Agri-PV in Brandenburg: Oben Solarstrom, unten Landwirtschaft
Windkraft- und Solaranlagen werden immer wichtiger für Deutschlands Stromversorgung. Doch das verschärft die Flächenkonkurrenz zwischen Lebensmittel- und Energieerzeugung. Die Agri-Photovoltaik wäre da eine interessante Möglichkeit, diesen Konflikt abzumildern und gleichzeitig neue Perspektiven für die Agrarbetriebe zu eröffnen.
Ein schattiges Plätzchen ist an diesem sonnigen Junitag wahrlich willkommen. Da geht es uns nicht anders als den beiden Mutterkühen mit ihren neugierigen Kälbern, die vor uns stehen.
Die vier ziehen sich immer wieder unter die hoch aufgeständerten Module der Agri-Photovoltaik-(PV)-Anlage zurück und zeigen uns sofort, worum es heute im Gewerbegebiet Rathenow (Brandenburg) gehen soll: oben Solarstrom, unten Landwirtschaft.
Sonnenstromsammler: Besuch beim Betrieb Jerchel Beef GbR
Die Rinder gehören Christian und Ulrike Knees, die an zwei Standorten Landwirtschaft an der Havel betreiben – einmal mit dem Biobetrieb Agrargenossenschaft Schollene und einmal mit der Jercheler Landwirtschafts GmbH & Co. KG.
In beiden Betriebsteilen gibt es Mutterkühe (Fleckvieh und Fleckviehkreuzungen), aber zwei davon haben vor drei Wochen im abgekalbt. Warum das außerhalb der Betriebsflächen geschah, erfahren wir von Ulrike Knees: Die Landwirtin und ihr Mann planen, demnächst eine Agri-PV-Anlage auf einem Teil ihrer Flächen aufzustellen.
Partner für dieses Projekt ist die Sunfarming GmbH aus Erkner bei Berlin. Die Solarstromspezialisten betreiben seit rund zwei Jahren in Rathenow eine Demonstrations- und Forschungsanlage, um zu testen und zu zeigen, welche Landnutzungsformen sich unter Solarmodulen in hiesigen Breiten bewähren. Dazu wird der Anbau von unterschiedlichen Obst-, Beeren- und Kräuterarten sowie Arzneipflanzen und Blühmischungen, aber auch von Ackerkulturen wie Mais oder Hanf getestet.
Da sich der Agri-PV-Pionier aber nicht nur auf Pflanzenbau unter den Sonnenstromsammlern konzentrieren will, gibt es auf seinem Testgelände auch eine Hühnerschar, die unter den Solarpaneelen pickt und seit Kurzem besagte vierköpfige Miniherde mit Forschungsauftrag. Demnächst soll auch noch Muffelwild in die Demonstrationsanlage einziehen. Die Wildschafe können Kneeses als Gatterwild beisteuern.
Solarstrom mit Solarmodulen auf den Dächern
„Wir erzeugen in unserem Betrieb bereits Solarstrom“, erfahren wir von der gebürtigen Stendalerin im weiteren Gespräch. 2017, gleich nachdem sie und ihr Mann sich selbstständig gemacht hatten, mussten sie an beiden Standorten die teils sehr maroden Dächer sanieren. Dafür wollten sie diese an einen PV-Betreiber verpachten, der sie auch gleich instand setzen sollte.
Aber dann kam ihr Mann auf einer Geburtstagsfeier zufällig mit einem befreundeten Bankfachmann ins Gespräch. Nur ein paar Wochen später bestückten sie in Selbstregie und mit viel Eigenleistung die Dächer der meisten Wirtschaftsgebäude mit Solarpaneelen. Die elektrische Leistung der Anlagen beträgt 749 und 440 kWh.
Und jetzt soll es also mit Agri-PV über den Mutterkühen weitergehen?
Vorteile: Futter, Arbeitszeit und Diesel sparen
„Machen wir uns doch nichts vor“, antwortet Christian Knees auf die Frage. „Jeder weiß, dass man mit Mutterkühen heute eigentlich kein Geld mehr verdienen kann.“ Obwohl sie ihr Rindfleisch schon zur Hälfte direktvermarkten, suchen sie noch nach weiteren Möglichkeiten, damit auch dieser Betriebszweig wirtschaftlich ist.
Hochwertiges Fleisch zu produzieren und gleichzeitig die Solarstromerzeugung auszuweiten, wäre da ein interessanter Weg. Vor allem dann, wenn man nicht einmal mehr von jeder Kuh ein Kalb hat. „Ein großer Teil unserer Weideflächen grenzt an den Truppenübungsplatz Klietz“, berichtet der 33-jährige Landwirt, der auch Jäger ist. „Dort ist nicht nur der Leopard II unterwegs. Wir sehen praktisch wöchentlich Wölfe.
