Entscheidungen in der Landwirtschaft: Richtige Wege gehen
Die Landwirtschaft wird beeinflusst von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Da richtige Entscheidungen zu treffen, ist schwierig. Hilfreich sind fundierte Informationsgrundlagen, das Hören auf Kopf und Bauch und ein klares Ziel.
Von Prof. Dr. Rainer Langosch
Was tun? Wie entscheiden? Wohin geht die Reise? Ständige Veränderungen und immer wieder „alles anders“ als gedacht und geplant. Fast könnte man meinen, Landwirtschaft sei zum Glücksspiel geworden. Ist sie aber nicht. Es gibt zwei Unterschiede: In der Spielbank sind die Verlustrisiken bis auf die Nachkommastelle bekannt, in der Landwirtschaft nicht.
Dafür kann man in der Landwirtschaft Risikosituationen beeinflussen, was in der Spielbank streng verboten ist. Kernaufgabe unternehmerischen Handelns ist „Entscheiden“. Dazu braucht es Orientierung. Diese zu finden, scheint immer schwieriger zu werden. Kurzfristige Entscheidungen über Anbaupläne oder Vermarktungswege bereiten Bauchschmerzen, langfristige Entscheidungen zu Wachstumsstrategien oder Investitionen in Maschinen oder Gebäude Kopfschmerzen. VUKA ist das Kürzel, mit dem Strategen diese Unsicherheiten beschreiben.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich weltweit. Diese Veränderungen und ihre Folgen wirken sich auf alle Lebensbereiche und damit unmittelbar auf unternehmerische Entscheidungen aus. VUKA steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität bzw. Mehrdeutigkeit. Diese weitreichenden und tiefgreifenden Veränderungen sind auf drei Ebenen zu verstehen: Triebkräfte, die den Wandel vorantreiben, Trends, die Chancen und Risiken mit sich bringen, und die Form, in der die Informationen darüber bei den Entscheidungsträgern ankommen.
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Entscheidungen in der Landwirtschaft: Transformation und Disruption
Tradierte Gewissheiten lösen sich auf, bewährte Strategien werden infrage gestellt, gewohnte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verlieren in der VUKA-Welt an Gültigkeit. Kein Bereich des öffentlichen Lebens, der nicht von weitreichenden Veränderungen und tiefgreifenden Verunsicherungen betroffen wäre. Dass Teile der Gesellschaft und des Verbraucherverhaltens Althergebrachtes infrage stellen, „es satt haben“, gilt nicht nur für die Landwirtschaft und ihre Produktionsweisen. Der Versandhandel drängt etablierte Geschäfte und Warenhäuser aus dem Markt, die Elektromobilität erfordert epochale Anpassungen in der Antriebstechnik und im Fahrzeugbau, die digitalen Möglichkeiten bedrängen klassische Medienformate bis hin zum TV-Konsum: Transformation und Disruption allerorten.
Die Landwirtschaft in Deutschland und Europa kann eine Erfolgsgeschichte erzählen: Einer ackert, 145 werden satt. Die Produktivität hat sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts etwa verzehnfacht. Diese Leistung, diese Effizienz und ihre Erfolgsbedingungen liegen auf der Hand. Weit weniger klar ist das Bild, das sich für die Zukunft der Landwirtschaft zeichnen lässt. Klar ist nur, dass seit Ende 2022 mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde leben, von denen etwa 800 Millionen Hunger leiden. Die Aufgabe, die sich daraus ergibt, klingt einfach: produktive Landbewirtschaftung in den Gunstregionen der Welt, um den Hunger auf der Welt auch angesichts weiter wachsender Bevölkerungszahlen in Zukunft zu reduzieren.
Doch so einfach ist es nicht mehr. Es ist nicht ausgemacht, welche Leistungen von der Landwirtschaft erwartet werden, welche Spielräume sie dafür hat und auf welche Erfolgsbedingungen sie bauen kann. Hinter den Veränderungen, die die Entscheidungsträger in der Landwirtschaft besonders herausfordern, stehen drei globale Entwicklungen: die weiter wachsende Bevölkerung bei natürlich begrenzten Ressourcen, die Folgen der Ressourcennutzung, deren Spuren bis tief in die aktuell kontrovers geführte Klimadebatte hineinreichen, und schließlich die international weit verzweigten Wertschöpfungsnetze mit den daraus resultierenden hohen Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten. Aus diesen großen Entwicklungslinien ergeben sich Trends, die sich unmittelbar auch auf die Landwirtschaft auswirken.
Landwirtschaft: Die Gesellschaft will mitreden
2015 stellte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik der Bundesregierung fest, dass es der Landwirtschaft nicht gelungen sei, die Gesellschaft in Fragen der Tierhaltung mitzunehmen. Konsummuster und die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion auf Klima, Böden, Gewässer und Artenvielfalt sind Themen. In der Folge formierte sich unter anderem die Zukunftskommission Landwirtschaft, die 2021 Perspektiven für die Landwirtschaft in Deutschland vorlegte. Darin heißt es zum Beispiel, dass der Fleischkonsum zurückgehen wird – und damit auch die Fleischproduktion.
