Landwirtschaft in Berlin: Gemüse aus dem Großstadtdschungel
Das deutsch-chinesische Ehepaar Ralf und Rongrong Szydlewski baut in einem Gewächshaus auf 1.400 Quadratmetern 15 Sorten asiatische Gemüse und Kräuter an, und hebelt mit ihrer Landwirtschaft in Berlin Importe aus.
Von Jutta Heise (Text und Fotos)
Dies ist ein Erweckungserlebnis für alle, die „Asiatisch“ nur mit Schweinefleisch, kross, süß-sauer verbinden: Teste dich durch 15 Sorten Gemüse und Kräuter aus Fernost, und deine Zunge jubelt bei jedem Tasting. Es erschließen sich unbekannte Welten. Jedes Gemüse, jedes Kräutlein hat einen unverwechselbaren Eigengeschmack, bringt quasi die Würze von selber mit, noch mal welche draufhauen – Sünde pur!
Alle sind Grundzutaten in der asiatischen Küche, mit einem gewissen Fokus auf Sorten, die in Rongrongs Heimat China verbreitet sind. Das Ehepaar Szydlewski hat sein Start-up vor eineinhalb Jahren am südlichen Stadtrand von Berlin gegründet.
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Landwirtschaft in Berlin: Exotisches Gemüse aus dem Gewächshaus
Rongrong, die seit acht Jahren in Deutschland lebt, war frustriert vom Angebot an asiatischem Gemüse hierzulande: „Die Varietät ist klein, die Qualität der Importe, die meist wenig nachhaltig per Flugzeug zu uns gelangen, untere Liga.“ „In Asien ist die Auswahl gigantisch“, ergänzt Ralf. Und kann nicht nachvollziehen, dass Europas Gemüseanbau auf nur wenige Sorten reduziert ist. Vermutlich geschah dies im Zuge der „Fleisch ist mein Gemüse“ Mentalität.
Bevor sich die beiden an das Wagnis trauten, hatten sie hiesige Gemüseanbauer für ihre Idee begeistern wollen. Als niemand ansprang, begannen sie selbst, zunächst zwei Jahre lang den Markt zu beobachten und entdeckten durchaus ernst zu nehmenden Bedarf an den Exotica.
Sie können ein Gewächshaus in Kladow mieten, in dem zuvor jahrzehntelang Blumen gediehen, und starten zunächst mit sechs Sorten Gemüse, das sie unter dem Label Fresh Tasia vermarkten. Hauptzielgruppe ist der Fine-Dining-Bereich. Doch der Absatz an die gehobene Küche brach in der Coronakrise ein, hat sich noch immer nicht erholt. Als Folge der Pandemie ist auch Ralfs Traum erst mal auf Eis gelegt, in einem Teil der Gewächshausanlage ein kleines Restaurant zu eröffnen, mit Schlangengurkenspalieren, die sich bis zu sechs Metern hoch strecken können, als Raumteiler, mit freiem Blick in den Sternenhimmel.
Doch die Krise birgt auch einen Ansatz zu Neuem. So hat Rongrong nun in ziemlich kurzer Zeit deutschlandweit über 800 private Kunden werben können, mehrheitlich aus der chinesischen Community. Sie werden wöchentlich, teils in Kooperation mit Ladengeschäften, per Post beliefert.
Beinahe militärisch ausgerichtet, stehen Reihen mit Schlangen- und Schwammgurke dicht an dich, hängt die Bittermelone in dickichtgleichem Laub, niedriger gruppiert sind Speisechrysantheme, Shiso und Pilzkraut, Zitronentagetes und Vietnamesischer Koriander. An einer Seite lässt sich der Wasserspinat im warmen Becken, beheizt von einer Vegetationsheizung, „die Füße kraulen“. Normalerweise werden solche Pflanzen auf Tischen mit einem Ebbe-Flut-Rinnensystem kultiviert, das war für das Start-up zu teuer! Doch die vermeintliche Notlösung funktioniert gut.
Das optimale Klima fürs Prachtgedeihen: Im Gewächshaus herrschen 23 Grad Raumtemperatur, 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die Samen kommen per Post aus China und Japan. Jede importierte Charge muss neu zertifiziert werden, was sich auf den Preis des Endproduktes niederschlägt. Ein Kilo Schlangenbohnen beispielsweise kostet um die 18 Euro. Alle Pflanzen, mit Ausnahme des Wasserspinats, stehen in Kokospacks unter Nährlösung-Tröpfchenbewässerung. Anfangs waren die Blattläuse, die sich in dem feuchtwarmen Gewächshausklima besonders wohl fühlen, ein Problem, das man durch manuelles Absammeln lösen musste. Inzwischen setzt man auf Nützlinge wie Raubmilben, Hummeln, australische Maikäfer.
Landwirtschaft in Berlin: Abgelehnte Förderanträge der Szydlewskis
Dennoch, Gewächshauswirtschaft, wie sie hier betrieben wird, ist energetisch nicht zeitgemäß. Ralf dazu: „Dessen sind wir uns bewusst. An diesem Standort arbeiten wir mit Stadtgas, die Deckenhöhe der Gewächshäuser ist mit 2,30 m zu niedrig, üblich sind sechs Meter, das macht auch die Beleuchtung uneffizient. Wir haben schon viel privates Geld in unser Unternehmen gesteckt. An diesem Standort noch mehr zu investieren, wäre problematisch. Wir haben zwar die Anlage auf fünf Jahre gemietet mit der Option auf Verlängerung. Aber hier etwa ein Blockheizkraftwerk zu bauen, wäre für nicht zielführend.“
Ihren Förderantrag hat der Berliner Senat trotz Einspruchs abgelehnt. Man sehe wohl eher die IT-Branche anstatt die Landwirtschaft in Berlin im Fokus, vermutet Ralf. „Brandenburg hätte Start-ups wie uns mit 80.000 Euro Rückenwind gegeben.“ Dort habe man nun eine Option auf 1,2 ha Nutzfläche.
In zwei, drei Jahren will man umziehen. „Auf jeden Fall werden wir am neuen Standort ein Blockheizkraftwerk, eine moderne Isolierung und LED-Beleuchtungstechnik installieren.“ Die Zeit bis zum Wechsel will man nutzen, um mehr Erfahrung zu sammeln, Man- und Woman-Power in Aufzucht und Ernte zu stecken, die mal automatisch erfolgen sollen, auch in die Vermarktung.
„Wir müssen die Mengen stabil machen und weiter dazulernen.“ Um die Produktion noch effektiver zu gestalten (schon wird ganzjährig geerntet), den Umfang von derzeit 50 kg wöchentlich deutlich zu steigern und die energetische Sanierung voranzutreiben, läuft eine Crowd-Investing-Kampagne.
Asiatisches Gemüse und Tipps zur Zubereitung
Rongrong gibt gern Tipps zu Zubereitung und den gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen der Gemüse und Kräuter, etwa dass Bittermelone den Blutzucker senkt. Zugleich laufen die Arbeiten für ein Video-Rezept-Portal, in das 60 Videos eingestellt werden. Ralf resümiert: „Wir sind ein super Team. Ich kenne mich technisch aus, bin im Marketingbereich recht fit, habe mich in das Metier reingearbeitet. Ohne Rongrongs kulturellen Background, ihr Wissen um die Pflanzen, den Anbau, ihre Wirkungsweise wäre ich aber schnell gescheitert.“
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