Nach 28 bestätigten Wolfsrissen und etlichen, wo theoretisch auch ein Hund der Verursacher sein konnte, haben wir uns entschlossen, die Abkalbung auf den Januar und Februar zu konzentrieren. Dann stehen die Rinder auf einem Ackerstück unweit des Hofes und um diese Fläche geht es.“
Agri-PV bietet Schutz und Lagermöglichkeit
„Mir gefällt dabei vor allem der Gedanke, dass die Tiere dann unter den Modulen Schutz vor der Witterung finden“, ergänzt seine Frau, die sich im Betrieb um die Mutterkühe kümmert und der natürlich alles daran gelegen ist, dass es ihren Tieren so gut wie möglich geht.
„Man könnte auch gleich das Winterfutter unter den Modulen lagern und ohne viel Mühe verfüttern“, erläutert sie die Pläne. Bis jetzt fahren sie im Winterhalbjahr regelmäßig Heuballen auf die Koppel, die dort dann schnell von Regen und Matsch in Mitleidenschaft gezogen werden. „Wir müssten das Futter dann nur einmal anfassen. Das würde Heu, Arbeitszeit und Diesel sparen. Gemeinsam mit Peter haben wir schon überlegt, ob man an das Ständerwerk auch Fressgitter anschrauben kann.“
Peter Schrum: Landwirt und Sunfarming-Chef
Mit Peter meint sie Peter Schrum, den Vorstandsvorsitzenden der Sunfarming Group AG und Präsidenten des Bundesverbandes Regenerative Mobilität (BRM). Er kommt regelmäßig in den Forschungs- und Innovationspark Rathenow und erläutert Landwirten, aber auch Politikern und Behördenvertretern das „Food & Energy Concept“ seines international agierenden Unternehmens.
Kennengelernt haben sie den gebürtigen Schleswig-Holsteiner mit dänischen Wurzeln über die Biogasanlage auf dem Rathenower Gewerbegebiet. Für sie koordinierte damals Christian Knees, der ebenfalls aus Schleswig-Holstein stammt, die Gärsubstratanlieferungen der Landwirte. Die Anlage speist Biomethan ins Erdgasnetz ein, gehört aber seit letztem Jahr nicht mehr zu Sunfarming.
Die familiengeführte Projektierungsfirma am Berliner Stadtrand konzentriert sich jetzt auf die Entwicklung und Installation von schlüsselfertigen Solaranlagen – auf Dächern wie auf Freiflächen, und zwar weltweit.
Flächen sollen beim Landwirt bleiben
„Neben der Erzeugung erneuerbarer Energie und dem Klimaschutz wollen wir mit unserem Konzept sicherstellen, dass die Flächen, auf denen Strom erzeugt wird, auch weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden können“, erklärt der international anerkannte Experte.
„Die Landwirte sollen ihre Betriebsflächen zu einhundert Prozent behalten und nicht an die großen Energieerzeuger verlieren, die sie mit hohen Pachtzahlungen für Freiflächenanlagen verdrängen.“ Zudem gelte es, Naturschutzaspekte zu berücksichtigen, Flächen nicht zu versiegeln und so eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzielen.
Der Sunfarming-Chef berichtet uns, dass er selbst von einem Bauernhof stammt und schon als Landwirt früh auf die verschiedenen erneuerbaren Energien gesetzt hat. Seit 2004 ist er mit der Sunfarming GmbH auf die technische und wirtschaftliche Umsetzung deutscher wie internationaler Photovoltaikprojekte spezialisiert, darunter Großprojekte für Investoren, Direktstromkonzepte für Kommunen und eben die Agri-Photovoltaik für Landwirte.
Typisch für sein Unternehmen sei die sehr enge Zusammenarbeit mit den Personen vor Ort und den Forschungseinrichtungen. Kneeses bestätigen uns das ohne Zögern, genau wie die engen Kontakte zu Universitäten und Hochschulen in Cottbus, Berlin, Halle oder Neubrandenburg.
Erst vor Kurzem entstand zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich (NRW) und dem Fraunhofer ISE (BW) im Rheinland eine Agri-PV-Anlage zu Forschungszwecken. Dort setzt Sunfarming auf Tracker, die die Module der Sonne nachführen und bei der Bearbeitung der Flächen senkrecht stellen.
Mit einer Durchfahrtshöhe von 4 m und größerem Pfostenabstand soll so der Einsatz größerer landwirtschaftlicher Maschinen erprobt werden. Gleichzeitig werden verschiedene Beschattungsszenarien sowie effizientes Regenwassermanagement erforscht, um den Pflanzenanbau klimaresilienter zu machen.
