Alpakas in Serwest: Tolerante Charakterköpfe
In Serwest im Nordosten Brandenburgs hält Ulrike Nüske Alpakas. Sie fährt mit ihnen in Kindergärten und Altenheime, bringt sie mit der Schermaschine in Form, schneidet Klauen und Zähne – und alles neben Arbeit und Familie.
Als die Kinder der Nüskes im Kindergarten gefragt wurden, welche Tiere auf einen Bauernhof gehören, antworteten sie, ohne zu zögern: „Alpakas und Kängurus“ – für sie das Normalste von der Welt. Ihre Welt ist Serwest, ein 400-Seelen-Ort im Nordosten Brandenburgs auf halbem Weg zwischen Eberswalde und Schwedt, ganz in der Nähe des Zisterzienserklosters Chorin. Touristisch gut erschlossen – wenn nicht gerade Corona ist und Hofführungen auf die Mitglieder einer Familie beschränkt sind.
Bei unserem Hofbesuch am letzten Märzfreitag treffen wir in Serwest zunächst auf drei schwanzwedelnde Hunde als Empfangskomitee. Die Alpakas in Serwest stehen hinter der Scheune auf zwei Koppeln, Hengste und Stuten getrennt, aber in Sichtweite. Ulrike Nüske steht bei „ihren Jungs“ und erzählt. Die Tiere schauen mit ihren großen Augen zu, klimpern mit den Wimpern und scheinen alles zu verstehen. Echte Herzensbrecher! Kein Wunder, dass Depressive sich ihnen zuwenden, Verstummte mit ihnen reden wollen, sich Kinder ihnen an den langen Hals werfen.
Hengste im Fahrstuhl
Seit 2015 hält Ulrike Nüske auf dem Hof in Serwest Alpakas. Erst vier, dann acht, jetzt sind es elf: fünf Hengste, fünf Stuten und ein Hengstfohlen. „Gearbeitet wird nur mit den Männern“, sagt Ulrike und meint damit das Training der Tiere: am Halfter laufen, in den Transporter steigen, Fahrstuhl fahren, damit sie im Altenheim auch Bettlägrige im Obergeschoss erreichen kann und vor allem das mitunter seltsame Verhalten der Zweibeiner großzügig tolerieren.
„Jedes Tier hat einen eigenen Charakter“, sagt Ulrike Nüske, kennt sie und weiß, welchem Tier was zuzutrauen ist: Jago, der große Weiße, ist unheimlich geduldig. Man könnte ihn sogar mit kleinen Kindern allein lassen. Er nimmt es hin, dass sie sich ihm an den Hals hängen, obwohl Alpakas das nicht mögen. Und er läuft nicht weg, selbst wenn seinem Führer die Leine runterfällt. Chico würde sich erschrecken und vielleicht weglaufen, und Hugo muss sich überhaupt erst wieder an Menschen gewöhnen.
So ähnlich wie das Fundtier, das im Sommer 2020 über das Tierheim auf den Serwester Alpakahof kam. Es war physisch und psychisch verwahrlost, sein Besitzer offenbar überfordert. Anderthalb Zentimeter Zahnüberstand und eine verfilzte Wollmatte hatte sie aufarbeiten müssen, erinnert sich Ulrike Nüske.
Den Umgang mit Tieren, besonders das Training, hat die 35-Jährige in ihrer Ausbildung zur Zootierpflegerin im Zoo von Hannover gelernt. Die Schur der Alpakas hat sie später gelernt. Mit Maschine, Schertisch und Unterstützung ihres Mannes brauche sie für ein Tier etwa eine Stunde, erzählt sie.
Die Alpakaflüsterin von Serwest
Ihr Schertalent spricht sich rum: Im vergangenen Jahr haben 17 zusätzliche Alpakaschuren die fehlenden Einnahmen wegen geschlossener öffentlicher Einrichtungen wenigstens ein wenig kompensiert. Denn bei aller Liebe zu den Tieren geht es auch darum, die Kosten der Tierhaltung auszugleichen. Mittlerweile berät Ulrike Nüske andere Halter in Haltungsfragen. Sie hat einen guten Draht zu den Tieren, nicht nur den eigenen: überredet Fohlen, die nicht trinken wollen, es doch zu tun, und hat das eine oder andere Hausmittel ausprobiert und ihre Erfahrungen mit Kohletabletten bei Durchfall oder Wadenwickeln bei Fieber weitergegeben. Ihr Mann nennt sie schon liebevoll seine Alpakaflüsterin.
Mirko Nüske ist auf einem Hof in Brodowin aufgewachsen. Der Vater arbeitete im Feldbau, die Mutter im Rinderstall. Er sei quasi auf dem Trecker groß geworden, erzählt er. Heute kümmert er sich um den Futteranbau auf den vier Hektar des Vaters und um die Koppeln in Serwest. Gerne würde er seinen Kindern die Landwirtschaft attraktiv machen, damit mal einer den Hof weiterführt. Aber die Verbotspolitik auf Bundesebene mache das Einfache kompliziert und stelle das Traditionelle infrage. Darum engagiert sich Mirko Nüske bei „Land schafft Verbindung“, war bei Demos und Mahnwachen in Berlin dabei und hofft, dass die Entscheidungsträger doch noch vernünftig werden.
Was seiner Frau die Alpakas, ist ihm Mine, das Känguru. Bevor Mines Partner im Januar an Altersschwäche starb, hinterließ er noch einen Nachkommen. Und als wir da stehen und reden, verlässt der Kängurunachwuchs zum ersten Mal den Beutel seiner Mutter. Allerdings nicht lange genug, damit man sein Geschlecht bestimmen könnte, daher heißt das Kleine einstweilen noch Zwerg. Das Känguru bei einer Hofführung mit Knäckebrot aus der Hand zu füttern, ist für die Besucher immer etwas Besonderes. Allerdings muss man sich vorsichtig nähern: Kängurus sind stressanfällig. Und teuer im Unterhalt: Gemüse fressen sie, keine Kartoffeln, keinen Kohl, dafür Paprika und Blattgemüse. Apropos: Kaninchen gibt es auf dem Hof auch noch. Und Hühner. Denen allerdings wurde wegen der Vogelgrippe vom Landkreis Barnim eine Stallpflicht verordnet.
Alpakahof: Nicht davon leben können
Doch zurück zu den Alpakas in Serwest. So umtriebig die führigen Hengste, so menschenscheu die Stuten: 50 Wochen Tragezeit und eine ausführliche Fohlenpflege reduzieren die Stuten auf ihre Mutterrolle. Von Ulrike Nüske kann man das nicht sagen: Im Haupterwerb arbeitet sie am Empfang in einer Physiotherapie und möchte darauf nicht verzichten. „Zu viele Termine sind für die Alpakas nicht gut“, hat sie festgestellt. Schließlich soll es Freude machen – allen Beteiligten.