Betriebsstrukturen rentabel einzusetzen, wird von Wissenschaft und Offizialberatung die Möglichkeit diskutiert, die Technologien überbetrieblich einzusetzen. Die genaue Planung der Arbeitsabläufe sowie die technische Schulung der Anwender sind dabei zentrale Voraussetzungen, um einen effizienten Einsatz der Technik zu gewährleisten.
Allerdings können sich dadurch Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit und Flexibilität des einzelnen Landwirts beim Einsatz der Technik und der Planung von Arbeitsabläufen ergeben. Bei engen Zeitfenstern zur optimalen Applikation von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln können sich Abstimmungsprobleme in der Gruppe negativ auf den wirtschaftlichen Erfolg des einzelnen Betriebs auswirken. Die Hersteller sind gefragt, mit innovativen Anreizen und Serviceangeboten diese Nutzungsgemeinschaften zu unterstützen und kompetent zu begleiten. Hier schlummert noch viel Potenzial, da gerade in Deutschland kleine bis mittelgroße Betriebe in der Mehrheit sind.
Wie wird Precision Farming attraktiver?
Aus Sicht vieler Landwirte, die Precision Farming aktuell noch nicht einsetzen, müssen die Vorteile von Precision Farming deutlicher werden, damit der Einsatz der verschiedenen Technologien für sie attraktiv wird. Die hohen Anschaffungskosten werden von den Nichtnutzern des Precision Farming als größtes Hemmnis wahrgenommen. Weiterhin sind die Einsparung von Betriebsmitteln und die Effekte auf die Deckungsbeiträge pro Hektar aus Sicht der Nichtnutzer des Precision Farming noch deutlich ausbaufähig. Betriebe, die Precision Farming einsetzen, sind besonders zufrieden mit der Entlastung der Mitarbeiter, dem reduzierten Einsatz von Betriebsmitteln und den positiven Auswirkungen auf die Umwelt. Aber auch hier werden hohe Anschaffungskosten und die mangelnde Kompatibilität mit anderen Maschinen als problematisch bewertet.
Verschiedene vorangegangene Kalkulationen zeigen hier kein einheitliches Bild zu den wirtschaftlichen Vorteilen von Precision Farming auf. Es spielen vor allem die vielen unterschiedlichen äußeren Bedingungen und Faktoren eine Rolle, die auf die Wirtschaftlichkeit Einfluss nehmen und somit kaum eine pauschale Aussage zulassen. Dennoch sind hier Anstrengungen seitens der Industrie notwendig, die Vorteile besser zu kommunizieren und Anreize zu schaffen, die Anschaffungskosten durch Nutzergemeinschaften zu teilen oder zu senken. Zudem sollte weitere Energie in preisgünstigere Technologien investiert werden.
Trotz teilweise guter Computerkenntnisse der Landwirte wird Precision Farming nur langsam in Betriebsabläufe integriert. Diese langsame Integration kann auch auf den hohen Zeitaufwand für die Einrichtung der Technologie zurückgeführt werden. Größere Betriebe haben dabei oft den Vorteil, dass sie einzelne in diesen Bereichen besonders geschulte Mitarbeiter zur Verfügung haben, sodass die Implementierung leichter stattfinden kann. Vermehrt tauchen neue Plattformen auf, die Austausch und Speicherung sowie Auswertung von sensiblen Betriebsdaten ermöglichen. Ein weiteres Hindernis für Anwendung sind die Verwaltung sowie die richtige Interpretation der gewonnenen Daten. Hier sind Tools und Fachkenntnisse notwendig, um den Landwirt bei Managemententscheidungen zu unterstützen und die Daten in entsprechende Bewirtschaftungsmaßnahmen umsetzen zu können.
Wissensaustausch als Schlüssel
Die stärkere Integration von Precision Farming in die Lehrpläne der landwirtschaftlichen Ausbildung kann eine wichtige Grundlage darstellen, um Berührungsängste abzubauen, Vorteile zu erkennen und die Technologien auf dem eigenen Betrieb erfolgreich anzuwenden. Dahingehend müssen die Unterrichtskonzepte und die Weiterbildung der Lehrer im Bereich der fortschrittlichen digitalen Technologien verstärkt gefördert werden. Bereits in der Ausbildung sollte den angehenden Landwirten das Handwerkszeug für den Umgang mit digitalen Technologien vermittelt werden.
Gleichzeitig scheinen Großbetriebe in sozialen Netzwerken eine zentrale Rolle für die regionale Verbreitung moderner Technologien zu spielen. Der Informationsaustausch zwischen Landwirten, die entsprechende neue Technologien eingeführt haben, ist dabei besonders stark und stellt sich als weiterer Treiber für deren Einsatz heraus. Demzufolge können fortschrittliche Landwirte in sozialen Netzwerken als Multiplikatoren und Meinungsführer für die Verbreitung von Precision Farming in der Landwirtschaft gesehen werden. Die Untersuchungsergebnisse aus dem Jahr 2020 zeigen, dass 88,5 % der Landwirte, die zum ersten Mal Precision Farming nutzen, auch mindestens einen anderen Anwender kennen, während dieser Anteil bei den Betrieben ohne Nutzung von Precision Farming nur bei 36,9 % liegt. Somit können die Förderung der Vernetzung und des Wissensaustauschs zwischen den Landwirten sowie die finanzielle Unterstützung bei den anfänglich hohen Investitionskosten ein Schlüssel für eine breite Anwendung von Precision Farming sein.
Zukünftige Verbreitungsmöglichkeiten
Aufgrund der immer noch geringen Verbreitung von Precision Farming bleibt es spannend, wie sich die Adaption auf den landwirtschaftlichen Betrieben weiterentwickelt. Dabei scheinen Betriebe, die Precision Farming bisher nicht einsetzen, auch in Zukunft unentschlossener zu sein, die Technologie auf ihrem Betrieb einzusetzen.
Trotzdem sehen sie die Technologie, ähnlich wie die Precision-Farming-Nutzer, als ein Kernelement der deutschen Landwirtschaft (Abb. 3). Dieses Ergebnis zeigt noch einmal mehr, dass es wichtig ist, die existierenden Vorurteile gegenüber Precision Farming abzubauen. Nur wenn die Landwirte, die zurzeit kein Precision Farming einsetzen, bereit sind, die Technologien zu nutzen, wird eine flächendeckende Verbreitung mit den genannten Wirkungen möglich. Die ökonomischen Vorteile der teilflächenspezifischen Düngung werden durch die witterungsbedingten und standörtlichen Gegebenheiten stark beeinflusst. Die Umfrageergebnisse spiegeln dies wider: Klare ökonomische Vorteile beim Einsatz von Precision Farming sind aus Sicht der Befragten nicht zu erkennen.
FAZIT
Trotz des Erfolgs von Precision Farming sind weitere Anstrengungen seitens der Industrie notwendig, um eine einwandfreie Funktionalität vor allem in puncto Maschinenkommunikation und -verknüpfung sicherzustellen. Auf der anderen Seite müssen auch die Landwirtschaftsverbände und -beratungen ihre Dienstleistungsangebote zu modernen Technologien ausweiten. Nur dann sind auch die Effekte eines effizienten Betriebsmitteleinsatzes und einer Reduktion der negativen Umwelteinwirkungen durch die Nutzung der Technologien möglich.
Es bleibt noch die Frage: Precision Farming: Nullnummer oder Nutzbringer? Laut der Umfrage lässt sich eine Tendenz Richtung Nutzbringer beobachten, aber es ist noch viel Luft nach oben.