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Doppelnutzung: Tierwohlanlage ohne zusätzliche Kosten
In Rathenow gibt es keine nachgeführten Module, aber Agri-PV-Anlagen mit unterschiedlich hohen Ständerwerken, je nach angestrebter Doppelnutzung. Allen Anlagen gleich ist der Einsatz bifazialer Glas-Glas-Module. Die Doppelverglasung bzw. der Verzicht auf Folien macht sie deutlich resistenter gegen mechanische Beschädigungen und Winddruck sowie Ammoniak aus der Tierhaltung oder Salzsprühnebel in Küstennähe.
Die Paneele sind nach Süden ausgerichtet und mit einem Gefälle vom 15° installiert, um die Selbstreinigung zu garantieren. Entscheidend aber ist ihre hohe Transparenz von 15 %, die, zusammen mit dem seitlichen Streulicht, über 80 % des Lichtvolumens unbedeckter Flächen zum Bodenbewuchs durchlässt. Des Weiteren schützen sie den Bewuchs unter sich vor Hagel, Starkregen und zu starker Sonneneinstrahlung.
Agri-PV Module schützen vor Hitze und Trockenheit
Da die Wetterextreme bei uns zunehmen, wird es immer wichtiger, die Böden vor Austrocknung und Erosion zu schützen. Das Regenwasser, das auf die Module trifft, wird mithilfe einer Querverteilung gleichmäßig unter den Modulen verteilt. Im Zusammenspiel mit der niedrigeren Verdunstung hilft das dem Bewuchs, sich auch in heißen Sommern zu behaupten. „So können wir auch dazu beitragen, dass möglichst viel CO2 durch die Rückvernässung unter den Anlagen im Boden bleibt“, nennt Peter Schrum einen weiteren positiven Effekt seiner Konstruktion.
Aber nicht nur Pflanzen, Insekten und Klima könnten von der Teilbeschattung profitieren, ergänzt er. „Wir haben hier auch eine Tierwohlanlage, die den Landwirt nichts zusätzlich kostet. Wo gibt‘s das schon?“ Um zu zeigen, dass das für verschieden Nutztiere zutrifft, sind die Sonnenlichtsammler in Rathenow auf unterschiedlich hohen, korrosionsgeschützten Ständerwerken angebracht.
Die Variante „Öko-Solar“ ist zwischen 1,2 und 2,6 m hoch. Weidezaunlitzen sorgen dafür, dass bei einer Mutterkuhherde nur die Kälber darunter Platz finden und sich die ausgewachsenen Tiere nicht an den Modulen schubbern.
Die Variante „Agri-Solar“ ist vorn zwischen 1,5 bis 2,1 m und hinten zwischen 2,9 und 3,6 m hoch. Schlitzlöcher in den Ständern und ein cleveres Baukastenprinzip machen dieses System äußerst variabel. Die Standfüße werden übrigens je nach Beschaffenheit des Untergrundes circa 0,8 bis 1 m tief in den Boden gerammt.
Betonfundamente o. ä. sind nicht notwendig. Das macht den Auf- wie den Rückbau deutlich einfacher. Da die Anlagen der DIN SPEC 91434 entsprechen, sind mit ihnen Angebote für Agri-PV-Projekte bei der EEG-Innovationsausschreibung möglich.
Sommerpaket muss den Weg freimachen
Die technischen Lösungen für die Doppelnutzung von Agrarflächen sind also gegeben. Jetzt müssen allerdings im anstehenden Sommerpaket noch die Förderrichtlinien angepasst werden, damit für Agri-PV-Anlagen die Flächenprämie erhalten bleibt. Das scheint auch schon bis zu den drei grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt vorgedrungen zu sein.
Bereits im Februar verabschiedeten BMWK, BMUV und BMEL das Eckpunktepapier „Ausbau der Photovoltaik auf Freiflächen im Einklang mit landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz“. Darin heißt es: „Die Förderung mit GAP-Mitteln ist weiterhin möglich, sofern die landwirtschaftliche Nutzung nur bis zu 15 Prozent durch die Stromerzeugung beeinträchtigt ist.“ Zudem forderten sie die Flächenkulisse der benachteiligten Gebiete zu erweitern.
Moorböden nutzen?
Neben Konversionsflächen und Seitenrandstreifen sollen künftig auch landwirtschaftlich genutzte Moorböden als neue Flächenkategorie aufgenommen werden. Voraussetzung für deren Förderung wäre aber die Wiedervernässung der Böden. Aber auch dann werden die Bundesländer die Flächen wie bislang im Rahmen der Länderöffnungsklausel für die Nutzung von PV-Freiflächenanlagen freigeben.
In Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebieten oder kleinräumigen Schutzarealen werden es wohl auch Agri-PV-Anlagen schwer haben. Aber dort, wo es passt wie bei Kneeses, da wäre eine Agri-PV-Anlage schon eine feine Sache.