Blauzungenkrankheit in Deutschland: Das Virus ist zurück
In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ist ein neuer Erregertyp der Blauzungenkrankheit nachgewiesen worden. Nun steht zu befürchten, dass die relativ milden Temperaturen für weitere Ausbrüche sorgen.
Von Christoph Feyer
Der Freiheitssatus hatte tatsächlich nur vier Monate Bestand. Erst im Juli dieses Jahres wurde Deutschland offiziell wieder als „landesweit frei vom Bluetongue Virus (BTV)“ eingestuft. Damit ist es nun schon wieder vorbei. Anfang November bestätigte das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) fünf Infektionen mit dem BTV-Serotyp 3. Die Blauzungenkrankheit ist zurück in Deutschland.
Ausgebrochen war die ursprünglich aus den Tropen stammende Tierseuche zuvor in den Niederlanden. Am 6. September kam es dort in den Regionen Nordholland und Utrecht in Schafzuchtbetrieben zu den ersten BTV-3-Ausbrüchen. Kurz danach stieg ihre Zahl landesweit rasant an. Der Niederländischen Lebensmittel- und Verbraucherschutzbehörde (NVWA) zufolge sind mit Stand vom 13. November bereits 5.350 Betriebe betroffen, darunter viele Schafzüchter, aber in erheblichen Ausmaß auch Rinder- sowie mehrere Dutzend Ziegenhalter. Die Statistik des Nachbarlandes weist rund 8.200 Schaf, 3.200 Ziegen und 23.000 Rinder haltende Betriebe aus, was das enorme Ausmaß zeigt. Seit Anfang September verendeten bereits mehrere zehntausend Schafe.
Auch Belgien und Frankreich blieben nicht verschont: Von dort wurde das Auftreten der neuen Variante im September gemeldet. Bei den beiden, bereits Anfang August in der spanischen Provinz Ciudad Real in zwei Schafhaltungen nachgewiesen BTV-Infektionen, handelt sich aber um den Serotyp 4.
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Blauzungenkrankheit in Deutschland: Scheinbar unaufhaltsam
Hierzulande trat am 11. Oktober in einem Schafbestand auf dem Rheindeich bei Kleve (Nordrhein-Westfalen) der erste BTV-3-Verdachtsfall auf. Der Erregernachweis durchs FLI folgte einen Tag später. Dem Besitzer der 30 Tiere wurde sofort eine sogenannte Verbringungssperre auferlegt. Aber das half wenig. Nur 14 Tage später erkrankte ein Tier eines 20 km entfernten Schafhalters an BT.
Fast zeitgleich brach die Krankheit in Niedersachsen aus. Am 25. Oktober wurde ein Fall in einem Schafbestand im Landkreis Ammerland bestätigt. Danach zeigten ein Rind im nördlichen Emsland und ein Schaf in der Grafschaft Bentheim die typischen Symptome. Auch bei ihnen wurde der Serotyp 3 nachgewiesen. Die Stallgenossinnen aus der 15-köpfigen Mutterkuh- bzw. der 28-köpfigen Schafherde zeigten bisher aber wohl noch keine Krankheitssymptome. Auch die beiden Tierhaltungen wurden sofort gesperrt.
Eine Tötung der Bestände ist aber nicht vorgesehen. Allerdings müssen die Tierhalter dafür sorgen, dass sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Zudem wurden sowohl Nordrhein-Westfalen als auch Niedersachsen der Status „seuchenfrei in Bezug auf Infektionen mit BTV“ entzogen. Und das hat ernste Folgen.
Tiergesundheitsrecht und Maßnahmen
Sollen Rinder, Schafe, Ziegen sowie Gatterwild und deren Sperma, Eizellen oder Embryonen die Region verlassen, sind jetzt bestimmte Auflagen zu erfüllen. Rechtsgrundlage ist das neu geschaffene Animal Health Law (Tiergesundheitsrecht) der Europäischen Union.
