Von der Biogasanlage zum Speicherkraftwerk
Neben zusätzlichen Erlösen sollte die Flexibilisierung auch einen ruhigeren Betrieb ermöglichen. Wir haben den Flexspezialisten Christian Dorfner gefragt, wie Betreiber ihre Anlage dafür vorbereiten müssen.
Herr Dorfner, viele Betreiber haben in den vergangenen Jahren ihre Biogasanlagen flexibilisiert. Welche Aspekte bringt das neue EEG dazu?
Mit dem EEG 2021 wird Flexibilität für Biogasanlagen vorgeschrieben. Spätestens in der Ausschreibung werden die Anlagen „zwangsflexibilisiert“, da sie nur noch 45 Prozent der installierten Leistung durchschnittlich einspeisen dürfen. Mit dem gleichzeitig eingeführten Qualitätskriterium fordert der Gesetzgeber zudem erstmals auch eine echte flexible Fahrweise, denn zu mindestens 4.000 Viertelstunden eines Jahres müssen 85 Prozent der installierten Anlagenleistung abgerufen werden. Das bedeutet, dass für einen bedeutenden Teil des Jahres die Stromerzeugung deutlich reduziert oder die BHKW unter Nutzung der Speicherkapazitäten im Start-Stopp-Betrieb gefahren werden müssen.
Sind die Biogasanlagen denn auf die 4.000-Viertelstunden-Regel vorbereitet?
Anlagen, die die Flexibilisierung bereits aktiv vorangetrieben und in zusätzliche BHKW, Biogas- und Wärmepufferspeicher investiert haben, blicken diesem Qualitätskriterium recht entspannt entgegen. Insbesondere Projekte aus den letzten beiden Jahren weisen eine sehr konsequente Umsetzung der Flexibilisierung auf.
Wurde früher oft nur ein ähnlich großes BHKW zusätzlich installiert, haben neuere Projekte eher eine vier- und fünffache Bebauung realisiert. Es wurden Gasspeicher mit einer Einspeicherungskapazität von zwei und mehr Tagen verbaut und vor allem wurde die Wärme folgerichtig ebenfalls flexibilisiert. Denn die Wärme ist oftmals der entscheidende Baustein. Dies gilt für die Gesamtwirtschaftlichkeit der Anlage genauso wie für das Flexibilisierungsprojekt. Große Wärmepufferspeicher mit einer Kapazität, die deutlich höher als die der Biogasspeicher sind, beruhigen den Betrieb der Anlage. Der Betreiber ist so nicht ständig gezwungen, Gas-, Strom- und Wärmeproduktion sowie die Grenzen der jeweiligen Speicher auszubalancieren.
Was machen dann aber Anlagen, die ihre Wärme nicht flexibilisiert haben?
Die 4.000-Viertelstunden-Regel setzt leider eine solche konsequente Umsetzung in der Ausschreibungsphase voraus. Alle denkbaren Lösungsansätze – von einer starken saisonalen Fahrweise über Dauerläufer bis hin zur idealen fahrplangestützten Start-Stopp-Fahrweise – bedeuten, dass Strom- und Wärmeerzeugung von der Wärmeabnahme entkoppelt werden müssen. Denn nicht der konstante Wärmebedarf, sondern die Preissignale der Strombörse sollen nun die Fahrweise entscheidend vorgeben. Dies ist das maßgebende Prinzip, welches das EEG seit 2014 unter „bedarfsgerechter Stromerzeugung“ zusammenfasst.
Bedeutet das auch neue Investitionen für die Betreiber?
Anlagen, die bisher nur eingeschränkt flexibel fahren konnten, müssen mit dem EEG 2021 bei einer BHKW-Erweiterung ab 2021 oder spätestens nach erfolgreicher Ausschreibung in Phase II ihre erzeugte Strom- und Wärmeleistung ebenso flexibel verschieben können wie die bereits beschriebenen „konsequent flexibilisierten“ Anlagen. Viele müssen dann wohl in Biogasspeicher, Wärmepuffer und Ertüchtigung der Bestands-BHKW investieren.
Welche Kapazität hat denn ein Speicher im Idealfall?
Die bisherigen Erfahrungen zeigen: je größer, desto besser. Bei der Entscheidung sollte immer die nächste Baugröße mit betrachtet und kalkuliert werden. Ein 20 oder 30 Prozent größerer Gasspeicher kostet oftmals nur ein paar Tausend Euro mehr. Noch extremer gilt dies bei Wärmepufferspeichern. Der Mehrpreis bei einer Verdopplung ist erstaunlich gering, je nach Bauart liegt er bei unter zehn Prozent.
