Fachschule im Porträt

Fachschule für Agrarwirtschaft „Heinrich von Thünen“: An Winterschule festgehalten

Staatlich geprüfte Agrarbetriebswirte, die 2019 ihren Abschluss gemacht haben, vor dem Schulgebäude. Wegen der Pandemie gab es für die folgenden Abschlussklassen nicht so schöne Fotos. (c) Jens-Hagen Schwadt
Betriebsführung
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Die Fachschule für Agrarwirtschaft „Heinrich von Thünen“ ist die einzige landwirtschaftliche Fachschule in Mecklenburg-Vorpommern. Sie bietet ein breit gefächertes Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten.

Von Ulrike Bletzer, Bad Ems

Welches Alleinstellungsmerkmal die Fachschule für Agrarwirtschaft Heinrich von Thünen“ in Güstrow auszeichnet? Da muss Schulleiterin Andrea Wurz nicht lange überlegen.
„Wir sind die einzige landwirtschaftliche Fachschule in Mecklenburg-Vorpommern“, erwidert sie. Das war allerdings nicht immer so. Lange Jahre gab es mit den Fachschulen für Landwirtschaft Zierow im Landkreis Nordwestmecklenburg und Tollenseheim im Kreis Mecklenburgische Seenplatte zwei weitere Standorte. Doch um die Jahrtausendwende herum wurden sie in den zentralen Standort Güstrow (Landkreis Rostock) eingegliedert – „wegen des zunehmenden Schülerrückgangs, aber auch im Hinblick auf eine größere Effektivität“, wie Andrea Wurz erläutert.

Konsequentes Konzept der Winterschule

Die Zusammenlegung ist allerdings nur eines von vielen markanten Daten in der wechselvollen Geschichte der Bildungseinrichtung, die im Jahr 1949 als Ausbildungsstätte für Maschinentechniker an den Start ging und heute in Trägerschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern junge Menschen auf die Abschlüsse „Staatlich geprüfte/-r Wirtschafter/-in Fachrichtung Landwirtschaft“ und „Staatlich geprüfte/-r Agrarbetriebswirt/-in Fachrichtung Landwirtschaft“ vorbereitet.

Dabei setzt sie konsequent auf das Konzept der Winterschule: Sowohl bei der einjährigen Fachschule (Wirtschafter) als auch bei ihrem zweijährigen Pendant (Agrarbetriebswirt) besuchen die Schülerinnen und Schüler über drei Wintersemester hinweg den Unterricht in Güstrow und arbeiten in den Sommerhalbjahren jeweils im Betrieb. Der Unterschied zwischen „einjährig“ und „zweijährig“ definiert sich über die Intensität des Schulbesuchs: Die angehenden Agrarbetriebswirte sind an fünf, die künftigen Wirtschafter dagegen lediglich an zwei bis drei Unterrichtstagen pro Woche vor Ort.

Viele andere Winterschulen wechselten derzeit zum Vollzeitunterricht, beobachtet Andrea Wurz. Nicht so die Güstrower, die an der Winterschule festhalten: „Vollzeitunterricht reißt die Fachschülerinnen und Fachschüler komplett aus der betrieblichen Praxis heraus. Das ist sehr schwierig in einer Zeit, in der die Landwirtschaft mit einem großen Fachkräftemangel zu kämpfen hat“, erklärt die Schulleiterin.


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Kombination aus Schulbesuch und praktischer Erfahrung gut bewährt

Die Konkurrenz zwischen Fachschulen und Betrieben, die nicht auf ihre Fachkräfte verzichten könnten oder wollten, habe teilweise zu einem höheren Einstiegsalter geführt, fügt sie hinzu: „Viele besuchen die Fachschule nicht direkt im Anschluss an Lehre und Berufsschule, sondern erst später – zum Beispiel dann, wenn bei ihrem Arbeitgeber oder auf dem elterlichen Hof ein Betriebsleiterwechsel ansteht.“

Rund 150 Schülerinnen und Schüler, die meisten von ihnen zwischen 20 und 30 Jahre alt, umfasst ein Jahrgang in der nach dem Agrarwissenschaftler und Sozialreformer Johann Heinrich von Thünen (1783–1850) benannten Güstrower Bildungseinrichtung, wobei der zahlenmäßige Schwerpunkt klar auf der zweijährigen Fachschule liegt. Hier wird in der Regel in Parallelklassen unterrichtet.

