Kultur und Beeren: Von der Gärtnerei zum Dritten Ort
Zuerst sollte es nur ein Ausgleich zum stressigen Arbeitsleben sein. Im Landkreis Oberhavel hat Jan-Gerd Kühling seinen Traum vom Landleben verwirklicht, das Grundstück einer ehemaligen Gärtnerei gekauft. Zum Beerenanbau gibt es hier reichlich Kulturangebote. Der etwas andere landwirtschaftliche Nebenerwerb ist auch ein bisschen Aussteiger-Story.
Von Silvia Passow
Ständig um den Globus jetten, das Flugzeug als zweites Zuhause: Für manche ist das ein Traum, der irgendwann ausgeträumt ist. Jan-Gerd Kühling reiste als Umweltingenieur in der Entwicklungshilfe durch die Welt. Ein aufregendes Leben – bis der Wunsch nach einem Ort der Ruhe, nach Bodenständigkeit immer dringlicher für ihn wurde. Das Luch, der Blick darf hier schweifen, ohne auf ein Hindernis zu treffen, das faszinierte ihn, sagt er.
2011 kaufte Kühling das Grundstück einer ehemaligen Gärtnerei bei Kremmen im brandenburgischen Landkreis Oberhavel. Direkt am Kanal gelegen, erzählt er, stand hier früher einmal das Häuschen des Brückenwärters, danach eine Ziegelei. Deren Überbleibsel bemerkt er noch heute: Dort, wo deren Reste im Boden liegen, wächst alles deutlich langsamer.
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Jan-Gerd Kühling: Alles braucht seine Zeit
Kühling wird 1971 im niedersächsischen Vechta geboren. Auch dort sind Moore landschaftsprägend, so wie im Luch, er fühlt sich schnell heimisch. Der Großvater war Obstbauer, der Vater stieg auf konventionelle Tierhaltung um. Das ist schon eine Weile her, erzählt Kühling, inzwischen werde der landwirtschaftliche Betrieb der Familie nachhaltig beackert.
Kühling selbst bewirtschaftet vier Hektar Land, dazu kommen zehn Hektar nachhaltig beforsteter Wald. Doch bevor er aus der ehemaligen Gärtnerei einen Ort der Kultur, der Erholung und des Landlebens nach Bullerbü-Art werden ließ, verging etwas Zeit. Denn noch konnte er sich dem Grundstück nur widmen, wenn es der Job zuließ, er nicht gerade im Ausland war. Das änderte sich, als er die Firma verkaufte. Nun zog er mit Sack und Pack aufs Land.
Zunächst schaffte er sich Tiere an: Kaninchen, Hühner, Hauptsache pflegeleicht, sagt er. Es kamen Laufenten, Puten, Gänse, Kamerunschafe hinzu. Die Hühnereier werden verkauft, Puten, Gänse, Kaninchen geschlachtet. „Bis dahin sollen sie ein schönes Leben haben“, so Kühling.
Ein Stück weiter, hinter dem Zaun, stehen gemütliche Sitzgruppen im Gras. Sogar Liegen mit Baldachin laden zum Verweilen ein – mit Blick auf die Wiese und grasende Schafe. Dazwischen picken die Hühner mit Ruhe und Bedacht im satten Grün. Alles hier ist auf Erholung und Relaxen eingestellt.
Der Cafébetrieb auf dem Hof ist inzwischen Kühlings Haupterwerb. Hier gibt es die aus Beeren hergestellten Leckereien, besonders die „geistreichen“, in rund zwanzig Sorten. Dazu Kuchen und Kaffeespezialitäten. Und Kultur. „Keine zweite Liga, die Qualität soll sich nicht von der für die Stadt unterscheiden“, betont er und fügt hinzu: „Die Veranstaltungen sollen aber für die Leute vom Land sein.“ Im Programm für 2023 stehen Namen wie Horst Evers, Dr. Pop und Chinese Young Dogs.
Dritter Ort – Ein Ort der Begegnung
Einen „Dritten Ort“ nennt Kühling das und erklärt die Bezeichnung auch gleich. Erster Ort ist das Zuhause, gefolgt vom Arbeitsplatz. Der „Dritte Ort“ wird zum Entspannen in Gesellschaft; das können Bekannte und Freunde sein oder Menschen, denen man hier zum ersten Mal begegnet. „Früher“, sagt Kühling, „waren das die Dorfkneipen.“ Es ist so eine Sache mit den Kneipen, man sollte sie auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten setzen. Es gibt sie immer seltener.
Kühling wollte dem Mangel an einer gemütlichen Stelle für den Dorftratsch bei gekühlten Erwachsenengetränken begegnen. Dazu die Kultur, und die Kleinsten kommen auch nicht zu kurz. Sie können auf dem Gelände toben und spielen. Kultur & Beeren hat er seinen „Dritten Ort“ genannt.
Vom kleinen Café, das das Herz jedes Berliners mit Wohnsitz im Prenzlauer Berg höher schlagen lässt, führt ein Rundweg hinüber zum Beerengarten. Schade, kaum Erdbeeren dabei. Dafür Klassiker wie Heidel-, Stachel-, Aronia- und Johannisbeeren. Und dazu viel Seltenes, alte Sorten, Exotisches. Taybeeren zum Beispiel erinnern optisch an Himbeeren. Der Blick trügt nicht, eine Kreuzung aus Himbeeren und Brombeeren, benannt nach dem schottischen Fluss Tay. Maulbeeren sind auch dabei und Josta-Beeren, eine Kreuzung aus Schwarzer Johannisbeere und Stachelbeere. Die zu den Rosengewächsen gehörende Japanische Weinbeere wächst hier nicht weit entfernt von Steinquitte und Korallen-Ölweide, aus deren süßsauren Früchten sich schmackhafte Marmeladen und Gelees zubereiten lassen.
Verkauf im Hofladen
Die Produkte verkauft Kühling im Hofladen. Der wird gerade neu gebaut. Was gar nicht immer so einfach ist, erzählt Kühling und auch, dass er schon mal zweieinhalb Jahre auf die Genehmigung eines Bauantrages gewartet hat. Er musste Nachweise bringen, dass das Gelände bereits zuvor bebaut war, weshalb er jetzt die Geschichte des Areals gut kennt. Außerdem ist die Nähe zum Wasser für Bauvorhaben mit deutlich mehr behördlichem Aufwand verbunden, berichtet er.
Vom Beerengarten führt der Rundweg zurück, vorbei am Gemüsegarten. Kräuter und Gemüse für die Speisen im Cafébetrieb baut Kühling selbst an. Ein Stück weiter hoppeln Kaninchen übers Gras, dahinter befindet sich der Hofladen, wo Kühling seine Schätze aus dem Beerenanbau verkauft.
Nach dem Erlös aus dem landwirtschaftlichen Nebenerwerb gefragt, winkt er ab. „Das trägt sich selbst“, erklärt er. Seinen Arbeitskräften zahle er Mindestlohn und er selbst? „Das Leben hat es gut mit mir gemeint“, sagt Kühling.
So wie mit Justine, die wir zum Schluss besuchen. Eigentlich sollte sie letzte Weihnachten als Braten im Ofen landen. Doch der Käufer brachte es nicht fertig, der Gans den Garaus machen zu lassen. Er bat Kühling, sie doch wieder aufzunehmen. Hat er! Nun ist die sehr selbstbewusste Justine Chefin über eine Gänseschar. Das Leben kann es gut meinen, Justine schnattert munter, Jan-Gerd Kühling lässt den Blick über die Wiesen schweifen und lächelt das zufriedene Lächeln eines Menschen, der angekommen ist.
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