Fleckviehzucht: Im Kinderwagen vorm Kuhstall
Rinder prägten den Altmärker Ingo Dettmann aus Eichstedt von klein auf. Heute bewirtschaftet er mit viel Leidenschaft einen Fleckviehzuchtbetrieb im Nebenerwerb. Der Hof besteht bald 30 Jahre.
Von Sabrina Gorges
Es ist der 1. Mai 1991. Drei Fleckvieh-Mutterkühe ziehen auf einen alten Vierseitenhof in Eichstedt in der Altmark (Sachsen-Anhalt) ein. Sie bilden den Grundstock für bis in die Gegenwart reichende Zuchterfolge. Erfolge, die früher Ingo Dettmanns Vater gefeiert hat und die heute von Ingo Dettmann selbst errungen werden, etwa bei regionalen und überregionalen Tierschauen. Der 50-Jährige sitzt an einem Spätherbstnachmittag vor seiner Tasse Kaffee und weiß nicht so recht, wo er mit dem Erzählen anfangen soll. „Das habe ich ja noch nie gemacht“, sagt er schmunzelnd. „Was erzählt man da so alles?“ Doch lange Pausen entstehen nicht – im Gegenteil.
die Familie zieht mit
Ingo Dettmann hat viel zu sagen. Was ihm sofort über die Lippen kommt, ist die in Worte gefasste Liebe zu seinen Tieren. „Jedes hat seinen Charakter, seine Geschichte. Wenn ich draußen bei den Kühen bin, kann ich komplett runterfahren. Egal, wie stressig der Tag war. Man kennt die ja alle ganz genau“, erzählt er.
Dettmann bewirtschaftet seinen Zuchtbetrieb mit aktuell 18 Herdbuchkühen der Rasse Fleckvieh-Simmental plus Nachzucht im Nebenerwerb. Auch eine kleine Herde SchwarzkopfSchafe – aktuell zwölf Muttertiere und ein Bock – gehören dazu.
Sohn Philipp (21), ein groß gewachsener junger Mann, packt mit an. Und auch Ehefrau Doreen, mit der er seit 2010 verheiratet ist, sowie Enkel Finlay-Elias (7), den die Dettmanns großziehen. Alle wohnen gemeinsam auf dem elterlichen Hof im Ortskern von Eichstedt im Landkreis Stendal. Jener Hofstelle, auf der vor fast 30 Jahren alles angefangen hat. „Ich war mein ganzes Leben hier“, sagt Dettmann. „Meine Eltern waren beide Melker. Ich habe schon im Kinderwagen vorm Kuhstall gestanden.“ Er muss lachen und hebt dann den Zeigefinger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Als Sechsjähriger konnte ich melken.“
Dettmann wird zum Schmied und Schlosser ausgebildet und arbeitet bis kurz nach der Wende in einer DDR-typischen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in Flessau. 1992 fängt er bei einem landwirtschaftlichen Lohnunternehmen in Rochau an und bleibt dort 19 Jahre. „Ich war Maschinenführer, also als Fahrer und in der Werkstatt eingesetzt. Ich habe viel gelernt.“ 1999 kommt Philipp zur Welt und der Gesundheitszustand seiner Eltern verschlechtert sich. Sie verlieren den Kampf und hinterlassen Ingo Dettmann nicht nur einen Hof und dazugehöriges Land, sondern auch die kleine Fleckviehzucht. Heute gehören zum Dettmannschen Betrieb gut 30 Hektar Land, davon etwa ein Drittel Grünland. „Auf den restlichen 20 Hektar baue ich Futter an, hauptsächlich Luzerne und Feldgras“, sagt Dettmann, der seit 2011 beim Landwirtschaftsbetrieb Ostfriesen GbR in HohenbergKrusemark angestellt ist. Zählt man alle Tiere zusammen, sind es im Schnitt etwa 45, die der 50-Jährige und seine Familie tagein, tagaus neben ihrer Arbeit versorgen. Vor allem Philipp, ein ausgebildeter Landwirt, sei eine große Hilfe, betont Ingo Dettmann. „Er ist immer da und springt ein, wenn ich ihn brauche. Und die Präsentation auf den Schauen ist fast ganz allein sein Verdienst.“ Auch über seine Arbeitgeber verliert der herzliche Nebenerwerbslandwirt nur gute Worte: „Sie sind sehr tolerant.“
Fast alle Kühe sind im Betrieb geboren. „80 Prozent über Zucht, der Rest geht als Absetzer weg“, sagt Dettmann kurz und knapp.
Fleckviehzucht der familie Dettmann: Erfolge auf Schauen
In der Zuchtstätte kommen der Herdenbulle und ausgewählte KB-Bullen zum Einsatz. Mit dem befreundeten Züchter Uwe Harstel aus Rohrbeck teilt sich Dettmann auch „Gemeinschaftsbullen“. Besonders stolz ist Dettmann auf die Auszeichnungen, die sein Fleckvieh bei verschiedenen Schauen schon bekommen hat. Zum Beispiel im Jahr 2017, als er mit Karla die Siegerfärse der 25. Fleischrindertage der RinderAllianz in Bismark stellte. Das Siegerfoto zeigt Karla mit Schärpe sowie Vater und Sohn Dettmann ungewohnt schickt mit weißem Hemd und Krawatte. „Karla war damals zwei Jahre alt“, weiß Dettmann genau. Längst ist auch Finlay in die großen Rinderzüchterfußstapfen getreten und bereits als Jungzüchter bei Schauen aktiv und erfolgreich. So geht Generationenfolge.
2021 will Ingo Dettmann das 30-jährige Bestehen seiner Zuchtstätte feiern. Darauf freut er sich, auch wenn sein persönlicher Blick in die Zukunft getrübt ist. „Ich hoffe auf eine Agrarwende für Nebenerwerbslandwirte“, sagt er. „Es wird immer schwerer.“ Doch ihn treibt die Tradition und die Liebe zu den Tieren an. „Wenn das nicht von Herzen kommt, muss man das nicht machen.“