Gibt es auch Bedarf bei den BHKW?
Bei den BHKW sind insbesondere die Anforderungen an die Abgasreinhaltung stetig gestiegen. Die älteren von ihnen müssen nachgerüstet werden. Jedoch gibt es auch hier Chancen: Weniger Substrateinsatz mit höheren Wirkungsgraden, Erhöhung der installierten Leistung und damit des Flexzuschlags bis hin zum Absetzen des neuen BHKW zu einem neuen Wärmekunden oder gar die Anmeldung als Neuanlage mit 20 Jahren Laufzeit können die Wirtschaftlichkeit des Standorts wieder erhöhen. Die Betreiber sollten all diese Möglichkeiten bedenken und genau kalkulieren.
Was macht die Flexibilisierung so komplex?
Solche Projekte sind für jeden eine Herausforderung. Die technischen Schnittstellen sind im Laufe der Zeit immer mehr geworden und müssen nun angepasst oder erneuert werden. Vom Einreichen der Genehmigung bis zur Anmeldung im Marktstammdatenregister vergehen gerne zwei Jahre und mehr. Wenn aber dann Speicher aufgerüstet sind und zusätzliche BHKW-Kapazität bereitsteht, muss der Betreiber eben nicht mehr bei jeder Störung alles stehen und liegen lassen, sondern hat Zeit, bis sich Biogasspeicher füllen (oder Wärmpufferspeicher leeren) und zudem kann ein BHKW neu dazugeschaltet werden. Je nachdem, welchem Direktvermarkter oder Dienstleister sich der Betreiber anvertraut hat, erhält er auch von dieser Seite Unterstützung, bis hin zur vollautomatischen Umplanung und Steuerung der gesamten Strom- und Wärmerzeugung.
Es gibt also auch gute Seiten. Und wie beeinflusst die Flexibilität die Vermarktungserlöse?
Die Ausrichtung an den Börsenpreisen ist die Möglichkeit der flexiblen Anlage, den Monatsmarktwert, also den monatlichen Durchschnittswert der Stundenpreise, zu übertreffen.
Je mehr sich die Anlage auf die hohen Preise konzentrieren kann und je länger sie die Leistung bei schlechten Preisen zurücknehmen kann, desto höher sind die Gewinne daraus. Beide Faktoren sind wichtig: Je höher die Überbauung ist, desto mehr erwirtschaftet man bei guten Preisen. Je größer die Speicher sind, desto länger kann man Zeiten schlechter Preise überbrücken.
Was zeichnet einen guten Flexfahrplan aus?
Er sollte:
■ die Speicherstände für Biogas (und Wärme) berücksichtigen,
■ die spezifischen Eigenschaften der BHKW berücksichtigen, wie insbesondere – Wirkungsgrad bei Voll- und Teillast, Startverhalten, Start-Stopp-Kosten, gewünschte Laufzeit, Eigenstromnutzung,
■ sich vollautomatisch und in Echtzeit anpassen, sobald sich Kapazitäten auf der Anlage verändern oder es neue Impulse von der Strombörse gibt,
■ dem Betreiber keine zusätzliche Arbeit machen, noch Vertragsstrafen zu Folge haben.
Das heißt, der Anlagenbetreiber muss sich auch noch mit Börsenpreisen auseinandersetzen. Übernimmt das nicht der Direktvermarkter für ihn?
Nur bedingt. Die Lösungen der Direktvermarkter für einen flexiblen Betrieb klingen oftmals gleich, wirken sich aber sehr unterschiedlich auf den täglichen Betrieb und auf die Erlöse aus.
Meistens erstellt der Betreiber den Einsatzplan für die BHKW selbst. Er plant, steuert und überwacht die Anlage. Bei Abweichungen – wie Speicherstand passt nicht, BHKW fallen aus, Wärme reicht nicht – greift er ein und meldet über ein Kundenportal die neuen Start- und Stopp-Zeiten nach. Selbst wenn der Direktvermarkter am Morgen einen Vorschlag für den Fahrplan abgibt, bleibt der Betreiber stets in der vollen Verantwortung und muss sich oft mehrmals täglich mit Börsenpreisen, Speichervorhersagen und Wärmemengen beschäftigen. Durch diesen höchstens halbautomatischen Betrieb optimiert der Vermarkter den Handel einen Tag im Voraus und kombiniert netzdienliche Produkte wie Regelenergievermarktung dazu. Die Erlöse sind sehr schwankend und leider meist gering.