Das schreibt unter anderem vor, dass die Wiederkäuer aus den betroffenen Gebieten vor dem Transport in seuchenfreie Regionen klinisch gesund, labordiagnostisch auf eine Infektion mit dem BT-Virus untersucht und natürlich antikörperfrei sein müssen. Zudem sind sie mit Anti-Mückenmitteln zu behandeln. Die Auflagen gelten so lange, bis die Bundesländer den Seuchenfreiheitsstatus wiedererlangt haben. Nach aktueller Rechtslage gelingt das jedoch nur, wenn zwei Jahre lang keine Infektionen aufgetreten sind oder die gefährdeten Tiere immun sind. Dafür wäre allerdings die Impfung aller empfänglichen Nutztiere gegen die Blauzungenkrankheit erforderlich.
Sollen Wiederkäuer aus BTV-freien Bundesländern nach NRW oder Niedersachsen verbracht werden, ist das aber noch immer ohne Auflagen möglich. Trotzdem merken beispielsweise Rinderhalter bereits deutliche Auswirkungen. In Niedersachsen gibt es zum Beispiel viele Milchmastbetriebe, und die stallen jetzt sehr zögerlich ein, was seit geraumer Zeit die Preise für Bullenkälber drückt.
Viruserkrankung mit Anzeigepflicht
Bei der Blauzungenkrankheit handelt es sich um eine anzeigepflichtige Viruserkrankung der Wiederkäuer. Bei dem bislang in Deutschland vorkommenden Serotyp 8 werden in der Regel milde Symptome beobachtet. Zum Serotyp 3 liegen noch keine Erfahrungen vor. Für Menschen ist die Erkrankung völlig ungefährlich.
Virusüberträger sind kleine Mücken (1–3 mm lang) der Gattung Culicoides (Gnitzen). Infizierte Gnitzen bleiben lebenslang infektiös und können nach einer Woche Entwicklungszeit das Virus bei einer Blutmahlzeit auf das Säugetier übertragen. Die klinischen Symptome bei Rindern sind Entzündungen der Zitzenhaut und der Schleimhäute im Bereich der Augenlider, Maulhöhle und Genitalien. In der Folge kommt es zu Bläschenbildung sowie Ablösungen der Schleimhäute an Zunge, Maul und Kronsaum. Die klinischen Erscheinungen ähneln denen der Maul- und Klauenseuche. Das Virus bleibt in den Tieren in der Regel 100 Tage aktiv. Die Krankheit kann aber ausheilen. Anschließend bilden die Tiere eine belastbare Immunität aus.
Die klinischen Anzeichen beim Schaf sind schwerwiegender und circa sieben bis acht Tage nach der Infektion zu beobachten. Dann zeigen sie eine erhöhte Körpertemperatur, Apathie und sondern sich von der Herde ab. Es kommt zur Schwellung der Maulschleimhäute, vermehrtem Speichelfluss und Schaumbildung vor dem Maul. Die Zunge und der Hals können anschwellen, und die Zunge kann aus dem Maul hängen. Der Kronsaum kann sich entzünden und es kommt zu Lahmheiten. Tragende Tiere können abortieren.
Blauzungenkrankheit: Noch kein Impfstoff
Einen Impfstoff gegen den Serotyp 3 gibt es zurzeit in Europa nicht. Impfstoffe gegen andere Serotypen schützen nicht gegen den BTV-3. Auf dem Agrarratstreffen in Luxemburg Ende Oktober 2023 appellierten deshalb die Agrarminister von Deutschland, den Niederlanden und Belgien an die Pharmaindustrie, einen angepassten Impfstoff gegen die neuen Typen der Blauzungenkrankheit zu entwickeln.
Cem Özdemir betonte zudem, dass das Friedrich-Loeffler-Institut mit den niederländischen Forschungseinrichtungen bereits in sehr intensivem Kontakt stehe. Darüber hinaus pochte der Grünen-Politiker auf EU-finanzierte Forschungsprojekte. Laut dem niederländischen Landwirtschaftsminister Piet Adema drängt dabei jedoch die Zeit.
Gegenwärtig sei die Situation zwar noch nicht vollends außer Kontrolle geraden, da die Mücken als Vektor der Krankheit in der kälteren Jahreszeit deutlich weniger aktiv seien. Aber spätestens mit Beginn des nächsten Frühlings müsse ein angepasster Impfstoff bereitstehen.
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