Brandschutz in der Nutztierhaltung: Kongress in Brandenburg
In letzter Zeit ist es öfter zu verheerenden Bränden in Ställen gekommen. Wie lassen sie sich vermeiden, und was ist zu tun, wenn es brennt? Dies und Weiteres stand im Fokus des Kongresses „Effektiver Brandschutz in der Nutztierhaltung“ in Brandenburg.
Von Jutta Heise und Wolfgang Herklotz
Beißende Rauchschwaden überm Kälberstall. Detlef May, Leiter der Lehr- und Versuchsanstalt für Tierzucht und Tierhaltung Groß Kreutz, wählt sofort die 112. Der Notruf geht um 8.45 Uhr in der Feuerwehrleitstelle Brandenburg/Havel ein. Es brennt, ein Mensch wird vermisst, Kälber sind in Gefahr.
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Der Alarm „Gebäude groß“ wird ausgelöst. Zwölf Minuten später treffen drei Ortsfeuerwehren auf dem Betriebsgelände ein. May rennt los, versucht dem Einsatzleiter Michael Binder, Ortsfeuerwehr Groß Kreutz, die Lage klarzumachen. Währenddessen treffen weitere Einsatzkräfte mit ihren Löschfahrzeugen ein.
Schläuche werden ausgerollt, Strahlrohre in Stellung gebracht, Atemschutzgeräte aufgesetzt, Wasser aus dem Vorhaltebecken gepumpt. 9.16 Uhr heißt es „Wasser marsch“. Knappe zwei Stunden später wird das Kommando „Wasser halt“ ausgerufen. Das Feuer ist aus und der ganze „Spuk“ vorbei. Es war zum Glück nur eine Übung!
Kongress Effektiver Brandschutz in der Nutztierhaltung
So turbulent endete der dreitägige Kongress zum effektiven Brandschutz in der Nutztierhaltung Ende März. Zur Veranstaltung in der Brandenburgischen Landwirtschaftsakademie am Seddiner See hatten die Potsdamer Ministerien für Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Inneres eingeladen, gemeinsam mit Einrichtungen des Landes zum Tier- und Verbraucherschutz sowie dem Landesfeuerwehrverband von Brandenburg. Dr. Claudia Possardt, Leiterin des Tierschutzberatungsdienstes (TSBD), konnte dazu Teilnehmer aus zwölf Bundesländern begrüßen, darunter Feuerwehrkameraden und Landwirte.
An der deutschlandweiten Premiere nahmen darüber hinaus mehr als 170 Personen online teil. „Uns geht es darum, Wissen und Erfahrungen zu vermitteln. Denn um die Tiere besser vor Bränden schützen zu können, müssen die verschiedenen Fachbereiche enger zusammenarbeiten“, betonte Dr. Possardt.
Zugleich solle ermittelt werden, welcher Bedarf an Forschung, technischer Entwicklung und rechtlichen Regelungen bestehe, bei der Prophylaxe wie im Schadensfall. Wie lässt sich Stallbränden vorbeuge? Worauf ist bei einer Evakuierung der Milchviehherde zu achten? Welche Rolle spielen Tierversorgung und Tierseuchenprävention im Brandfall? Über diese und weitere Themen wurde am zweiten Kongresstag ausgiebig diskutiert, die Erfahrungen dazu stellen wir in den nächsten Ausgaben vor.
Bildergalerie: Brandschutz in der Nutztierhaltung
Erst die Theorie: Tierverhalten
Um effektiv handeln zu können, muss man wissen – sagen wir, warum Schweine wie in Schockstarre im Ernstfall auf der Stelle verharren (meist nach Herz-Kreislauf-Zusammenbruch) oder auch in den noch brennenden Stall zurücklaufen, wo doch die meisten Nutztiere Fluchttiere sind.
Antwort auf diese und andere Fragen versuchten die Vorträge des ersten Kongresstages zu geben, spezifiziert für Schwein, Rind, Pferd und Geflügel. Beleuchtet wurden insbesondere deren Anatomie, Physiologie, ihr Verhalten bei Gefahren, etwa im Brandfall, bei Stress. Diese Referate richteten sich in erster Linie an die Angehörigen der Berufs- und freiwilligen Feuerwehren. Der Bezug zu den Nutztieren ist verloren gegangen. Wissen ist gut, es in der Praxis anwenden, sich dabei austesten – viel besser.
Dann die Praxis: Ein Gefühl für die Tiere entwickeln
Ergo ging es am Nachmittag unter Anleitung der Spezialisten für die Tierarten sportlich zu. Die Übungen sollten den Teilnehmern zumindest ansatzweise zeigen, wie im Katastrophenfall, insbesondere bei Bränden, mit Nutztieren umzugehen ist. Das Minimalziel des Tages formuliert Fachtierärztin Dr. Ursula Driemel, die im Vortragsreigen das Thema Schwein behandelt hatte: Es gehe vor allem darum, ein Grundgefühl für die Tiere zu entwickeln, einen mehr oder weniger intensiven Erstkontakt aufzubauen.
Das Wichtigste vorweg: Die Übung war von den Kongress-Organisatoren, den Mitarbeitern des TSBD des Landesamtes für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG), sowie von Fachtierärzten nach jeglicher Maßgabe des Tierwohls und einschlägiger Hygienevorschriften vorbereitet worden und fand unter ihrem wachsamen Auge statt, begleitet auch von der Landestierschutz-beauftragten.