Damit verändert sich das Umfeld für die tierische Produktion in Deutschland von einem wachsenden zu einem – strategisch sehr schwierigen – schrumpfenden Marktumfeld. Statt in dynamischen Märkten um Wachstumsanteile zu konkurrieren, befinden sich die tierhaltenden Betriebe in einem Verdrängungswettbewerb. Technologietreiber sind seit Jahren die Digitalisierung und Automatisierung. Die automatisierte Maschinensteuerung und Prozessüberwachung entwickelt sich weiter zum Precision Farming – schon heute und bald noch viel stärker unter Nutzung künstlicher Intelligenz.
Das Tempo der technologischen Entwicklung wird durch die Netzverfügbarkeit und Fragen der Datenhoheit gebremst. Das theoretische Potenzial zur Aufwandsreduzierung durch Verringerung von Streuverlusten und zur Ertragssteigerung durch bedarfsgerechte und punktgenaue Versorgung von Pflanzen und Tieren unterstützt die Effizienz der Produktion. Neben den ökonomischen Vorteilen steht die Verringerung des Ressourcenverbrauchs.
Herausforderungen und Chancen für Landwirte
Die VUKA-Bedingungen werden in den ökonomischen Trends betriebswirtschaftlich relevant. Denn die hohe Produktivität der Landwirtschaft resultiert aus der arbeitsteiligen Einbindung der landwirtschaftlichen Produktion in komplexe und globale Wertschöpfungsnetzwerke. Damit steigt der Grad der Abhängigkeit von Beschaffungs- und Absatzmärkten. Volatile Preisentwicklungen, Unsicherheiten über Verfügbarkeiten und Marktentwicklungen sowie komplexe Liefer- und Abnahmestrukturen erschweren Prognosen und Planungen.
Wer den „richtigen Zeitpunkt“ verpasst, kann am Markt verlieren, was er durch kluges Produktionsmanagement an Mehrertrag gewonnen hat. Um unternehmerische Handlungsspielräume zu erhalten, muss dem Finanz- und Risikomanagement besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Politische Trends müssen in einem komplexen Geflecht von föderalen, internationalen und globalen Zuständigkeiten, Willensbildungen und Entscheidungen gesehen und verstanden werden. Ein Beispiel dafür sind die 17 Nachhaltigkeitsziele, mit denen sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 2015 auf einen globalen Zielrahmen geeinigt haben.
Aus diesen umfassenden Vorgaben für eine ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogene Politik ergeben sich Orientierungen bis hinunter auf die regionale und lokale Ebene. Zur Komplexität kommt die begrenzte Haltbarkeit politischer Legitimation und Rahmensetzung. Einzelbetriebliche Investitionen in Gebäude und Technik, in Züchtung und Produktionsverfahren reichen oft weit über diese politischen Zeithorizonte hinaus. Für die Betriebsführung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, weit vorausschauende Planungen mit größtmöglicher Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Bedingungen zu verbinden.
Soziale Medien als Risiko
In ihrer Wechselwirkung verstärken diese Trends die Volatilität, Unsicherheit, Ambiguität/Mehrdeutigkeit und Komplexität (VUKA), unter denen unternehmerische Entscheidungen getroffen werden müssen. Hinzu kommt, dass sich im 21. Jahrhundert auch die Verfügbarkeit von Informationen verändert hat: Viele Informationen stehen quasi in Echtzeit zur Verfügung. Die Handycam in Verbindung mit Facebook, YouTube, X und anderen macht es möglich. Filterfunktionen werden nur vereinzelt wahrgenommen.
Social Media funktioniert ohne fachredaktionelle Sichtung, Einordnung und Aufbereitung. Fakten und ihre Bewertung gehen ineinander über. Interessen hinter Informationsangeboten sind oft schwer erkennbar. Die emotionale Aufladung von Nachrichten erhöht deren Aufmerksamkeitswert, die wichtigste Währung im Mediengeschäft. Die Jagd nach Quote, Klicks und Reichweite macht aus einem möglichen Risiko, z. B. steigende Staatsverschuldung oder Klimawandel, eine unmittelbar gefühlte Gefahr: Finanzcrash!! Oder: Klimakollaps!! – Jedenfalls: fünf vor zwölf.
Die Konsequenz daraus: Während die unternehmerische Kategorie des Risikos – und der Chance als deren Pendant – einer rationalen Auseinandersetzung zugänglich ist, fördert die Aufheizung zur Gefahr eher intuitive oder gar reflexhafte Reaktionen. Das Gehirn wird vorübergehend ausgeschaltet. Die verhaltenswissenschaftliche Forschung weiß: Der Klugheit und Weitsicht unternehmerischer Entscheidungen ist damit nicht gedient.