Für Führungsaufgaben gerüstet

Doch zunächst zu den angehenden Wirtschaftern, deren Schwerpunktfach die Betriebs- und Unternehmensführung ist – nicht wirklich überraschend angesichts des Ausbildungsziels, die Absolventen sowohl „zur Leitung eigener Unternehmen als auch zur Übernahme von Arbeiten und Führungsaufgaben auf mittlerer Ebene in der Agrarverwaltung und in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten landwirtschaftsnahen Dienstleistungsunternehmen“ zu befähigen, wie es im Infoflyer der Schule heißt.

Zum fachrichtungsbezogenen Lernbereich zählen außerdem Biologie und Chemie, Informatik, Marktlehre, Umweltschutz und Landschaftspflege, Rechtslehre, Tierische Produktion, Pflanzliche Produktion, Landtechnik und landwirtschaftliches Bauen sowie das Fach Projektarbeit. Dazu kommen die fachrichtungsübergreifenden Fächer Kommunikation und Deutsch, Englisch, Philosophie/Religion, Mathematik und Sozialkunde. Am Ende müssen die Absolventen ihr Wissen in drei jeweils dreistündigen schriftlichen Prüfungen unter Beweis stellen und mindestens eine mündliche Prüfung ablegen.

Aufsatteln zum Landwirtschaftsmeister

Haben sie den Abschluss „Staatlich geprüfte/-r Wirtschafter/-in Fachrichtung Landwirtschaft“ schließlich in der Tasche, arbeiten viele Absolventen als Bereichsleiter auf großen landwirtschaftlichen Betrieben, wo sie dann beispielsweise für das Herdenmanagement zuständig sind. Oder sie satteln den Landwirtschaftsmeister drauf, auf den sie inhaltlich dank der Wirtschafterausbildung bereits zum größten Teil vorbereitet sind.

Mit der Betonung auf „zum größten Teil“: Zur vollständigen Qualifizierung für die Prüfung gehört noch der ebenfalls in Güstrow angebotene Intensivkurs Landwirtschaftsmeister, der im Winter an einem Tag pro Woche stattfindet und sich über insgesamt 20 Wochen erstreckt.

An ihm nimmt auch Nick Kluge teil, der den diesjährigen Wirtschafterabschluss als Jahrgangsbester erreicht hat. „Ich wollte schulisch auf meiner Ausbildung als Landwirt aufbauen, um später eine höhere berufliche Position erlangen zu können“, sagt der 23-Jährige. Er schätzt es sehr, dass die Fachschule die Themen, die in der Berufsschule nur grob umrissen werden, stark vertieft und auch den jeweiligen Hintergrund, etwa zum Agrarrecht, mit einbezogen hat. Inzwischen habe er die Leitung des Betriebs übernehmen können, auf dem er zuvor seine Ausbildung als Landwirt machte, erzählt Nick Kluge: „Da es sich um einen Betrieb mit Hühner-Freilandhaltung handelt, gibt es für die Leitung eigentlich keine andere Option, als den Meister zu machen.“

auch Fachhochschulreife möglich

Bereits vor Beginn des Schulbesuchs entschieden sich die Absolventinnen und Absolventen zwischen den Varianten „Wirtschafter“ und „Wirtschafter plus Meister“, berichtet Schulleiterin Andrea Wurz: „Zum Agrarbetriebswirt hin besteht dagegen im Prinzip, anders als bei vielen anderen Fachschulen, keine Durchlässigkeit. Auf Antrag ist es aber auch möglich, diesen Abschluss draufzusatteln.“ Beim „Staatlich geprüften Agrarbetriebswirt Richtung Landwirtschaft“ liegen, über die genannten fachlichen Inhalte hinaus, zusätzliche Schwerpunkte auf der Mitarbeiterführung und dem Erwerb der Ausbildereignung.

Auch die Fachhochschulreife kann man im Rahmen der zweijährigen Fachschule erlangen, wenn man an einem entsprechenden Zusatzunterricht inklusive kostenpflichtiger Prüfung teilnimmt. Ein wichtiger Baustein ist außerdem die ausgesprochen praxisbezogene, etwa 20 bis 30 Seiten umfassende Facharbeit, für die die Absolventinnen und Absolventen ein halbes Jahr lang Zeit haben. „Sie suchen sich ein Thema, führen in dem betreffenden Bereich Versuche durch und schreiben ihre Facharbeit darüber, die sie anschließend im Plenum präsentieren“, beschreibt Andrea Wurz das Prozedere.
Dabei kann es, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, um Fütterungs- oder Saatgutversuche sowie Versuche zur Milchqualität, aber auch um betriebswirtschaftliche Kalkulationen, etwa zur Umstellung eines Betriebs auf ökologischen Landbau, gehen. „Unsere staatlich geprüften Agrarbetriebswirte arbeiten später sehr häufig als Betriebsleiter oder Geschäftsführer von Unternehmen“, sagt Andrea Wurz.

