Beef on Dairy: Väter mit Doppellende
Die Anpaarung von Milchkühen mit Fleischrindbullen – oder wie der Fachmann sagt „Beef on Dairy“ – ist zum Trend geworden. Gern wird dabei auf Weißblaue Belgier gesetzt, aber es gibt eine Alternative.
Text und Fotos von Prof. Dr. Wilfried Brade, Norddeutsches Tierzuchtberatungsbüro
Die Besamungen älterer Milchkühe mit Sperma ausgewählter Fleischrindbullen und die Kombination dieser Strategie mit gleichzeitigem Einsatz von geschlechtssortiertem Sperma (= bevorzugte Erzeugung männlicher Kreuzungskälber zur Mast) hat sich als besonders effizient erwiesen. Die so erzeugten (männlichen) Kreuzungskälber zur Weitermast ermöglichen einen höheren Verkaufserlös im Vergleich zu Reinzuchttieren; speziell bei Anpaarung ausgewählter Fleischrindbullen (aktuell vorzugsweise: Weißblaue Belgier).
Allerdings sind Anpaarungen mit Fleischrindbullen an Färsen – aufgrund der überproportionalen Zunahme an Schwergeburten (mögliche Ausnahme: Nutzung leichtkalbiger Angusrinder als Paarungspartner) – strikt zu vermeiden. Und auch bei den Altkühen sind nur solche Fleischrassebullen mit nachgewiesener günstiger Vererbung für den Geburtsverlauf weiter zu empfehlen.
Fleischrinder: Extreme Muskelfülle der Weißblauen Belgier
Die belgische Rinderrasse Weiß-blaue Belgier (WBB) ist vor allem durch eine starke Muskelfülle gekennzeichnet. Spezifisch für die Rasse WBB ist das Vorhandensein sogenannter Doppellender. Diese natürliche Mutation führt zu einem extrem mageren Fleisch und hoher Schlachtausbeute. Das WBB-Rind kann in den Farben weiß, schwarz-weiß oder blau-weiß vorkommen.
In den meisten Fällen benötigen die reinrassigen WBB-Kühe eine intensive Geburtshilfe; oft sogar einen Kaiserschnitt. In einigen Ländern ist die Haltung dieser Rasse deshalb sogar verboten. In Deutschland spielt die WBB-Reinzucht keine Rolle.
WBB-Bullen werden jedoch in vielen europäischen Ländern erfolgreich als Vaterrasse in der Gebrauchskreuzung mit Holsteinkühen eingesetzt. 2020 entfielen circa zwei Drittel aller Besamungen mit Fleischrindersperma in Deutschland auf die Rasse WBB. Die erwähnten Kalbeprobleme der WBB in Reinzucht treten im Rahmen der Kreuzung mit anderen Rinderrassen (Holsteins, Jerseys) nicht auf, sofern diese Rasse nicht auch über das Doppellender-Gen verfügt. Männliche Nutzkälber aus Einfachkreuzungen WBB x Holstein-Kühe realisieren aktuell die höchsten Verkaufserlöse bundesweit; oft mehr als 150–180 € je Kalb (erster Qualität) gegenüber reinrassigen Holsteinbullenkälbern gleicher Qualität.
„Beef on Dairy“ mit Spezialisierter Rasse
In Frankreich, aber auch Italien, ist die Rasse INRA 95 als spezialisierte Fleischrinderrasse seit Jahren ein Erfolg. INRA 95 wurde speziell als Paarungspartner für Milchkühe in einer Versuchsherde in Carmaux (nordöstlich von Toulouse) der staatlichen französischen Agrarforschung (INRA = Institut national de la recherche agronomique) als Neuzüchtung entwickelt. Das Zuchtprogramm wurde bereits Ende der 1960er-Jahre gestartet.
Die Fellfärbung ist bei der Rasse aufgrund des hohen Charolais-Anteils (54 %) überwiegend weiß; kann jedoch auch rote oder blaue Flecken aufweisen. INRA 95 ist eine Neuzüchtung, in der Merkmale der Rassen Charolais, WBB, Blonde d‘Aquitaine, Limousin und Maine Anjou (Rouge des prés) erfolgreich kombiniert wurden. Das Doppellender-Gen wurde in der Selektion bevorzugt. Ein besonderer züchterischer Schwerpunkt wurde – ab Versuchsbeginn – auf möglichst geringe Kalbeschwierigkeiten und hohe Vitalität der Kälber gelegt. Leichtkalbigkeit, vitale Kälber und eine vergleichsweise hohe Fleischleistung sind somit die besonderen Vorzüge von INRA-95-Hybriden. Die Bullen sind aber nicht nur zur Kreuzung auf Milchrinder, sondern auch für Robust- und Fleischrassen geeignet. Allerdings sollte mit den Nachkommen nicht weiter gezüchtet werden.
ANpaarung mit FLeischrindbullen: Probleme beim Kalben?
Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen können, dass eine Kuh leicht oder schwer kalbt. Sowohl in der Fleischrinder- als auch in der Milchrinderzucht ist jede notwendige Unterstützung bei der Geburt unerwünscht. Schwergeburten verringern die Lebensfähigkeit der Kälber, verursachen Verletzungen, reduzieren die nachfolgende Reproduktionsfähigkeit der Muttertiere und erhöhen die Arbeitsbelastung sowie die tierärztlichen Kosten. Das Geburtsgewicht und die Trächtigkeitsdauer und damit die Häufigkeit von Schwergeburten werden durch den Genotyp des Kalbes, genetische Effekte der Mutter und weitere nichterbliche Auswirkungen während der Trächtigkeit (Fütterungsintensität der Muttertiere in den letzten sechs Trächtigkeitswochen) bestimmt.
Der Anteil schwerer Geburten ist bei WBB-Kreuzungskälbern etwas höher als bei reinrassigen Holsteinkälbern (Tab. 1). Die Tragezeit der WBB-Kälber ist jedoch kaum länger als bei reinrassigen Holsteinkälbern. Geburtsprobleme wirken offenbar bis in die folgende Laktation. Die Abgangsrate der Mütter von WBB-Kreuzungskälbern liegt in der nachfolgenden Laktation (36,1 %) über der von Müttern mit Holsteinkälbern (30,4 %). WBB-Bullen sind somit nur bei mehrkalbigen Kühen einzusetzen.
Leider liegen noch keine Direktvergleiche bezüglich des Kalbeverlaufs und/oder der Lebensfähigkeit der Masthybriden aus INRA 95- oder WBB-Anpaarungen mit deutschen Holsteinkühe vor. Zugehörige umfangreiche französische Studien lassen hier Vorteile der INRA 95-Nachkommen erkennen (Abb. 1)
Die Vorzüge der Masthybriden aus WBB-Anpaarungen (bessere Mast- und Schlachtleistung gegenüber reinrassigen Holsteintieren) konnten jetzt erstmalig auch bei den Hybridnachkommen von INRA-95-Vätern in einer sehr großen, neuen italienischen Studie gezeigt werden (Abb. 2).
Akzeptanz erhöhen
Die Nutzung von INRA-95-Bullen ist somit als eine echte Alternative zur bisherigen Bevorzugung von WBB-Bullen in der Masthybriderzeugung mit Milchkühen. Da das Zuchtprogramm reinrassiger WBB-Rinder von vielen Tierschützern abgelehnt wird, könnte der Einsatz von INRA-95-Bullen gegenüber dem intensiven Einsatz von WBB-Bullen auch dem Image der deutschen Rindfleischerzeugung zugutekommen. Die Rinder-Union West (RUW) mit Sitz in Münster (NRW) bietet ihren Mitgliedern seit Jahren erfolgreich INRA-95-Bullensperma an. Die dortige Zufriedenheit bezüglich der INRA-95-Kreuzungskälber aus Holsteinmüttern ist sehr groß.
Da die RUW ein wichtiger Partner in der neu gebildeten gemeinsamen Zuchtkooperation ‚Phönix-Group‘ ist, kann nun auch über den Spermaaustausch zwischen den verschiedenen Besamungsstationen dieser Kooperation künftig INRA-95-Sperma in den östlichen Bundesländern leicht genutzt werden. Und auch die Masterrind GmbH, die vorrangig in Sachsen aktiv ist, hat zwischenzeitlich die Vorzüge der Rasse INRA 95 erkannt und bietet seit August 2021 Sperma dieser Rasse an.
Allerdings muss sich der künftige Einsatz von INRA-95-Bullen erst noch am hiesigen Kälbermarkt etablieren, da Kreuzungstiere aus WBB-Anpaarungen schon zu einer Qualitätsmarke im Kälberhandel geworden sind. Die Strategie „Beef on Dairy“ ist mittlerweile auf vielen Betrieben bundesweit fest etabliert. Entsprechend spürbar beeinflusst sie bereits den Nutzrindermarkt bzw. Mastkälberhandel. Gleichzeitig verkleinert sie das Angebot an weiblichen Zuchtrindern (Färsen), was wiederum zur Stabilisierung der Erlöse am Zuchtrindermarkt beigeträgt.
FAZIT
Die regelmäßige Besamung von züchterisch weniger wertvollen Milchkühen mit Fleischrindbullensperma festigt sich zunehmend bundesweit; nicht nur im Holstein-Zuchtbereich, auch bei anderen Milchrinderrassen (Jersey). Dabei wird überwiegend Sperma von Bullen der Rasse Weiß-blaue Belgier (WBB) genutzt. Jüngste Studien zeigen jedoch einen geringeren Anteil an Schwergeburten, wenn stattdessen Sperma der relativ jungen französischen Rasse INRA 95 genutzt wird. Da generell die Haltung von reinrassigen WBB-Bullen in deutschen Besamungsstationen kritisch hinterfragt wird, dürften künftig INRA-95-Bullen als Alternative stärker zur Masthybriderzeugung mit Milchkühen und damit auch zur Verbesserung des Images der deutschen Rindfleischerzeugung beitragen.