Entscheidungsprozesse in der sich verändernden Landwirtschaft
Die Antworten auf diese anhaltenden Veränderungsimpulse und ihre mediale Verbreitung dürften von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich ausfallen. Nicht alle heute aktiven Betriebe in Deutschland werden in der Produktion verbleiben. In der Schweinehaltung schlagen sich die unsicheren Zukunftsaussichten bereits heute in einem spürbaren Rückgang der Betriebe nieder. Insgesamt ist das Investitionsklima in der Landwirtschaft gedämpft. Hinzu kommt, dass Studien, z. B. der DZ Bank, für 2040 einen Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland auf bis zu 100.000 Betriebe prognostizieren.
Dies würde zumindest keine Verlangsamung des fortschreitenden Strukturwandels bedeuten, im Gegenteil. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen in Westdeutschland tendenziell schneller sinken als in Ostdeutschland. Um die betriebsindividuelle Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zu erhalten, sind unternehmerische Qualitäten gefragt.
Die Antwort auf die Frage, wie auf die Herausforderungen einer sich wandelnden Welt zu reagieren ist, gliedert sich in drei Segmente: die persönlichen unternehmerischen Kompetenzen, die Ausrichtung des Unternehmens und die Positionierung der Branche im öffentlichen Dialog. Auf der persönlichen Ebene heißt die Devise: Kühlen Kopf bewahren. Keine Entscheidungen treffen, bei denen das gute „Bauchgefühl“ fehlt. Achten Sie aber auch darauf, dass sie einer kühlen, rationalen Analyse standhalten. Entscheidungen aus dem Bauch heraus laufen Gefahr, Risiken und Nebenwirkungen zu übersehen. Bauen Sie Ihr Weltbild nicht primär aus Kurznachrichten und Filmschnipseln zweifelhafter Herkunft. Die Freude über den Zeitgewinn übereilter Entscheidungen währt meist kürzer als die Reue über Fehlentscheidungen.
Strategien zur Bewältigung von Unsicherheit und Komplexität in der Agrarwirtschaft
Strukturierte Informationsbeschaffung schafft verlässliche Entscheidungsgrundlagen und hilft, unterkomplexe Problemanalysen und daraus resultierende flachwurzelnde Entscheidungsoptionen zu vermeiden. Entwickeln Sie Ihre persönliche Widerstandskraft gegen gefühlten Entscheidungsdruck. Vertrauen Sie auf Ihr Urteilsvermögen, das in Verbindung mit einer verlässlichen Informationslage und einer realistischen Einschätzung der eigenen Wettbewerbsstärke die wichtigste Kraftquelle in der Unternehmensführung sein sollte.
Diese Kompetenz setzt eine fundierte Ausbildung voraus und kann als unternehmerische Fähigkeit kontinuierlich trainiert werden. Finden Sie ein Koordinatensystem für Ihr Unternehmen. Wofür steht es, wo soll es hin? Auf der strategischen Ebene bedeutet dies, unternehmensspezifische Ziele zu formulieren und zu verfolgen. Dabei hilft ein robustes Controlling, das Planabweichungen frühzeitig erkennt und Kurskorrekturen ermöglicht. Flexibilität ist eine Eigenschaft, die in Zeiten von VUKA wertvoll wird. Denken Sie in Prozessen statt in Zuständen. Muss ich alles selbst machen – und durch Investitionen erst die Voraussetzungen dafür schaffen? Oder kann nach Bedarf Kapazitäten einkaufen, von denen nicht sicher ist, ob sie dauerhaft im Unternehmen vorgehalten werden müssen?
Arbeiten Sie an vertrauensvollen und verlässlichen Beziehungen zu Ihren Partnern in den Märkten, in der Finanzierung und auch in der Belegschaft. Gerade in vernetzten Wertschöpfungsstrukturen hilft dies, frühzeitig Informationsvorteile zu gewinnen. Innovationen, Risikovorsorge, Marktchancen und Prozessverbesserungen können verlässlich und nachhaltig funktionieren, wenn sie in entsprechend komplexe Voraussetzungen, Erfolgsbedingungen und Folgenabschätzungen eingebettet sind. Arbeiten Sie am öffentlichen Image Ihres Unternehmens und der Branche insgesamt. Das schafft Vertrauen – ein wichtiger Wert in der öffentlichen Diskussion. Gehen Sie auf die Gesellschaft zu. Gehen Sie Ihren jetzigen und zukünftigen Mitarbeiter entgegen, statt ihnen hinterherzulaufen. Wer Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität/ Mehrdeutigkeit als untrennbare Bestandteile unternehmerischer Aufgaben akzeptiert und versteht, könnte daraus letztlich sogar Wettbewerbsvorteile ziehen.
Entscheidungen in der Landwirtschaft – Fazit
Unternehmerisch handeln, heißt Entscheidungen treffen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind im Wandel. Die Abkürzung VUKA steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Aufgrund dieser Unsicherheiten wird es schwieriger, Entscheidungen zu treffen. Betriebsleiter sind daher gefordert, rationale Entscheidungen auf der Basis verlässlicher Informationen zu treffen, unternehmensspezifische Ziele zu formulieren und zu verfolgen sowie am eigenen und am Image der Landwirtschaft zu arbeiten.
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