Sie plädieren im Gegensatz dazu für eine vollständige Automatisierung des Anlagenbetriebes. Wie sieht der genau aus?
Vollständige Automatisierung bedeutet, dass sich der Betreiber um das Erstellen, Abfahren und Überwachen des Fahrplans nicht mehr kümmern muss. Schwankungen in der Gasproduktion oder bei der Wärmeabnahme werden automatisch berücksichtigt.
Der Betreiber kann sich wieder auf seine eigentliche Arbeit konzentrieren. Durch diesen hohen Automatisierungsgrad kann der Strom zusätzlich in Viertelstundenscheiben und vor allem sehr kurzfristig vermarktet werden, ohne dass sich die zuvor abgestimmte, sehr ruhige und BHKW-schonende Fahrweise verändert.
Kommen durch eine Viertelstundenvermarktung nicht mehr BHKW-Starts zustande?
Nein, der Fahrplan wird nur immer innerhalb der mit dem Betreiber zuvor abgestimmten Grenzen angepasst, etwa die Anzahl der Starts übers Jahr oder eine Mindestlaufzeit für die BHKW.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Erlösen: Was hat das 2020 für die Strommärkte und die Erlöse bedeutet?
Die Strommärkte bewegen sich in der Tat ständig und Potenziale verschieben sich. Der Klimawandel führt zu weiteren Effekten, die wir mit einem Blick durchs Fenster leicht nachvollziehen können: Wetterextreme nehmen zu und die Arbeit der Meteorologen zur Wettervorhersage wird dadurch komplexer. Dies führt zu instabileren Strompreisen, da die Stromerzeugung durch die Wind- und PV-Einspeisung nicht mehr so gut vorhersehbar ist.
Kurzfristige Schwankungen in der Wetterlage werden über den kurzfristigen Stromhandel, der bis fünf Minuten vor Beginn einer Viertelstunde erfolgt, „nachgehandelt“. Dieser Markt spielt eine immer wichtigere Rolle, den flexible und zugleich vollautomatisierte Anlagen mit Fahrplansteuerung für sich nutzen können.
Hat Corona den Markt zusätzlich beeinflusst?
Die Pandemie hat sich natürlich ausgewirkt. Die Preise an der Pariser Strombörse EPEX sind insbesondere zu Beginn des ersten Lockdowns deutlich gesunken. Bewegte sich der monatliche durchschnittliche Börsenpreis für Februar, März und April 2020 nur um die zwei Cent für die Kilowattstunde, sind es dieses Jahr im gleichen Zeitraum knapp fünf Cent pro Kilowattstunde. Da die Differenzen dieser sogenannten Monatsmarktwerte über die EEG- Vergütung für den Betreiber ausgeglichen werden, ist dies für die Anlagen zunächst einmal kein Nachteil.
Wie wirkt sich das Auf und Ab der Preise auf die Erlöse aus?
Für flexible Anlagen entstehen durch die stärkeren Schwankungen, bedingt durch Corona oder Wetterveränderungen, sogar zusätzliche Chancen. Dies zeigt sich auch an den Erlösen aus der bedarfsgerechten Stromerzeugung. Hoch flexible Anlagen haben in den vergangenen zwölf Monaten sehr gleichmäßig 1,4 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich erlösen können, in den Wintermonaten sogar bis zu 1,8 Cent pro Kilowattstunde. Selbst doppelt bebaute Anlagen mit wenig Speicher kommen auf 0,5 Cent und mehr. Anlagen, die manuell geplant oder nur auf die Preise des nächsten Tages optimiert werden, sind jedoch im Schnitt deutlich unter der Hälfte dieser Erlöse.
Klingt verlockend. Was würden Sie abschließend Biogasanlagenbetreibern empfehlen?
Die Flexibilisierung und die damit einhergehende 4.000-Viertelstunden-Regel wird für manche Anlage eine Herausforderung werden und zusätzliche Investitionen nach sich ziehen. Die automatische Fahrweise nach Fahrplan kann den Anlagenbetrieb aber wieder beruhigen und die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Hier tun sich neue Chancen auf. Der Blick zu einer Biogasanlage, die diesen Weg schon beschreitet, lohnt sich.
Die SKVE steuert mehr als 140 Anlagen über vollautomatische Fahrpläne und ist Mitglied in der Betreiberexpertengruppe des Fachverbands Biogas (FvB) sowie Mitglied im Arbeitskreis Strom im Bundesverband Erneuerbare Energie.