Gute chancen in marketing, agrarmanagement und verwaltung

Auch auf Tätigkeiten in der Beratung, im Agrarmanagement, Marketing und Service von Unternehmen des vor- und nachgelagerten agrarwirtschaftlichen Bereichs sowie auf Tätigkeiten in der Agrarverwaltung, bei Verbänden und Forschungseinrichtungen sind sie bestens vorbereitet.

Maja Buhr (23), die diesjährige Jahrgangsbeste, arbeitet inzwischen im Büro der Agrargenossenschaft Stove in Blowatz-Dreveskirchen. Der elterliche Betrieb mit Schwerpunkt auf der Milchviehhaltung habe zu ihrem Entschluss, die Fachschule zu besuchen, beigetragen, berichtet sie: „Auch meine Eltern haben mir dazu geraten – in dem Bewusstsein, das nichts eine gute Bildung ersetzen kann.“ Vor allem in Fächern wie Betriebs- und Unternehmensführung habe sie in Güstrow viel Neues dazugelernt.

Auf Praxisbezug wird Wert gelegt

Sowohl in der einjährigen als auch der zweijährigen Fachschule legt man an der Fachschule für Agrarwirtschaft „Heinrich von Thünen“ großen Wert auf Praxisbezug: „Zum Beispiel machen wir regelmäßig Fachexkursionen, bei denen Schülerbetriebe besichtigt werden“, berichtet Andrea Wurz. Auch die Außendarstellung und der Austausch mit anderen Akteuren der Landwirtschaft besitzen einen hohen Stellenwert: So ist die Schule bei der Mecklenburgischen Landwirtschaftsausstellung MeLa in Mühlengeez, die als größte landwirtschaftliche Fachmesse in Norddeutschland gilt, regelmäßig mit einem eigenen Stand vertreten. Und, wie die Schulleiterin hinzufügt: „Das Jubiläum zum 70-jährigen Bestehen der Schule im Jahr 2019 haben wir gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gestaltet. Dabei wurde deutlich, dass bei einigen bereits die Großeltern ihre Ausbildung hier absolviert haben.“

Übernachtungen für 10 euro pro nacht im wohnheim

Das Einzugsgebiet der „Heinrich von Thünen“-Schule ist groß: Es erstreckt sich nicht nur über ganz Mecklenburg-Vorpommern, sondern umfasst auch das nördliche Brandenburg und Randgebiete von Schleswig-Holstein. Ein modern eingerichtetes Wohnheim mit fünf Einzelzimmern, 44 Doppelzimmern und 18 weiteren Doppelzimmern mit einem zusätzlichen Arbeitsbereich ist 2012 in Betrieb gegangen. Eine Übernachtung kostet weniger als 10 Euro – ein Preis, der für den Besuch der Schule sehr förderlich ist.

Allerdings: Zwar gibt es durchaus Fachschülerinnen und Fachschüler, die im Wohnheim übernachten. Aber die meisten pendeln, selbst wenn sie weiter weg wohnen. „Sie leben oft mit einer Doppelbelastung aus Schulleben einerseits und Betrieb oder familiärer Situation andererseits“, sagt Andrea Wurz und schickt hinterher, das Wohnheim sei insbesondere für die Teilnehmer der überbetrieblichen Ausbildung eröffnet worden.

Ein ehemaliger Absolvent hat  eine Klasse zur Grünlandbonitur  eingeladen. (c): BARBARA CLAUSEN
Ein ehemaliger Absolvent hat eine Klasse zur Grünlandbonitur eingeladen. (c) Barbara Clausen

Überbetriebliche Ausbildung

Womit sie eine echte Besonderheit der Güstrower Bildungseinrichtung zur Sprache gebracht hat: Die „Heinrich von Thünen“-Schule bietet neben der Fachschule auch eine überbetriebliche Ausbildung in der Forstwirtschaft sowie im Gartenbau (Fachrichtungen Garten- und Landschaftsbau, Zierpflanzenbau, Gemüsebau, Obstbau und Friedhofsgärtnerei) an.

