Ende des Kastenstandes: Zweifel an der Zukunftsfähigkeit überwiegen
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung hat grünes Licht von den Ländern. Sie machen aber den baldigen Ausstieg aus dem Kastenstand zur Bedingung. Wir haben nachgefragt, wie Praktiker die Entscheidung einschätzen.
Am Freitag, dem 3. Juli, um 15.13 Uhr besiegelte der Bundesrat das Ende. Mit einer dann doch fast unerwartet klaren Mehrheit stimmten die Länder für einen Antrag aus Nordrhein-Westfalen (CDU-Agrarministerium), Schleswig-Holstein (Grüne) und Niedersachsen (CDU). Darin werden im Entwurf für die neue Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung, den Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Mai 2019 vorgelegt hatte, weitreichende Änderungen durchgesetzt. Die Reaktionen aus der Praxis ähneln sich. ste
Dr. Jörg Brüggemann, Schweinekontroll- und Beratungsring Mecklenburg-Vorpommern:
„Mit der Abstimmung im Bundesrat ist ein gravierender Richtungswechsel für die zukünftige Haltung von Sauen eingeleitet worden. Da diese Entscheidung nur für Deutschland, nicht aber für die EU gilt, wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Ferkelerzeuger massiv beeinträchtigt. Dieser Richtungswechsel ist nur mit massiven Investitionen möglich. Es ist zu erwarten, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern viele Ferkelerzeuger aus der Produktion aussteigen.“
Stefan Wille-Niebur, Ost GbR, Plate, Vorsitzender Fachausschuss Vieh und Fleisch, Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern:
„Ich dachte, dass es schlimmer wird. Es ist ein guter Kompromiss herausgekommen, wenn es denn dabei bleibt und er nicht beim nächsten Regierungswechsel umgestoßen wird. Sicher kostet der Umbau viel Geld, aber mit Geld allein werden wir das Problem nicht lösen. Es müssen weitere Voraussetzungen verbessert werden, Stichwort Baugesetzbuch, damit Neu- und Umbauten für mehr Tierwohl rasch auf den Weg gebracht werden können. Auf gar keinen Fall darf diese Entscheidung ein deutscher Alleingang werden. Die EU muss nachziehen.“
Hans-Christian Daniels, Wollin, Interessengemeinschaft Schweinezucht (IGS) Brandenburg:
„Die heimische Ferkelerzeugung wird zurückgehen, und der Strukturwandel wird sich extrem beschleunigen. Denn die nötigen Umbauten können nur die ganz Finanzstarken stemmen. Außerdem ist die Refinanzierung unsicher. Würde es Verträge geben, die uns für wenigstens fünf Jahre lang einen höheren Preis sichern, hätten wir längst umgebaut. Für die jüngste Generation in unserem Betrieb jedenfalls ist es ein Alarmsignal. Wird denn die zugesagte Übergangszeit Bestand haben?“
Anne Byrenheid, Fachreferentin, Thüringer Bauernverband (TBV):
„Sauenhalter müssen für die langersehnte und überfällige Planungssicherheit einen sehr hohen Preis bezahlen. Zweifelsfrei werden sich den nicht alle Betriebe leisten können. Zu erwarten ist eine Beschleunigung des Strukturwandels und eine zunehmende Abwanderung der Sauenhaltung. Die Anpassung des Bau- und Immissionsrechtes sowie eine effektive finanzielle Flankierung, die auch wirklich bei den Betrieben ankommt, müssen jetzt oberste Priorität haben.“
Hans-Georg Meyer, Vorsitzender des Schweinewirtschaftsverbandes Sachsen-Anhalt:
„Der einzige Vorteil besteht darin, dass wir jetzt Rechtssicherheit haben. Aber das Ergebnis ist desaströs. Im europäischen Kontext wird Deutschland ins Hintertreffen geraten, die Ferkelimporte werden massiv zunehmen. Die Politik verschließt die Augen vor der Realität. Wegen des deutschen Sonderweges muss es nun einen Masterplan für die Sauenhaltung geben. Nötig ist eine entsprechende Öffnung des Bau- und Immissionsschutzrechts, sodass die Bestandszahlen stabil bleiben. Anderenfalls muss es eine Entschädigung geben. Für den Umbau muss es unabhängig von der Betriebsgröße eine Förderung von 75 % geben. Die in Aussicht gestellten 300 Mio. € machen gerade mal 0,15 % der staatlichen Coronahilfen aus. Der Systemre- levanz der Landwirtschaft wird damit nicht annähernd Rechnung getragen.“
Marcus Rothbart, Hauptgeschäftsführer, Bauernverband Sachsen-Anhalt:
„Ein restriktiverer Sonderweg ist für viele Sauenhalter der wirtschaftliche Sargnagel. Besonders bei der Zuchtsauenhaltung sind praktische Realität und politische Vorstellungen immer weiter auseinandergegangen. Die jetzigen Regelungen bedeuten eine immense Herausforderung für die Betriebe. Bestehende Anlagen sind zum Teil noch nicht einmal abgeschrieben. Dabei wurden auch sie behördlich genehmigt. Fraglich ist, ob die künftigen Haltungsbedingungen tatsächlich dem Tierwohl dienlich sind. Und auch die Arbeitssicherheit darf nicht vergessen werden.“
Eike Krug, Geschäftsführer, Erzeugergemeinschaft Schwein „Altmark“ eG:
„Ich gehe davon aus, dass etliche Betriebe den Rückzug antreten werden. Schließlich müssen sich die Investitionen in einen Um- oder Neubau auch wirtschaftlich rechnen. Mehr als fraglich ist, ob die angekündigten 300 Mio. € Förderung hierfür ausreichen. Auch sind noch viele Fragen offen. Sicher ist, dass der Selbstversorgungsgrad sinken wird.“