Fünf Gigabyte an jede Milchkanne!
Es gibt kaum eine Branche, in der nicht versucht wird, Ressourcen zu schonen und effizienter oder umweltgerechter zu arbeiten. Das Zauberwort heißt Digitalisierung! Auch in der Milchviehhaltung.
Alle 14 Bundesministerien beschäftigen sich gegenwärtig mit dem Thema Digitalisierung: das Verkehrsministerium bei der Infrastruktur, das Innenministerium arbeitet an der Cybersicherheit, das Wirtschaftsministerium mit digitalen Plattformen oder das Bildungsministerium wünscht in den Schulen mehr digitale Bildung. Dabei wirkt es durchaus so, als sei eine Koordinierung sehr schwierig. Natürlich ist auch die Landwirtschaft geprägt durch diese Entwicklungen. Verschiedene Institutionen haben sich damit auseinandergesetzt und Stellung bezogen.
Dazu gehören zum Beispiel das Bundesministerium für Ernährung und Landwirschaft (BMEL) (2017) mit dem Zukunftsprogramm Digitalpolitik Landwirtschaft, das Thünen-Institut (2016) mit einer Stellungnahme zur Folgenabschätzung der Digitalisierung Landwirtschaft oder die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) (2018) mit einem Positionspapier zu Chancen, Risiken und zur Akzeptanz einer digitalen Landwirtschaft. Überraschen tun in diesem Zusammenhang dagegen Aussagen der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die uns wissen ließ, es gebe beim Ausbau des Mobilfunknetzes keine Eile, und man brauchte 5G nicht an jeder Milchkanne. Glücklicherweise reagierte die Bundeslandwirtschaftsministerin strikt mit der Feststellung, dass an einer vollen 5G-Abdeckung kein Weg vorbeiführe. „Künstliche Intelligenz auf dem Acker und im Stall müssen selbstverständlich sein“, so Klöckner, um ländliche Räume nicht weiter abzuhängen. Milchkannen telefonieren bekannterweise nicht … .
In der Ausbildung zu wenig Digitalkompetenz
Eine Umfrage vom Deutschen Bauernverband/Bitkom 2017/2018 unter 850 Landwirten ergab bei 67 % der Befragten, dass Digitalkompetenz in Zukunft genauso wichtig sein wird wie fachliche oder soziale Kompetenz. Es werden sich Möglichkeiten durch neue Aufgaben, flexible Arbeitsgestaltung, Produktivitätserhöhung, bessere Umweltverträglichkeit und gesteigertes Tierwohl ergeben.
Bei den Landwirten, die jünger als 36 Jahre sind, sehen sogar 84 % Digitalkompetenz als höchst wichtig an. Problematisch in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass 51 % der Befragten sagen, im Rahmen der Ausbildung werde zu wenig Digitalkompetenz vermittelt.
100 bis 200 Dollar pro Kuh und Laktation dazu
Technische Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten erleichterten die Arbeit in der Landwirtschaft ungemein. Gleichzeitig erhöhte sich die Effektivität, die sich auch darin ausdrückt, dass 1949 ein Landwirt zehn Menschen in Deutschland ernährte und es heute 145 Personen sind.
Das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Ammoniak, die Motorisierung durch Lanz Bulldog, die Mähdrescherentwicklung durch die Gebrüder Claas, erste Maschinenbanken, der Ladewagen, Rohrmelkanlagen, Melkroboter, nutzbare Fernerkundungsdaten oder Precision Farming sind Schlagworte auf dieser Wegstrecke vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute.
Im Rahmen der Internationalen Grünen Woche 2019 ist auf der 11. Internationalen Berliner Agrarministerkonferenz formuliert worden, dass Digitalisierung digitale Technologien, digitale Innovationen, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie künstliche Intelligenz umfasst. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Potenziale der Digitalisierung prioritär zu erkennen und zu nutzen seien. Großunternehmen wie Cargill oder DuPont investieren in dieser Branche durch die Etablierung von Start-ups, um zum Beispiel ein Monitoring von Gesundheit und Wohlbefinden bei Nutztieren zu ermöglichen. Dazu werden bildliche Darstellungen oder Nutzeralgorithmen genutzt, die zu Handlungsanweisungen entwickelt werden. Geschätzter Nutzen: 100 bis 200 $ pro Kuh und Laktation. Schon bald werden Notebook oder Exceltabelle nicht mehr ausreichen, sondern es wird ein Datenbank-Farmmanagement-Element im Betrieb benötigt.
Nudeln entstehen nicht im 3-D-Drucker
Problem bei dieser ganzen Entwicklung: So schwer es jetzt schon fällt zu erklären, wie zeitgemäße Landwirtschaft funktioniert, und je kritischer der Blick auf heutige Landwirtschaft fällt, desto wichtiger wird es zu verdeutlichen, dass die technische Entwicklung auch bei der Erzeugung von Lebensmitteln nicht haltmachen wird. Realistische Darstellungen der modernen Landwirtschaft schon in Schulbüchern oder eine Erklärung, dass Nudeln nicht im 3-D-Drucker entstehen, wären erste Ansätze. Das verklärte Bild von saftigen Wiesen, der Butterblume im Kuhmaul und der Forke bei der Heuernte hat nichts damit zu tun, was heute Bestandteil der agrarischen Ausbildung ist oder ein reelles Berufsbild junger Studierender.
Was ist Landwirtschaft 4.0? Precision Farming, Automatisierung und Robotik sowie Fernerkundung sind einzeln betrachtet eher Komponenten von Landwirtschaft 3.0. Eine Vernetzung dieser Technologien auf der Datenebene führt zu Landwirtschaft 4.0. In Tabelle 1 sind einige Technologien dazu aufgeführt.