Überhaupt ist sie sehr breit aufgestellt: Zum Portfolio zählen außerdem Weiterbildungen zum Landwirtschaftsmeister (darunter der bereits erwähnte verkürzte Intensivvorbereitungskurs für Absolventen der einjährigen Fachschule) sowie zum Gärtnermeister, Forstwirtschaftsmeister, Pferdewirtschaftsmeister und Tierwirtschaftsmeister. „Bei den Meisterlehrgängen kooperieren wir zum Teil allerdings mit anderen Bundesländern – zum Beispiel mit Brandenburg, was die Forstwirte betrifft, und mit Thüringen, was die Tierwirte anbelangt“, stellt Andrea Wurz klar.

Ähnliches gilt zumindest für einen Teil der zahlreichen Fortbildungen, an denen man in Güstrow teilnehmen kann. Hier reicht das Spektrum, um nur ein paar Beispiele zu benennen, vom Berufsabschluss Landwirt, Tierwirt oder Gärtner über die geprüfte Agrarbürofachkraft, melktechnologische Grundlagen und ein Orientierungsseminar ökologischer Landbau bis hin zum Befähigungsnachweis Tiertransporte und dem Sachkundenachweis Pflanzenschutz.

Insgesamt 14 Lehrkräfte und fünf Ausbilder, Letztere zum größten Teil in Unterrichtsfächern wie Forstliche Verfahren und Forsttechnik, gehören zum Kollegium der Güstrower Winterschule. Apropos Winterschule: Bei diesem Begriff drängt sich unwillkürlich die Frage auf, was die Lehrerinnen und Lehrer eigentlich im Sommerhalbjahr machen. „Dann arbeiten sie als Ausbildungsberater und Prüfer im Bereich der Erstausbildung“, erläutert Schulleiterin Andrea Wurz den zweiten Aufgabenbereich.

Ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil in Güstrow: Die Fachschule für Agrarwirtschaft „Heinrich von Thünen“ ist Teil eines grünen Bildungscampus, zu dem unter anderem auch die Berufsschule des Landkreises Rostock gehört. Auf diese Weise ist es möglich, zahlreiche Synergien zu nutzen. Auch in kulinarischer Hinsicht: Eine von der Fachschule betriebene Mensa steht dem gesamten Campus zur Verfügung.

Schon vor Corana Digitalunterricht

Logisch, dass die Corona-Pandemie auch an der Fachschule für Agrarwirtschaft „Heinrich von Thünen“ nicht spurlos vorbeigegangen ist. Allerdings: „Wir hatten schon ein Jahr vor Covid-19 damit begonnen, digitale Möglichkeiten für den Unterricht zu nutzen, und dafür zum Beispiel eine Lernplattform angeschafft“, berichtet die Schulleiterin und fügt hinzu: „Das alles ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass wir das gesamte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern als Einzugsgebiet haben.“

Alle Lehrer und Schüler hätten frühzeitig einen Zugang zu besagter Lernplattform erhalten, sodass es nach dem Ausbruch der Pandemie ohne größere Probleme möglich gewesen sei, auf Distanzunterricht umzustellen: „Der Unterrichtsausfall hielt und hält sich in überschaubaren Grenzen.“ Auch nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht sei geplant, die digitalen Möglichkeiten – dann allerdings in geringerem Umfang – weiterhin zu nutzen, erklärt Andrea Wurz: „So möchten wir an den Wochenrandtagen Montag und Freitag weiterhin Distanzunterricht anbieten, um auch diejenigen Schülerinnen und Schüler, die an diesen Tagen nicht vor Ort sind, gut mit einzubinden.“

In der Corona-Zeit hätten sich die Schülerinnen und Schüler stärker, als es vorher der Fall gewesen sei, zu Lerngruppen zusammengefunden, nennt Andrea Wurz ein Beispiel dafür, dass die Pandemie auch den einen oder anderen positiven Nebeneffekt mit sich bringen kann. Allerdings habe Corona eine bedenkliche Entwicklung verschärft, die durch die bereits erwähnte Doppelbelastung vieler Absolventinnen und Absolventen ohnehin schon in Gang gekommen war: Das Schulleben nach Unterrichtsende sei stark eingeschränkt, so die Schulleiterin, die betont: „Mein persönlicher Wunsch ist es, dass dieser Bereich wieder stärker auflebt.“

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