Schutzkleidung an Bord, ging es für die Teilnehmer, in Gruppen eingeteilt, zunächst zum Sauenhain von Clemens Strohmeyer am Rande von Potsdam. Der Seiteneinsteiger betreibt seit 2015 Freilandhaltung mit rund 100 Tieren unterschiedlicher Rassen und Kreuzungsvarianten auf stillgelegten Obstplantagen und hat vor Kurzem eine interessante Bratwurst-Variante, einen Mix aus Ökofleisch und Grünkern, auf den Online-Markt gebracht. Das nur nebenbei. Die Aufgabe: Sauen in einen Transporthänger treiben. Als Hilfsmittel kommen Treibbretter zum Einsatz, Lockfutter auf der Rampe ist erlaubt.
Feuerwehrkameraden: Retter und Tiere
Ralf Kühne von der Berufsfeuerwehr Brandenburg/Havel, hat, erzählt er noch, zwar mal einen Kurs mit Schwerpunkt Brand von Stallanlagen belegt, ansonsten jedoch nur wenige Berührungspunkte mit Nutztieren. Er wolle vom Kongress vor allem mitnehmen, welche Möglichkeiten es für Feuerwehrleute gibt, sich Kenntnisse über die Einschätzung der Gefahren anzueignen, in denen sich Retter und Tiere im Katastrophenfall befinden. Auch habe er Nachholbedarf, welche Vorschriften beim Tiertransport greifen. Mit dem Kongress erstmalig alle Akteure zusammenzuführen und generell für das Thema zu sensibilisieren, finde er lobenswert.
Im Team mit Marco Heinhold, Feuerwehr der FU Berlin, gibt Kühne sein Bestes. Nach einigen Minuten sind beide ausgepowert, während die Schweine nach einem kurzen Erstaunen weiter die Erde nach Fressbarem durchwühlen, wie es ihre Art ist. „Rufen, reden, immer mit den Tieren kommunizieren!“, ermuntert Dr. Driemel zur nächsten Runde. Vier Schweine lassen sich schließlich überzeugen und entern den Hänger, aus dem sie dann auch schnell wieder fliehen. „Welche Kraft diese Tiere an den Tag legen, das haben wir unterschätzt“, resümieren die Feuerwehrkameraden.
Groß Kreutz: Kuh Evakuierung
Nächster Stopp: Die Lehr- und Versuchsanstalt für Tierzucht und Tierhaltung Groß Kreutz. Zwei Kühe sollen vom Stall weggeführt werden. Treibarbeit und Simulation einer Evakuierung in einem: May will sehen, ob etwas hängen geblieben ist vom Vortrag, den Dr. Toschi Kaufmann, Fachtierärztin für Zuchthygiene und Biotechnologie der Fortpflanzung beim RBB, am Vormittag gehalten hat.
Sie repetiert einige Fakten, die zur Bewältigung der Aufgabe hilfreich sein können: „Da die Kuh doppelt so viele Bilder sieht wie der Mensch, erscheint ihr alles hektischer, sie hat ein weites Sichtfeld, aber eingeschränktes räumliches Sehen.“ Und weiter: „Die Tiere wollen sehen, was und wer sie treibt, sie gehen dorthin, wo Sie hinschauen. Haben Sie den Kopfhaltungsknigge, die Tiersignale, noch parat? Was heißt ‚Stopp‘ ‚Abstand‘ oder ‚Komm gerne näher‘?“
Unser Team Kühne und Heinhold hat an der Outdoor-Sauenanlage offenbar so viel Selbstvertrauen in puncto Tier-Handling geschöpft, dass es sofort bereit ist. Das Führen klappt recht gut, winzige Patzer wertet Dr. Kaufmann auf der Stelle aus.
Biohof Werder: Umgang mit Pferden und Hühnern
Letzte Station, der Biohof Werder. Unter Regie von Tierarzt und Pferdefachmann Dr. Dieter Schad darf jeder, der es sich zutraut, einer Stute ein Halfter anlegen. „Man sollte Ruhe und Selbstvertrauen ausstrahlen“, mahnt Schad. „Die Pferde spiegeln Sie!“ Und rät: „Betreten Sie einmal unter Anleitung einen Stall, um sich selbst zu testen. Es geht im Ernstfall immer um eine stressarme Evakuierung, da müssen Sie wissen, welche mentalen Möglichkeiten Sie haben.“
Am mobilen Hühnerstall wartet Dr. Jens Hübel, Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit. Sein Vortrag hatte sich mit den Besonderheiten von Geflügel, vom Huhn bis zum Farmstrauß, befasst und die unterschiedlichen Haltungsformen thematisiert, auch erläutert, in welchen Situationen diese Fluchttiere Aggressionen zeigen, dabei die „Waffen“ von Geflügel (die Krallen eines Straußes können tödlich sein, beim Umgang mit ihm ist Schutzkleidung zu tragen) nicht ausgespart.
Nun gilt es, einen Brandfall simulierend, den mobilen Stall zu beräumen und die Tiere in eine Voliere umzusetzen. Beherzt und dennoch sensibel zupacken, lautet die Devise. Die Handgriffe hatte Hübel am Vormittag einprägsam an einem Stoffhuhn demonstriert – auch eine Möglichkeit. Und es stellt sich heraus, dass diejenigen Feuerwehrkameraden, die im ländlichen Raum leben, im Vorteil sind, jedenfalls was die Hühnerhaltung betrifft.