Big Data braucht klare Regeln
Was schnell deutlich wird, ist, dass die satellitengestützte Erhebung und Auswertung digitaler Daten ein großes Potenzial für technische und agronomische Innovationen in der Landwirtschaft bieten. Aber: Big Data braucht klare Regeln. Das Problem ist der eventuelle Missbrauch durch Dritte. Der Staat hat hier eine aktive Rolle bei der Entwicklung von Plattformen, Schnittstellen und bei der Regelung der Datennutzung zu übernehmen. In Rheinland-Pfalz wird zurzeit mit einer länderübergreifenden Initiative am Konzept einer GeoBox gearbeitet. Diese soll mehr Sicherheit durch eine dezentrale Datenhaltung und regionale Vernetzung bieten. Die zentrale Datenhaltung in einer Cloud offenbart gravierende Risiken, unter anderem hinsichtlich der Ausfallsicherheit der landwirtschaftlichen Primärproduktion. Dabei ist der Landwirt über das Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz eigentlich zu dieser Aufgabe verpflichtet.
Wie bereits erwähnt, wird gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal zur Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung benötigt. Aber werden Bildung und Beratung dieser Aufgabe gerecht? Technische Infrastruktur in Schulen, Weiterbildungseinrichtungen und im öffentlichen Dienst oder eine flächendeckende Fortbildung der Lehrkräfte sind oftmals nicht gegeben. Digitale Lernplattformen müssen entwickelt und die Förderung von Betrieben und Unternehmen im Digitalisierungsprozess angepasst werden.
Dies alles wird in einer rasanten Geschwindigkeit vollzogen werden müssen. Allein durch die enorme Reduktion der Kosten der Technik wird sich die Einführung beschleunigen (Tab. 2).
Bei der Digitalisierung von Ställen für Nutztiere gibt es große Unterschiede zwischen den Tierarten und den Haltungsabschnitten. Während bei der Schweine- und Geflügelhaltung eher die Bestandsführung und Gebäudetechnik im Fokus stehen, hat die Milchviehhaltung bei der Sensorentwicklung und bei einzeltierbezogenen Assistenzsystemen zur Entscheidungsunterstützung eine Vorreiterrolle eingenommen.
Geringe Kosten machen Sensoren und Roboter in der Milchviehhaltung erschwinglich. Überwachungskameras für Stallungen oder die Geburtsüberwachung des einzelnen Tieres seien beispielhaft genannt. Biosensoren können mittlerweile eine Vielzahl von biologischen Kennwerten erfassen und auswerten, wie Körpertemperatur, Blutdruck, Pulsschlag oder Bewegungsaktivität.
Der Vorteil liegt in einer laufenden und tagaktuellen Erfassung und damit in einer Erleichterung der menschlichen Beobachtungsaufgabe. Große Datenmengen und daraus abgeleitete neue Merkmale verbessern den Gesundheitsstatus unserer Herden und damit das Tierwohl, weil Früherkennung und schnelle Handlungsempfehlungen möglich werden.
Merkmale müssen standardisiert werden
Sind all diese Daten auch in der Tierzucht nutzbar? Das Potential ist sicher hoch, aber die Vielzahl der mittels Sensoren erfassten Merkmale zu standardisieren ist nicht einfach. Daten sind unzureichend vernetzt, eine internationale Vereinheitlichung ist notwendig. Aber das Beispiel der Einführung der genomischen Selektion seit 2010 in der Milchrindzucht zeigt, dass riesige Informationsmengen effizient zur Verbesserung ansonsten schwierig zu beeinflussender funktionaler Merkmale beitragen können. Denn diese Zuchtwerte gelten für reale Produktionsbedingungen.
Gelungene Beispiele für die praktische Nutzung von Daten im Precision Dairy Farming sind die individuelle Fütterung, die reguläre Milchkontrolle, die Pedometrie, die Milchleitfähigkeit, eine automatische Brunsterkennung, die Erfassung von Körpermasse oder Temperatur. Zukünftig werden sich Möglichkeiten bei der Erfassung des Liegeverhaltens, des Pansen-pH-Werts, der Herzfrequenz, der Positionsbestimmung, beim Fütterungsverhalten, der Atemfrequenz oder im Bewegungsverhalten ergeben. Letztlich ist der gesamte Bereich interdisziplinär zu beurteilen, denn Informatiker, Biostatistiker, Ethologen, Ökonomen, Züchter, Ernährer, Technologen und Prozesssteuerer sitzen in einem Boot.
von Dr. Peter Sanftleben, Direktor der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern
Lohnt sich der Aufwand? Es gibt klare Aussagen aus dem Bereich der Wissenschaft, die belegen, dass für den Milchrindhalter ein Nutzen von 50 bis 75 $ je Kuh im Bereich der Fruchtbarkeit erreicht wird und im Bereich der Gesundheit von 70 bis 90 $ je Tier. Darüber hinaus vereinfacht sich nicht in Geld messbar das Management. In nicht einmal zwei Jahren hat sich die Investition rentiert. Dieser Weg wird sich nicht aufhalten lassen und Bestandteil moderner und zeitgemäßer Nutztierhaltung sein.
Die drei W
Die Bauernzeitung sprach mit Prof. Dr. Olaf Steinhöfel, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, über die gegenwärtige Futtersituation auf den Milchviehbetrieben. Dabei erklärte er auch, was es mit den „drei W“ auf sich hat. Das Video entstand während der Landwirtschaftsausstellung agra in Leipzig, auf der auch die Bauernzeitung mit einem eigenen Stand vertreten war.
vom BKA